Doch keine Bruchlandung
– Back to the roots scheint sich Sebastian Fitzek bei seinem neuen Roman „Der Nachtwandler“ gedacht zu haben und verknüpft dabei tiefe Urängste, puristische Gestaltung von Ort und Figur mit einem komplexen Ende. Autoren wie er brauchen vor allem treue Fans, die die Selbstreferenzen und Subtexte des Werks gut kennen und so Graduationen erkennen, die man als „objektiver“ Leser nicht so einfach dechiffrieren könnte. Thorlef Czopnik ist so ein treuer Fan.
Solide Grundidee
Die Ideen von Fitzek sind grundweg solide, egal ob ein Kind mitten in der Arztpraxis verschwindet, Schnitzeljagden mit Leichen quer durch Berlin veranstaltet werden oder ein Irrer versucht, via Radio die Berliner Bevölkerung zu terrorisieren. Die Idee hinter dem „Nachtwandler“ ist schlicht gehalten: „Was wäre, wenn man schlafwandelt und dabei ein mörderisches Verhalten an den Tag legt?“
Damit steigt das Buch ein: Leon erwacht aus einem Alptraum und befindet sich sogleich in einem. Seine Frau packt ihre Koffer, überall an ihrem Körper hat sie Blutergüsse, ein Fingernagel an ihrer Hand fehlt. Die Frage also: „Was hat Leon getan und vor allem, warum?“
Um darauf eine Antwort zu finden, besorgt er sich eine Nachtsichtkamera und filmt sein umtriebiges, schlafwandelndes Ich in der Nacht und stößt dabei auf einen Geheimgang hinter einem Schrank, der ihn in ein Tunnelsystem unterhalb des Hauses führt.
Ein Protagonist
Bis auf wenige Ausnahmen werden die Handlungen Leons beschrieben. Was jedoch nicht langweilt, sondern die Spannung erhöht, allerdings mit einem „Aber!“.
Leon mag sehr gut gezeichnet sein, aber wirkt in manchen Situationen viel zu besonnen, bspw. wenn er den Geheimgang hinter seinem Kleiderschrank entdeckt, der hinab in die Gewölbe des Hauses führt.
Rein impulsiv würde man sich sofort runterstürzen, immerhin wird die eigene Frau vermisst, hinter dem Kleiderschrank im Schlafzimmer befindet sich ein Geheimgang, wer würde da nicht sofort nachgucken wollen? Leon.
Es wird dann zuerst seitenweise darüber reflektiert, warum da ein Geheimgang ist, bis er dann doch die Leiter in den Gang heruntersteigt. Oder alternativ zur Suche unter Tage: Er geht schlafen. Das erzeugt einen gewissen Grad an Komik, wird aber im Verlauf des Buches aufgeklärt.
Back to the roots
Das große Pro des Romans ist, dass sich Fitzek komplett auf die alten Stärken besonnen hat, nämlich das Verwirrspiel mit der Psyche und der Realität. Es gibt keine repetitive perfide Schnitzeljagd, kein stumpfes Gemetzel, sondern, äquivalent zu seinen ersten Romanen, boshafte und subtile psychologische Alpträume.
Neben den merkwürdigen Nachbarn und Bekannten, die alle Dreck am Stecken haben, Geheimgänge, die in fremde Wohnungen führen, die Treibjagd durch das Unterbewusstsein Leons, der an Somnambulismus leidet und den Leser durch eine Welt aus bizarrer Realität und kapriziöser Wahrnehmung hetzt.
Die puristische Ausgangslage – eine Hauptfigur, ein Handlungsort – steht dem komplexen Plot mit enorm vielen Wendungen gegenüber.
Schachmatt
Der Thriller erinnert an ein Schachspiel. Durch verschiedene Handlungsfäden, die mal mehr, mal weniger ausgebaut werden, kommt es beim finalen Showdown zu einem Patt zwischen Logik und Erklärung.
Sicherlich, da sind viele, sehr kluge Schachzüge dabei, allerdings ergeben sich Logiklöcher, die der Spannung zum Opfer gefallen sind.
Mit dem Ende kann man sich anfreunden, natürlich, es erklärt einigermaßen die komplette Handlung, aber eben nicht alles. Das ist das Problem des Romans: Sehr viele Handlungsstränge sind auf einen Protagonisten projiziert und diese ergeben am Ende zwar schon irgendeinen Sinn, wenn auch über Umwege.
Fazit
Fitzek hat mit dem „Der Nachtwandler“ keine Bruchlandung hingelegt. Die Reduktion auf ein psychisches Motiv, nämlich, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren und Wahrheit und Wahn nicht mehr auseinanderhalten zu können, zeigt einmal mehr, dass Sebastian Fitzek im psychologischen „Fach“ zu den besseren Autoren gehört und auch ohne Blut auskommen kann. Den Sprung zurück zu den thematischen Anfängen seines Schaffens zu machen ist mutig und zeigt, dass er es schafft, aus einer vermeintlichen alltäglichen Situation ein extremes psychisches Puzzle zu bauen.
Abzüge gibt es für die Auflösung am Ende, die einige Fragen unbeantwortet lässt, dafür entschädigt aber der Thrill im restlichen Buch dafür.
Thorlef Czopnik
Sebastian Fitzek: Der Nachtwandler. Roman. München: Knaur 2013. 320 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage des Autors.
Foto: Seabastian Fitzek: Raschke Entertainment GmbH/Fotograf Lucia Fuster; Schach: wikimedia commons, Alan Light. Wurzeln: wikimedia commons, Claus Ableiter.