Update von Marx und Co.
von Michael Höfler
„Der wesentliche Widerspruch des modernen Kapitalismus ist der zwischen der Möglichkeit kostenloser, im Überfluss vorhandener Allmendeprodukte und einem System von Monopolen, Banken und Regierungen, die versuchen, ihre Kontrolle über die Macht und Informationen aufrechtzuerhalten. Es tobt ein Krieg zwischen Netzwerk und Hierarchie.“
Paul Mason glaubt, dass das Netzwerk den Krieg gewinne, dass es „sowohl die Funktionsfähigkeit als auch die Legitimität des Marksystems“ zerstören wird. Ehe er auf Seite 196 von 372 zu dieser Kernthese vom Ende des Kapitalismus durch die Vernetzung gratis vorhandener Information gelangt, argumentiert Paul Mason dezidiert, dass frühere Prognosen des Zusammenbruchs von Marx und seinen Nachfolgern zu kurz griffen, weil sie die Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus bei weitem unterschätzten. Er führt Theorien u.a. über langfristige Wirtschaftszyklen, Produktivität und Arbeitswert an und arbeitet ausführlich heraus, was an ihnen mit der Wirtschaftsgeschichte der letzten 200 Jahre in Einklang stand und was nicht.
Die Argumente für seine titelgebende These fallen anschließend erstaunlich knapp aus. Zwar leuchtet ein, dass sich die digitale und im Überfluss vorhandene Information kaum noch vom Kapitalismus einfangen lässt, doch bleibt weitgehend offen, wie dies den ansonsten immer noch zunehmend dominanten Kapitalismus sämtlicher greifbarer Güter beenden sollte. Und beispielsweise wie die Menschheit zu Konsumverzicht bei Dingen jenseits des unmittelbaren Bedarfs (Produkte, die es Mason zufolge gratis durch größtmögliche Automatisierung geben sollte) zu bewegen sei. Stattdessen beschreibt er weitere volkswirtschaftliche Theorien, ehe er zum Ende hin Themen wie Umweltzerstörung und Klimawandel anreißt, die den Kapitalismus beenden könnten, ohne dass die Menschheit den Wandel noch groß zu gestalten imstande wäre.
Zuletzt skizziert Mason fünf Prinzipien einer Gestaltung jenseits der Sackgassen bisherigen linken Denkens. Leider bleibt da wenig Raum, um aufzuzeigen, wie die dafür notwendige Neuverteilung von Macht zu bewerkstelligen wäre, und wie sich alle Faktoren jenseits der Ökonomie in die hauptsächlich volkswirtschaftlichen Vorschläge einfügen könnten. „Postkapitalismus – Grundzüge einer kommenden Ökonomie“ ist dennoch insgesamt ein wirklich gutes Buch – wenn auch eher als zeitgemäße Nachlese zu den Vorhersagen von Marx und Co. Die „Grundrisse“ im Titel sollte man jedenfalls auf die Goldwaage legen.
Paul Mason: Postkapitalismus – Grundrisse einer kommenden Ökonomie. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer. Suhrkamp Verlag, 2016. 430 S., 26,95 Euro.