Freud und Leid
Joachim Feldmann unternimmt seit einiger Zeit Streifzüge durch die Welt der Krimis, die sonst nicht allzu viel Beachtung finden, auf der Suche nach Perlen im Meer des Mittelmaßes. Manchmal wird es schlimm, dann muss die Lektüre abgebrochen werden, und manchmal muss Joachim Feldmann grundsätzlich werden. Erfahrungsberichte aus der Arbeitswelt eines Kritikers. Fortsetzung demnächst …
Lektüre abgebrochen
Neulich erzählte der 1977 geborene Romanautor Thomas Klupp in der Zeit, dass er dreimal versucht habe, Döblins Berlin Alexanderplatz zu lesen, aber nie über die Seite 43 hinausgekommen sei. Ihn habe vor allem gestört, dass „eingangs berichtet wird, was auf den folgenden Seiten passiert, wie es endet und was die Moral von der Geschichte ist“. Als ich am vergangenen Freitag irgendwo um Seite 50 herum die Lektüre eines sogenannten Thrillers abbrach, hatte ich keine Ahnung, wie das Buch zu Ende gehen würde. Es war mir auch vollkommen egal.
Der amerikanische Autor Greg Iles lässt, glaubt man dem deutschen Titel des Romans, seine Heldin, eine Sonderschullehrerin namens Laurel, 12 Stunden Angst durchleben. Ein Wunder ist das nicht, schließlich fuchtelt Gatte Warren mit einem Revolver vor ihrer Nase herum, um herauszubekommen, wer denn der Liebhaber seiner Gemahlin ist. Leider fehlte es mir an nötigem Langmut, um den beiden bei dieser handfesten Verarbeitung einer Ehekrise Gesellschaft zu leisten, handelt es sich doch um in jeder Hinsicht uninteressante Figuren. Auch Lover Danny – wir Leser wissen natürlich mehr als der gehörnte Ehemann – ist nicht gerade ein Typ, den man näher kennenlernen möchte.
Die Aussicht, noch ungefähr 400 Seiten, also mindestens zwei bis drei Stunden Lesezeit, mit diesen Pappkameraden zu verbringen, schien mir wenig reizvoll, also griff ich beherzt zu einem neuen Krimiprodukt aus dem mörderischen Ostwestfalen. Das Romandebüt des Bielefelders Hans-Jörg Kühne ist laut Verlagswerbung „nichts für schwache Nerven“. Das mag sein. Außerdem ist Der Pfahlmörder, obwohl der Autor sich bemüht, seine blutrünstige Geschichte in einem sarkastisch-coolen Erzählton zu präsentieren, ziemlich langweilig. Grausam zugerichtete Mordopfer und ein schnoddriger Hypochonder als Ermittler können über die Abwesenheit einer Handlung eben nur schlecht hinwegtäuschen.
Dieses Urteil würde ich allerdings mit größerer Überzeugung abgeben, hätte ich das Treiben des Pfahlmörders über die gesamte Länge des Romans, und das sind immerhin rund 300 Seiten, verfolgt. Doch auch hier musste ich aufstecken. Schon der leicht holprige Stil des ersten Absatzes ließ mich nur missmutig weiterlesen. Leiche Nummer eins, ein Zahnarzt, der im eigenen Behandlungsstuhl auf üble Weise zu Tode gebracht wurde, nahm ich noch zur Kenntnis, um mich dann mit einem raschen Blick auf die letzten Seiten zu überzeugen, dass man auf die Lektüre des umfangreichen Mittelstücks guten Gewissens verzichten kann. Zu gerne würde ich an dieser Stelle die Identität des Pfahlmörders preisgeben, allein um zu zeigen, dass dieses Buch auch als Genreparodie nur wenig taugt. Aber das tut man ja nicht. Und darum lasse ich’s auch.
Andere Malaisen …
Meist sind sie mindestens 400 Seiten dick, haben knallige Umschläge und tragen wüste Titel, in denen bevorzugt Adjektive wie „tödlich“ oder „blutig“ auftauchen. Sie nennen sich gerne „Krimi des Monats“, „Top-Thriller“ oder einfach „Bestseller“. Den Namen des Autors habe ich in der Regel noch nie zuvor gehört. Übersetzt sind sie zumeist aus dem Englischen und wenn ich Glück habe, wurde diese Aufgabe jemandem anvertraut, der nicht nur die fremde, sondern auch seine Muttersprache beherrscht. Das ist leider nicht immer der Fall. Manchmal möchte ich die Lektüre schon nach zehn Seiten abbrechen und das Druckwerk der Altpapiertonne zuführen, doch ich bringe es noch immer nicht übers Herz, Bücher wegzuwerfen. Außerdem lese ich nicht zum Spaß, sondern im Auftrag.
Der Kritiker inside me
Ich bin Krimikritiker. Leben kann man davon nicht, dafür ist das Salär nicht üppig genug. Eher handelt es sich um eine fehlgeleitete Leidenschaft. In einem früheren Leben nämlich war ich ein schlichter Krimileser. Und kein besonders wählerischer: Edgar Wallace, Dorothy Sayers, Raymond Chandler oder Rex Stout, ich verschlang, was mir in die Finger kam. Irgendwann, es dürfte ungefähr 25 Jahre her sein, schrieb ich meinen ersten Lesetipp für ein Studentenmagazin. Von da an wurden mir die Rezensionsexemplare paketweise ins Haus geliefert.
Da es sich in der Regel um Taschenbücher mit einem Umfang von unter 200 Seiten handelte, kam ich mit der Lektüre gut nach. (Obwohl ich gestehen muss, dass sich noch manches gelbe Ullsteinbändchen von 1986 ungelesen in meinem Krimiregal versteckt.) Außerdem waren die 1980er Jahre die Blütezeit der privaten Ermittler. Autoren wie Stephen Greenleaf, Arthur Lyons, Michael Collins und Loren D. Estleman hatten die Tradition des harten Detektivromans wiederbelebt. Sie verstanden ihr Handwerk, schrieben knapp und lakonisch. Das waren Bücher, die man gut in Vorortzügen lesen konnte. Und die eigentlich gar keine Kritiker benötigten.
Das ist lange her. Heute muss man schon darauf hinweisen, wenn ein Kriminalroman erscheint, der all die oben genannten Vorzüge vereinigt. Dessen pointierte Dialoge, milde Selbstironie und flotter, nicht allzu verrätselter Plot für eine ebenso entspannte wie vergnügliche Lektüre sorgen. Und der uns nicht schwer in der Hand liegt. Da ist man gerne Leser und Kritiker zugleich.
Alte Wunden heißt dieses Kleinod, und sein Verfasser ist der leider jüngst verstorbene Robert B. Parker. Für ein Honorar von sechs Donuts versucht der unverwüstliche Spenser zu ermitteln, wer die Mutter seiner Klientin bei einem Banküberfall im Jahre 1974 erschossen hat. Doch was er herausfindet, stimmt seine Auftraggeberin nicht glücklich. Außerdem gibt es eine Menge Leichen. Mehr muss man eigentlich nicht wissen. Parker liefert verlässlich Qualität. Und die merkt man auch der sehr gelungenen deutschen Übersetzung von Emanuel Bergmann an. Ein Kompliment an den Bielefelder Pendragon Verlag, dem für seine Parker-Edition so manche Lokalkrimisünde verziehen sei. Womit wir bei einem anderen wunden Punkt im Leben des Krimikritikers angelangt wären. Aber davon erzähle ich ein anderes Mal.
Joachim Feldmann
Greg Iles: 12 Stunden Angst. (Third Degree, 2008).
Aus dem Amerikanischen von Axel Merz.
Bergisch-Gladbach: Bastei-Lübbe 2009. 428 Seiten. 9,99 Euro.
Hans-Jörg Kühne: Der Pfahlmörder.
Bielefeld: Pendragon 2010. 300 Seiten. 10,95 Euro.
Robert B. Parker: Alte Wunden. Ein Auftrag für Spenser. (Back Story. 2003).
Übersetzt von Emanuel Bergmann.
Bielefeld: Pendragon 2010. 221 Seiten. 9,95 Euro.