Geschrieben am 29. Oktober 2011 von für Bücher, Crimemag

Steinar Bragi: Frauen

Fran Ray (2)

– Kurz nach der Buchmesse erreichte uns die Mitteilung einer Tageszeitung (die hier nicht genannt werden will), dass wir – als Plattform für Kunst und Literatur – doch unserer Verantwortung nachkommen sollten und die Leserschaft – unter denen sich ja sicher einige Minderjährige und (ja, gerade in unseren prekären Zeiten) nervenschwache, psychisch angegriffene Personen befänden – vor gewissen Büchern warnen sollten.

Selbstverständlich nehmen wir diese Aufforderung als informative, meinungsbildende und nun – auch unterhaltende – Plattform sehr ernst und möchten hier an dieser Stelle ausdrücklich vor der Lektüre des obengenannten Buches warnen.

„Frauen“ – Eine Warnung

Der Alp

Unsere Mitarbeiterin Fran Ray, selbst Frau, bestätigte nach der Lektüre des Romanes zwei Nächte lang von Alpträumen geplagt worden zu sein, auch sei sie inzwischen nicht mehr in der Lage, ohne Panikattacken einen weiß gestrichenen Raum zu betreten, insbesondere wenn es sich dabei um ein in einem Hochhaus gelegenes Schlafzimmer handelt. Die Kosten für die farbliche Umgestaltung ihres eigenen Schlafzimmers – und mehrere Psychotherapie-Sitzungen – werden wir dem Verlag in Rechnung stellen. Zurzeit befindet sich Frau Ray in psychiatrischer Obhut.

Nur der professionellen Disziplin von Frau Ray ist es zu verdanken, dass sie uns doch noch eine Rezension liefern konnte. Wir möchten uns bei Ihnen, verehrte Leser, bereits vorher für einige Formulierungen entschuldigen, die der angegriffenen Psyche von Frau Ray zuzuschreiben sind.

Hier die unredigierte, sehr persönliche Fassung, die sie offenbar in einer emotional aufgeladenen Stimmung verfasst hat.

Wie Spanien Sonne und Oliven ist, ist Island Kälte, Eis, Schnee – und weiß. Wunderbar, dachte ich, als ich mir das Buch von Steinar Bragi mit dem anmaßenden Titel „Frauen“ vorgenommen habe, endlich mal keine Dottir oder ein Sson, der genau diese Klischees wieder bemüht und einen trinkenden, einsamen Kommissar in der polaren Einöde über Tote unterm Eis stolpern lässt.

Steinar Bragi

Die Falle

Einen Alice-Schwarzer-Roman habe ich auch nicht erwartet – obwohl mich der sicher interessieren würde – weil das Klappenfoto einen Mann, immerhin erst 1975 geboren, zeigt. Ich hätte stutzig werden sollen, ja, und zwar aufgrund seiner Studienfächer: Komparatistik, Philosophie (kein Journalismus!). Das lässt nichts Einfaches, Geradliniges, gut Unterhaltendes erwarten. Doch wahrscheinlich hat mich sein irgendwie hintergründiger Gesichtsausdruck, dieser Blick aus den Augenwinkeln, neugierig gemacht – und ich bin in die Falle gegangen.

Am Anfang noch habe ich mich bequem auf meinen Lesesessel zurechtgerückt und bin wohlig gespannt einer Eva Einársdottir in ein Hochhausluxusapartment in Reykjavik gefolgt. Ein Banker, mit dem sie, die Dokumentarfilmerin mit Wohnsitz in New York, im Rahmen einer Filmförderung sprach, hat ihr eben diese, seine Wohnung angeboten, weil sie leersteht und Eva eine vorübergehende Bleibe in Island sucht. Einzige Bedingung: Sie soll sich um die Pflanzen und um den Kater kümmern.

Natürlich habe ich erwartet – wie jeder geübte Leser (vor allem Krimileser), dass diese so großzügige Offerte noch einen versteckten Haken hat.

Und ja … es gibt keine Pflanzen, der Kater taucht auf und verschwindet wieder, irgendwie über unsichtbare Pfade. Doch diese Merkwürdigkeiten sind erst der Anfang eines sich langsam entfaltenden Horrorszenarios: Die Nachbarin, eine schrille Alte, drängt sich Eva auf und klärt sie über Evas Vorgängerin auf – und es dauert nicht lang, bis Eva Überwachungskameras, eine seltsame Tür, Metalldrähte auf den Balkon-Zwischenwänden und eine merkwürdige Wandstruktur entdeckt.

Der Suff

Eva trinkt alle etwaigen Bedenken weg, wie sie es schon lange tut, auch, was die Beziehung zu ihrem Mann angeht, dem eigentlichen Grund, weshalb sie von New York nach Island zurückging – und sich nun in diesem Apartment befindet.

Sie trinkt viel und bald scheint sie sich in einer Art Dauerrausch zu befinden, einem Auf- und Ab von Vergessen, Erinnern, von Angst und Gleichgültigkeit, von Alptraum und Erwachen.

Ist die Aufforderung also real, sich mit dem Gesicht an die Wand zu drücken? Und was ist mit dem fremden Mädchen? Was mit den brutalen sexuellen Foltern? Sind die erdacht? Was hat ihr Mann mit all dem zu tun? Hat er überhaupt etwas damit zu tun? Oder ist es eine Inszenierung des perversen deutschen Künstlers, der offenbar gerade in Island weilt?

Ich bin schon längst von meinem Lesesessel aufgestanden, ertappe mich dabei, wie ich die weißgetünchte Wand meines Schlafzimmers nach verdächtigen Mulden und haarfeinen Öffnungen untersuche, wie ich verstohlen den Portier meines Hotels auf der Buchmesse mustere, wie ich Notausgangstüren suche, Balkontrennwände inspiziere und – nicht einschlafen will. All die Splatter-, Maden- und wie man sie sonst nennt Thriller sind nichts dagegen, nichts gegen diesen Alptraum, den dieser smarte Isländer da heraufbeschworen hat, dieser Mann, dieser Steinar Bragi, der seinen Roman einfach „Konur“, „Frauen“, nennt, so als wisse er, dass alle Frauen genau mit diesen Ängsten, diesen Horrorvorstellungen durchs Leben gehen!

Wurde Eva wirklich in eine Falle gelockt?, frage ich mich. Und plötzlich weiß ich: Die Falle lauert in uns, sie lauert in mir, wartet bloß darauf, zuzuschnappen, mich zu foltern und zu töten wegen all der Schuld, die ich auf mich geladen haben, wegen …

Aus!

An dieser Stelle bricht Frau Rays – sehr persönliche – Buchbesprechung ab.

Wir sind der Aufforderung nach Aufklärung und Warnung nachgekommen und weisen nun ausdrücklich daraufhin, dass wir jegliche weitere Verantwortung hinsichtlich gesundheitlicher Schäden oder Beeinträchtigungen, die sich nach oder während der Lektüre einstellen sollten, ablehnen. Die Lektüre erfolgt ausschließlich auf eigene Gefahr.

Frau Ray wird sich selbstverständlich über Zuschriften freuen, auch wenn sie nicht sofort in der Lage sein wird, sie zu beantworten.

Fran Ray

Steinar Bragi: Frauen (Konur, 2009). Roman. Deutsch von Kristof Magnusson. München: Antje Kunstmann 2011. 272 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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