Mit Lichtinstallationen und viel Lärm zum Mann
‒ Es spukt in der Geisterbahn. Man muss schon Stephen King sein, wenn man daraus allen Ernstes noch was machen möchte. King kann es, findet Sophie Sumburane.
Stephen King, wer kennt ihn nicht? Den mittlerweile 65-jährigen Master of Horror, dessen Bücher fast ausnahmslos zu Bestsellern avancierten. Bücher, die ich mit 15 mit Taschenlampe unter der Bettdecke las, und nun, mit 25 im Strandkorb unter der Sonne. Und so unterschiedlich wie meine Leseplätze sind auch die Schauplätze von Stephen Kings neuestem Roman „Joyland“.
„Joyland“ ist irgendetwas zwischen Kriminalroman und Horrorstory, eigentlich ist es beides. Elegant verknüpft King die Genres und findet noch Platz, für eine geschickt eingeflochtene Adoleszenzerzählung. Der Leser befindet sich an einem abgefahrenen Schauplatz, dem namensgebenden Vergnügungspark, der alles andere ist als ein schillerndes Disneyland. Handarbeit ist gefragt im Jahr 1973, an den Maschinen, Karussells und auf den Gästeklos. Mit vollem Körpereinsatz sind Grünschnäbel und erfahrenen Schausteller darum bemüht, das zu tun, was der 90-jährige Besitzer von ihnen verlangt: Spaß zu verkaufen. Auf Jahrmarktart, mit Wahrsagerin, Schießstand, Riesenrad und dem Wiggle Waggle-Kinderland. Aber auch mit Achterbahn, dem Shaker und dem Thunderbird. Aber vor allem mit dem House of Horror, einer Geisterbahn, in der es spuken soll ‒ wo kämen wir denn da hin, ein Stephen King ohne Spuk?

Joyland-Promoseite
Doch warum spukt es? Niemals grundlos, natürlich. Die von ihrem Freund ermordete Linda Gray, das letzte Opfer eines Serienkillers, kann erst Ruhe finden, wenn der Unhold gefasst ist. Die Ermittlungen sind eingestellt, und so fleht sie als Geist in der Geisterbahn die Aushilfen des Vergnügungsparks an, stumm, mit nach oben gedrehten Handflächen bittend.
Und wir haben Devin. Den 21-jährigen College-Studenten, der in der Ich-Perspektive von seinem Alltag als Aushilfe berichtet, den Schmerz über seine zerbrochene Liebe zu bewältigen sucht und einsame Abende in seinem Pensionszimmer mit Tolkien verbringt während er versucht, nicht daran zu denken, wie gern er ES tun würde.

Autor Stephen King (Foto © Shane Leonard)
Joyland
Ziemlich umfangreicher Stoff, mancher Autor hätte sich an den losen Enden seiner gesponnenen Handlungsfäden aufgehängt, nicht aber Stephen King. Er verbindet unterhaltende Elemente, das laute Getümmel eines Vergnügungsparks, mit all dessen schönen und hässlichen Seiten, mit moralischen Gedanken, Momenten der Stille, der Trauer, des Glücks, die so zärtlich erzählt sind, das der Leser unweigerlich mitlacht, -weint oder nachdenkt. Festgemacht an nur wenigen Figuren, welche King scharf zeichnet. Keine Figur ist zu viel, jede hat ihren Platz – auf beiden Seiten der Story. Selbst vermeintliche Nebenfiguren treiben die Handlung voran, sind mit liebevollen Details ausgestattet und könnten Ihnen morgen im Supermarkt begegnen. King spielt dabei mit den Schausteller-Klischees, entwirft Schausteller, von „altem Schrot und Korn“, die der Leser sich vollkommen anders vorgestellt hätte, während ein Grünschnabel nach drei Tagen zum „geborenen Schausteller“ erklärt wird – und zwar von niemand geringerem als dem Chef persönlich.
Und dieser geborene Schausteller, Devin (der, wie viele von Kings Protagonisten – natürlich – davon träumt, oder sogar davon ausgeht, Schriftsteller zu werden), entschließt sich nun auch, auf Grund der „gebrochenes Herz-Krankheit“, über die Sommerferien hinaus in Joyland zu bleiben und kämpft schließlich auf mehreren Schlachtfeldern. King führt dem Leser subtil Ideen vor, könnte der Mörder einer der Angestellten von Joyland sein? Die Gedanken der Figuren drehen sich in eine Richtung, scheinen die Idee des Lesers zu tragen, nur damit King dem Leser genüsslich die Bretter unter den Füßen wegziehen kann. Dann steht man da, in dem Loch ohne Ansatzpunkt und ist doch nicht allein gelassen. Die verzweigten Geschehnisse lassen kein Innehalten zu, auch, wenn der Weg zu Ende scheint.
Kreative Klischees
„Joyland“ ist die gefühlvolle Erzählung von einem jungen Menschen, der sein Mann-sein entdeckt, als Howie im Hundekostüm für Kleinkinder tanzt, vor der Mittagspause schnell noch die Kotze auf dem Herrenklo aufwischt und Abends auf dem Heimweg mit dem an Knochenschwund leidenden 8-jährigen Sohn der Schönheit Annie Drachen steigen lässt. Und das alles ohne Kitsch, aber mit viel Trubel, Blut und Lichtinstallationen. Krachen, Gewehren und – natürlich – dem obligatorischen Gewitter, welches den Show-Down begleitet. Wie oft spielt King mit Genre-Klischees. Nicht mit den Genres, denn die definiert er so neu. Und so überrascht es auch nicht, dass „Joyland“ vollkommen überraschend endet ‒ mit einem Mörder, den nun wirklich niemand im Verdacht hatte, und das nicht, weil er vorher einfach nie vorkam.
Mit 352 Seiten ist „Joyland“ eher eines von Kings schlankeren Büchern, jedoch gilt das nur für den Umfang, nicht für den Stoff. Und der Leser weiß von der ersten Seite an: „Irgendwann hört jeder Spaß auf.“
Sophie Sumburane
Stephen King: Joyland
(Joyland, 2013). Roman. Deutsch von Hannes Riffel. München: Heyne 2013. 352 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zu Stephen Kings Homepage. Mehr zu Sophie Sumburane.