Geschrieben am 18. Oktober 2014 von für Bücher, Crimemag

Stefan Falke: La Frontera

Cover_La Frontera_Edition FaustÜberlebensmittel Kultur

Stefan Falkes Fotoband „La Frontera“ zeigt eine Grenze zwischen zwei ökonomischen Welten und eine der wichtigsten Kulturlandschaften überhaupt. Alf Mayer bringt Fotos und Kontexte zusammen.

Dies ist ein Paukenschlag, mit dem ein noch junger Verlag die Bühne betritt. Der in mehrfacher Hinsicht gewichtige Fotoband „La Frontera. Die mexikanisch-US-amerikanische Grenze und ihre Künstler“ begann bereits nach wenigen Seiten, mich zu überzeugen. Und zu begeistern. Wer jenseits aller Floskeln, mit denen Politiker gerne am Sonntag davon reden, nach Anschauung für die gesellschaftliche Kraft und Notwendigkeit von Kunst sucht, wird in diesem fulminanten Band der Edition Faust aus der Frankfurter Grillparzer Straße vielfältig fündig werden.

3144 Kilometer lang ist die Grenze zwischen den USA und Mexiko, zwischen Arm und Reich, Hoffnung und grausamer Realität. Literarisch hat sie ein eigenes Subgenre hervorgebracht – Border noir. Auch Winslows Drogenkrieg-Epos „Tage der Toten“ (The Power of the Dog“) hat hier seine Schnittstellen, der in Mexiko geborene James Carlos Blake verknüpft in seinen Romanen Vergangenheit und Gegenwart, schreibt an einer Familiensage der mexikanisch-amerikanischen Wolfes (zur CM-Besprechung hier und hier. Philip Caputo ging 2009 mit seinem Roman „Crossers“ ins Grenzland, das auch schon James Crumley erforschte und T. Jefferson Parker mit seiner Border-Tetralogie, angefangen mit „Iron River“ (2010), bearbeitet hat. Und das ist nur die nordamerikanische Seite.

Grenze in Nogales, USA (© Stefan Falke)

Grenze in Nogales, USA (© Stefan Falke)

Verschmitzte Kurzgeschichten

Der Fotograf Stefan Falke, in Paderborn geboren und in New York sesshaft geworden, hat diese Grenze mehrere Jahre lang immer wieder bereist, dabei Augen und Ohren und Sinne offengehalten. In „La Frontera“, das es auch als Ausstellungsprojekt gibt (bisher Washington D.C., Tijuana, Frankfurt, McAllen/ Texas, und Südkalifornien), versammelt er an die 200 Porträts von Künstlern entlang des Zauns, hat sie auf eine niemals ermüdende Art fotografiert. Es bereitet Vergnügen und Erkenntnis, in diesen Bildern zu lesen, von all diesen Geschichten in knappster Form zu erfahren.

Falke porträtiert Maler, Wandmaler, Fotografen, Bildhauer, Tänzerinnen und Tänzer, Musiker, Performance- und Graffitikünstler, Kuratoren, Dokumentarfilmer und Videoakteure, Glasbläser, Dichter, Galeristen, DJs, Verleger, Weber und Künstlerkollektive – dies meist in einem spannenden, mal heiter-ironischen, mal abgründigen Bezug zum Grenzzaun. Der zieht sich, die Kapitel voneinander abhebend, quer durch das zweisprachige, deutsch-spanisch gehaltene Buch, trennt auch die Beiträge der mexikanischen Schriftsteller Orfa Alarcón, Rogelio Guedea, Yuri Herrera, David Toscanaund Dolores Dorantes, die sichliterarisch oder essayistisch ebenfalls mit dem Thema „Die Grenze zwischen Mexiko und den USA“ auseinandersetzen.

Da legt der Fotograf Tochiro Gallegos einem Jungen einen Patronengurt über die Augen, da sind Augen das einzig Klare an den verschwommenen Flüchtlingsporträts von Aldo Guerra, da malt Alfredo Libre Gutiérrez US-amerikanische Obdachlose in Tijuana, Mexiko. Da ironisiert Ana Maria Cruz alias Ana Formismo die Pathetik der Kinoplakate, da nimmt Àngel Cabrales in El Paso die extreme Grenzverteidigung auf den Arm, indem er eigene Lenkflugkörper, Drohnen und Bomben baut. Sa versammelt sich die Reggae-Gruppe Canamo am Zaun, da tragen die Mitglieder der Punk-Band „Tripa Revancha“ Ringermasken und Geschäftsanzüge beim Auftritt.

Der Grenz-Poet Daniel Watman, der früher Lesungen auf beiden Seiten des Grenzzauns organisierte, bis die (fast) direkte Begegnung unmöglich wurde, operiert nun mit Ferngläsern und Zeichensprache. Glenn Weyant aus Arizona nutzt den Zaun als Perkussionskörper, die Künstlerin Jean Von Bostel schafft rennende Silhouetten aus Eisen und Holz, das Jellyfish Collectivo aus Ciudad Juárez verbirgt sich unter witzigen Gesichtsmasken. Das Titelbild findet sich wieder auf den Seiten 194/195, es zeigt die amerikanische Fotografin und Friedensaktivistin Raechel Running am Grenzzaun in Agua Prieta, Mexiko.

The artist Alfredo Gutierrez with his portrait of an American homeless man in Tijuana, Baja California, Mexico (© Stefan Falke)

The artist Alfredo Gutierrez with his portrait of an American homeless man in Tijuana, Baja California, Mexico (© Stefan Falke)

Nicht anders als ein Kriegsfotograf, aber einen anderer Fokus

Falkes imposante Arbeit begann in Tijuana mit der Künstlerin und Kuratorin Marta Palau. Er hatte sich gesagt, „als es gegen 2007 losging mit den furchtbaren Nachrichten über die Drogenkriege: Das kann doch nicht wahr sein. Millionen von Menschen leben im mexikanischen Grenzland. Es kann sich doch nicht nur um Drogendealer, Frauenmörder, Schießwütige oder Abhängige handeln.“ Er traf – den Widerstand. Und zwar den kreativen. Die Gesellschaftskraft Kultur in mannigfacher Gestalt. Manche der Künstler suchen eigene Traumata zu heilen, andere kritisieren die Zustände, die Grenze, die Gewalt, die Ausbeutung, den Zynismus der Bereithaltung billiger Arbeitskräfte. Stefan Falke, schreibt Claudia Bodin in ihrem Nachwort, arbeite „nicht anders als ein Kriegsfotograf. Er versucht auf seine Weise zu verstehen, warum sich Menschen gegenseitig brutalstes Unrecht antun. Doch während der klassische Kriegsfotograf in ein Krisengebiet zieht, um die Schrecken einzufangen, gibt Falke die Hoffnung auf das Humane nicht auf.“ Seine Bilder sorgen dafür, dass die Menschen wieder sichtbar werden. Seine Porträts machen Hoffnung – und sogar gute Laune. Keine geringe Leistung.

Während manche Kunstbücher gestalterisch mittlerweile Grabmale der Lesbarkeit geworden sind, macht „La Frontera“ von vorn bis hinten Spaß. Ein vorbildliches Fotobuch. Nur dass die Künstler ausschließlich je ihren Orten zugeordnet sind, schränkt die Nutzbarkeit des Registers ein wenig ein.

Artist Pablo Llana at the border fence in Playas de Tijuana. The jacket is entirely made from Reese's king size peanut butter cup wrappers. Pablo Llana's art often depicts extreme and unhealthy food consumption in the industrial world.  Tijuana, Baja California, Mexico. This picture is part of my long-term project LA FRONTERA: Artists along the US Mexican Border (© Stefan Falke)

Artist Pablo Llana at the border fence in Playas de Tijuana. The jacket is entirely made from Reese’s king size peanut butter cup wrappers. Pablo Llana’s art often depicts extreme and unhealthy food consumption in the industrial world. Tijuana, Baja California, Mexico (© Stefan Falke)

PS: „La Frontera“ ist eine echte Vor-Ort-Recherche. Deshalb kommen vier gewichtige Namen und Werke, die sich ebenfalls mit dieser Grenze beschäftigt haben, nicht vor. Zum einen ist das Charles Bowden mit seinem steinerweichenden, grausam hellsichtigen Buch „Murder City. Ciudad Juárez and the Global Economy’s New Killing Fields“ (zur CM-Besprechung geht es hier). Roberto Bolaños großer Roman „2066“ aus dem Jahr 2004 hatte als einen seiner Schauplätze die Grenzstadt Santa Teresa und ihre Verbrechen. William T. Vollmann legte 2009 das 1300 Seiten starke „Imperial“ vor, eine poetisch bearbeitete oral history des verheißenen und verfluchten Landstriches im südöstlichsten Kalifornien; er ergänzte das mit dem Fotoband „Imperial: Photographs“ und 194 eigenen Fotos. Wie bei Bowden darf man wohl auf keine Übersetzung hoffen. Werk vier ist das 2011 von der University of Texas Press herausgebrachte, streng-kühle, zweibändige Fotowerk „The American Wall. From the Pacific Ocean to the Gulf of Mexico“ von 2011. Maurce Sheriff fotografierte hierfür jedes Mauer- und Zaunsegment immer zur Mittagszeit.

Alf Mayer

Stefan Falke: La Frontera – Die mexikanisch-US-amerikanische Grenze und ihre Künstler. Ein Bildband mit Fotografien von Stefan Falke und literarischen Texten der mexikanischen Autoren Orfa Alarcón, Rogelio Guedea, Yuri Herrera, David Toscanaund Dolores Dorantes sowie essayistischen Beiträgen von Claudia Steinberg und Claudia Bodin. 232 Seiten. Über 200 Fotos. Gebunden. Zweisprachig: deutsch, spanisch. 38 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zu Stefan Falkes Homepage.

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