Geschrieben am 9. Februar 2013 von für Bücher, Crimemag

Simon Kernick: Das Ultimatum

351_43707_124505_xxlUhrwerk oder Stückwerk

– Warum gute Thriller so selten geworden sind. Simon Kernicks „Ultimatum“ gibt ein paar Antworten. Von Alf Mayer.

Ziemlich aus der Mode gekommen ist sie, die Caper– oder Heist-Story, egal ob es sich um die leichtfüßig komödiantische Form handelt oder die humorlos härtere Variante. Meister der ersten war Donald E. Westlake mit seinen Dortmunder-Romanen und dem wunderbaren, unübertroffenen „Kahawa“ (1981), in dem eine bunt zusammengewürfelte Truppe von Abenteurern dem Diktator Idi Amin einen ganzen Zug mit der ugandischen Kaffeeernte eines Jahres stiehlt. Westlake bescherte uns unter dem Alias Richard Stark die ultracoolen Parker-Romane, in denen es meist um das Durchziehen eines Raubzuges ging, was mit dem englischen „heist“ umschrieben wird.

$(KGrHqJ,!lQE2EKf0J2tBNhpEVBB(g~~_35„Caper“ ist mit der Kapriole verwandt und meint hüpfend lustvolle Sprünge, also überraschende Wendungen. Die „Modesty Blaise“-Romane von Peter O’Donnell sind hierfür elaborierte Beispiele oder Eric Amblers „Topkapi“. Der Australier Garry Disher tut es Richard Stark mit seinen Wyatt-Romanen nach (danke Pulpmaster für die deutsche Betreuung). Als Filme kommen „Rififi“ (1955), der „Lavender Hill Mob“ (1951), „The Sting“ (1973), „The Score“ (2001), „Inside Man“ (2006) das „Ocean’s Eleven“-Trio oder der alte Fernseh-Straßenfeger „Die Gentlemen bitten zur Kasse“ in den Sinn.

Christoph Scholder ließ 2010 hierzulande in „Oktoberfest“ ein ganzes Festzelt als Geisel russischer Elitesoldaten nehmen; dass Piper den Roman saisongerecht zum Bieranstich veröffentlichte, erboste manchen Wiesenwirt. In den USA erschien Stephen Hunters „Soft Target“, in dem ein Einkaufzentrum zum Ziel von Terroristen wird, 2011 erst NACH dem Thanksgiving-Einkaufswochende. Einer der durchgefeiltesten Thriller dieser Kategorie in den letzten 20 Jahren ist für mich immer noch Chuck Hogans „The Standoff“ von 1996 (deutsch als „Hornissennest“).

London_Big_Ben_Phone_boxDer Terror kommt nach London

Nun also der Brite Simon Kernick mit „Das Ultimatum“, der englische Originaltitel „Siege“ meint eine Belagerung. Beide Benennungen sind eher irreführend, aber seit wann geben Titel auch die Handlung wieder? „Sie töteten sie sofort, als sie die Haustür öffnete“, lautet der erste Satz. „Es lief alles glatt. Bull trug eine marineblaue Mütze der Königlichen Post sowie einen Pullover und ein Hemd in der gleichen Farbe. Damit glich er einem gewöhnlichen Postboten, und da er zudem einen mittelgroßen, leeren Karton mit dem Amazon-Logo in den Händen hielt, schöpfte das Mädchen keinen Verdacht“, vervollständigt sich der erste Absatz. Zwei gewaltbereite Männer bringen die Familie einer hochrangigen Polizistin in ihre Gewalt, töten das Aupair-Mädchen. Im Bahnhof Paddington explodieren Bomben, schwer bewaffnete Männer besetzen das Luxushotel Stanhope. Der Terror kommt nach London.

Schon die Anfangszene ist prototypisch, sie suggeriert ein Amalgam aus Aktion und Ausführlichkeit, malt aber etwas zu umständlich und pseudogenau. Warum kann es nicht einfach heißen „Bull hatte sich wie ein Postbote verkleidet“ … zack, zack. In mäßig schnellen Schnitten wechselt Kernick in seinen Kapiteln zwischen Innen und Außen, zwischen Hotel und Polizeikräften, zwischen Terroristen und Zivilisten, zwischen insgesamt ziemlich viel Personal, eines der zwei Probleme dieses fast 500-seitigen Romans.

Da sind also die Terroristen, darunter eine Frau namens Cat, da ist die Sonderkommissarin Arley Dale, die ihr zu Hilfe kommende Polizistin Tina Boyd (Kernick-Lesern aus „Instinkt“ und „Erlöst mich“ vertraut), dann die Hotelmanagerin Elena, der todkranke Hotelgast Martin, der zu einem Liebesabenteuer ins Hotel gelockte stellvertretende MI 6-Chef Prior, dem ein Geheimnis entfoltert wird, zahlreiche Kurzauftritte von allerlei Personal – und ein geheimnisvoller Hotelgast namens Scope, der sich auch auf das Töten versteht. Er wird es sein, der einen Großteil der Terroristenpläne zunichte machen wird.

Chronograph_movementDie Caper-Story, ein aussterbendes Handwerk

An Kernicks „Ultimatum“ lässt sich gut sehen, warum die Caper-Story so rar und eine überzeugend durchpolierte Caper-Story erst recht selten geworden ist: Ihre altmodisch solide, geradezu feinmechanische Bauweise erfordert so viel Handarbeit und Präzisionstechnik, dass sie wie viele andere alten Gewerke im Zeitalter der Module und Serienbauweisen zu viel Aufwand macht.

Das staunenswert Beeindruckende an einer handwerklich „gebauten“ Uhr entspricht der Freude an einem bis ins Letzte durchkonstruierten Thriller und seiner austarierten Mechanik: Kein Teilchen bewegt sich da umsonst, eines greift ins andere, bewirkt mit Gegenschwingungen einen Fortgang, schaukelt sich auf, hält sich in spannungsreicher Balance und hat zudem jenes Betriebsgeheimnis namens „Unruh“.

Bauteile bietet Kernick viele auf, sie verschrauben aber müssen wir, pseudoauthentische Angaben wie „Raum 1600, das Einsatzzentrum im sechzehnten Stock von New Scotland Yard, glich einem Tollhaus“, Informationen über das Anbringen von Sprengfallen an Türen, Motivationsgeschichten von Terroristen, die einmal Soldaten Ihrer Majestät waren und im Irak kämpften.

Humor blitzt eher selten auf. Zynisch erhellende Sätze wie „Wir töten keine Saudis. Das ist schlechte PR“, bleiben eine Ausnahme. Die Hotelmanagerin Elena sinniert einmal über das Gehorsamsverhalten von Geiseln, erinnert sich an ihre polnische Großmutter während der Nazi-Okkupation: „Wie SS und Gestapo die Polen als Untermenschen behandelten, und sie aus nichtigsten Anlässen exekutierten und sogar ganze Dörfer zusammentrieben und alle – Männer, Frauen, Kinder – hinmetzelten, nur weil in einem anderen Dorf vielleicht ein deutscher Soldat zu Tode gekommen war. Und jedes Mal hatte Elena ihre Großmutter gefragt, wie jemand zu solch bodenlosen Taten fähig sein konnte. „Sie waren eben grausam“, hatte ihre Großmutter stets erwidert. „Sie waren eben grausam.“ Genau wie die Terroristen im Ballsaal.

FeldkochherdNachschläge aus der Gulaschkanone statt Uhrwerk

Oha, dachte ich da auf Seite 146, jetzt geht es aber in tiefere Schichten. Tut es aber nicht. Kernick belässt es bei „eben grausam“. Aha. Charakterisierungen wie „er bewegte sich mit einem aggressiven Hinken“ oder „ihre Augen leuchteten wie glühende Kohlen“ müssen genügen. Kernick ist ein handlungsorientierter Autor und damit eigentlich ein guter Caper-Konstrukteur. In seinen Romanen mit weniger Personal, etwa „Gnadenlos“, „Todesangst“ oder „Vergebt mir“, funktionierte das, und es gelang ihm fesselnde Lektüre.

Die Motivationsstruktur und Psychologie seiner vielen Figuren in „Ultimatum“ legt Kernick eher auf einem eindimensionalen Schnittbogen an, seine Charaktere gewinnen wenig Gestalt, „denken“ aber andererseits ein wenig zu viel, um das Ding wirklich handlungsgetrieben zu machen. Und ja, es gibt ein Ultimatum, es gibt auch eine Belagerung. Das Nervenaufreibende, den Erzähl- und Geduldsstrang immer enger Ziehende einer solchen Situation aber entgleitet zusehends, dies wegen einer doppelten Beliebigkeit.

Manche Fäden bleiben zu lange liegen, um noch unter Strom zu stehen. Die Gewaltszene von Seite 1 mit der Geiselnahme der Familie der den Einsatz leitenden Polizistin findet erst auf Seite 250 einen weiteren Fortgang, immer öfter werden Zufälle bemüht, buchstäblich stolpert es sich von einem Sub-Plot in den anderen, da öffnet sich eine Zimmertür zu einem Raum mit drei professionell mit einem Messer getöteten Männern, es ist anscheinend jemand im Hotel unterwegs, „der sich aufs Töten versteht“. Eben jener Scope nämlich, ein Ex-Soldat mit eigener, bis zur letzten Seite rätselhaft bleibenden Agenda.

Der vorgefasste Plan entgleitet den Terroristen und uns Lesern immer mehr, was durchaus ein schönes Thema sein könnte. Zusehends aber wird klarer, all die scheinbaren Info-Sicherheiten, die der Autor uns verschaffte, waren eher nebensächlich bis belanglos, weil der Hauptterrorist einen ganz anderen, eigenen Plan verfolgt (ein ziemlicher Letdown, übrigens). Dann gibt es auch noch einen hochrangigen Polizeiverräter, was die Kidnapp-Aktion vom Buchanfang und den eher kühl behandelten Tod des Ehemannes zu einer erzählerischen Sackgasse werden lässt. Der Hauptterrorist Fox wird sang- und klanglos ergriffen, aus dem rätselhaften Scope wird kaum eine richtige Figur. Zu sagen, das Caper-Gebäude implodiert, wäre eine etwas harte Formulierung, ganz befriedigend aber ist die Veranstaltung nicht.

Und das ist so, weil Kernick weniger den in ihrer Logik und Stimmigkeiten strengen Handwerksgesetzen einer Caper-Novel folgt und sich lieber aus dem Fundus „moderner“ Erzählweisen bedient, in denen „anything goes“, jederzeit ein deus ex machina herbeigezaubert, umfänglich aufgebaute Sinnzusammenhänge plötzlich weggehauen werden, ohne dass sich neue Dimensionen ergäben, kurzum die Beliebigkeit regiert und der Autor jede Volte drehen kann, ohne etwas Begonnenes zu Ende führen zu müssen. Fernsehserien- und Buchschwarten-„Realität“ eben. Erzählen aus der Gulaschkanone nenne ich so etwas. Nehmen wir noch einen Nachschlag, damit es eine Schwarte wird.

uhrwerkstatt1Bericht aus der Werkstatt – aber Kernick ist kein Uhrmacher

Was mich mit „Ultimatum“ dann aber doch versöhnte, ist das Postscriptum des Autors, in dem er recht ausführlich über die Entstehung des Buches erzählt – und damit dem normalen Leser Auskunft über die Bauweise solcher Wälzer gibt. Ausgangslage war für Kernick „die Brutalität der Anschläge in Mumbai und die schiere Skrupellosigkeit der Terroristen, die die Hotels gestürmt und wahllos Gäste niedergemetzelt hatten“. Dreißig Sekunden habe in einem ägyptischen Hotel damals seine „Welle der Inspiration“ gedauert, das Schreiben sei dann weit mühsamer gewesen und die Plotlogik – „das heißt, die Figuren so zu positionieren, dass sie sich bei den Höhepunkten am richtigen Ort befinden“ – bald zum Albtraum geworden.

Während des Schreibens, so Kernick in seiner Selbstauskunft, habe er den Plot ständig modifiziert und auch Todesurteile gegen einige seiner Figuren wieder aufgehoben, „was zu den Dingen gehört, die beim Romanschreiben besonders Spaß machen“. Der Schluss wurde drei Wochen vor dem Abgabetermin noch einmal verändert, was auch das Umschreiben etlicher Kapitel mit sich brachte, „sodass es am Ende tatsächlich ziemlich eng wurde“. Erst zwei Tage vor der Deadline habe er das Ganze am Stück durchgelesen und eine Höllenangst ausgestanden. Er bete „so oder so, dass das nächste Buch einfacher wird“.

So offen möchte man Autoren doch öfter über ihr Tun reden hören.

Alf Mayer

Simon Kernick: Das Ultimatum (Siege, 2012). Deutsch von Gunter Blank. München: Heyne Taschenbuch 2012. 510 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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