Geschrieben am 26. April 2014 von für Bücher, Crimemag

Stefan Kiesbye: Messer, Gabel, Schere, Licht

Stefan_kiesbye_Messer,Gabel,SchereHuuuuubuuuu ‒ noch einmal

Er hat es wieder getan! Stefan Kiesbye hat einen „Schauerroman“ geschrieben, so stellt der Klappentext voran. Der aus Eckernförde stammende Autor (hintere Klappe) unterrichtet an der Eastern New Mexico University kreatives Schreiben.

Er hat schon einmal … „Hemmersmoor“ nämlich (hier bei CulturMag). Und das ist auch schon nicht gut gegangen. Und wieder huubuut es daneben. Anne Kuhlmeyer weiß auch nicht …

Kaum mit Frau und Ziehsohn im idyllischen Dörfchen unweit von Lübeck angekommen, findet der Sportjournalist Benno eine mittels Besteck verstümmelte Frauenleiche. Mist, es hätte so schön sein können: „In Berlin habe ich nie Leichen gefunden und ich habe achtzehn Jahre dort gewohnt.“ Sagt Benno einen der wenigen ironischen Sätze, die zu finden sind.

Carolin ist vergleichsweise unbeeindruckt, weil sie ihr Leben an diesem bezaubernden Fleck nahe dem Meer unbeirrt von nebensächlichen Widrigkeiten wie Leichen neu einrichten will. Besonders dem siebenjährigen Tim, der an einer rätselhaften Krankheit leidet, möchte sie eine Chance auf ein freundliches soziales Miteinander verschaffen. Tims Haut heilt bei Verletzungen im Handumdrehen, wulstige Narben bleiben. Er fühlte sich als Außenseiter.

Für die Tote scheint sich niemand besonders zu interessieren. Die polizeilichen Ermittlungen erschöpfen sich in der Aufnahme von Zeugenaussagen.

Na ja, wir befinden uns in der 1980ern. Da machte man nicht so viel Aufhebens von fremden Toten, die auf Wiesen rumlagen. Außerdem hatten wir all das, was unsere moderne Welt ausmacht, noch nicht. Was hätte aus dem Roman werden können, wären wir damals nicht quasi von Natur aus offline gewesen! Lebte man auf einem Dorf, war man komplett (!) von der Außenwelt abgeschnitten. So jedenfalls kommt es einem vor, obwohl Benno mit dem Auto nach Lübeck zu seiner Redaktion fährt, telefoniert, Zeitung liest, in einer Bibliothek recherchiert …

Die Polizei sind zwei meist abwesende Desinteressierte und ein Dorfsheriff im Nachbarort. Eine Mordkommission gibt es nicht.

wotanWotan!

Dafür aber einen charismatischen Pfarrer, dem sich Carolin anschließt. Und den Aberglauben ‒ Wotan und die alten Gottheiten. Der hält das gesamte Dorf im Griff (nach der Aufklärung, nach dem Kaiser, dem ersten und zweiten Weltkrieg, nach dem „Wirtschaftswunder“, in den 1980ern wohlgemerkt!) und sorgt für allerlei Gräuel in Vergangenheit und Gegenwart.

Dann haben wir noch eine Wundereiche, eine verlassene psychiatrische Gruselklinik, einen netten Deppen mit Messer, böse Botschaften in Form einer Pferdeplazenta und toter Raben, eine tätowierte Geliebte. Polizisten werden angeschossen, Leute ballern in der Gegend rum, was keinen kümmert. In Deutschland! Aufm Dorf! Mal grade einen Steinwurf weit von einer Stadt entfernt. Nee, is klar.

Und jammert und jammert

Was hätte man Wunderbares mit einer Wundereiche anstellen können! Wie hätte man die geheimnisvoll heilende Haut des Jungen nutzen können! Steckt nicht jede Menge fantastisches Potential in einem klaustrophobischen Ort wie dieser Klinik? Hätte der Autor da nicht der Welt eine zauberische, „schauerliche“ Nebenwelt hinzufügen können?

Aber nix. Stattdessen jammert Benno über sein schlechtes Gewissen wegen seiner Liebschaft und rennt mit Fragen zu den falschen Leuten, denen er sein Herz ausschüttet, umgekehrt aber null Information bekommt. Am Schluss gibt es einen ballerigen Showdown mit vielen Toten und der umwerfenden Erkenntnis, dass das Landleben nicht so idyllisch ist, wie der naive Großstadtmensch so denkt.

Wenn ein Roman schon nichts zu erzählen hat, wäre es erträglicher, täte er dies geschliffen und stilvoll. Auch das klappt nicht. Ungelenk schleppt sich die Sprache an wiederholten Wiederholungen haftend (was psychologisch interessant sein kann, literarisch aber schrecklich ist) mit einigen putzig schiefen Bildern und niedlichen Cliffhängerchen durch die Kapitel. Auch die zunächst spannend angelegten Figuren sind nur, was sie sind. Alles endet im Realbanalen. Das ist sehr bedauerlich, und so bleibt nach der Lektüre nur ein merkwürdiges Gefühl von vertanen Chancen, Ratlosigkeit und der Ärger über die verschwendete Zeit zurück.

Anne Kuhlmeyer

Stefan Kiesbye: Messer, Gabel, Schere, Licht. Roman. Stuttgart: Klett-Cotta/Tropen 2014. 336 Seiten. 17,95 Euro. Verlaginformationen zum Buch. Foto: Wotan/Quelle. Zur Homepage von Anne Kuhlmeyer & zum Blog.

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