Geschrieben am 19. September 2012 von für Bücher, Litmag

Steven Uhly: Glückskind

Mit Mut und Witz vom Glück erzählt

– Was tun, wenn man die Mülltonne öffnet – und einem aus derselben ein frisch geborenes Baby entgegengrinst? Steven Uhly, Münchener Schriftsteller mit deutsch-bengalisch-spanischen Wurzeln, hat in seinem neuen Roman „Glückskind“ aus einer möglichen Antwort eine fabelhafte Geschichte gezaubert. Von Ulrich Noller

Nichts zu essen im Haus, Chaos in allen Zimmern, die Müllsäcke stapeln sich, die Klamotten ewig nicht mehr gewechselt und im Kopf eine unendliche Verlorenheit – Hans D. hat sich längst von seinem Leben verabschiedet, als er eines Tages wider Willen doch nach draußen muss, um seinen Hartz-IV-Verlängerungsantrag auf den Weg zu bringen. Wenn schon, denn schon, denkt er sich und nimmt wenigstens ein paar der Müllsäcke mit nach unten. Und als er dann die Tonne öffnet, liegt da besagtes Baby.

Was tun also?

Hans D. handelt instinktiv – und nimmt das kleine Wesen mit nach oben. Eine Entscheidung mit Folgen. Er kann ja nun schon bald gar nicht mehr anders, als ins Leben zurückzufinden, muss Nahrung, Windeln, Wäsche besorgen. Er hüte vorübergehend das Enkelkind, so seine Legende vor den Menschen aus der Nachbarschaft.

Die nimmt ihm allerdings schnell keiner mehr ab. Sowieso nicht, weil Hans D. nun mal ein unrasierter, ungewaschener Penner ist. Aber dann kommt die Geschichte auch noch dicke in alle Medien, denn die Mutter des Findelkinds bezichtigt sich öffentlich, ihre Tochter getötet und weggeworfen zu haben. Felicia heißt die Kleine, die Glückliche. Und glücklich ist sie nun wirklich, das kann man so sagen. Denn während die Polizei allerorten den Müll durchkämmt, kümmert sich bald ein ganzes Netzwerk aus Nachbarn und Bekannten zusammen mit „Großvater“ Hans um Felicia, und zwar auf die allerbeste Weise …

 Sozialkitsch? Nein!

Sozialkitsch, könnte man befürchten. Ist aber keineswegs der Fall. Denn Steven Uhly erzählt ganz unbetroffen und unprätentiös, mit einem gutem Blick für Details, mit Humor und vor allem mit viel Hochachtung für seine Charaktere. Die, natürlich, allesamt irgendwie Gebrochene sind – und nun mit und um Hans D. und Felicia herum erblühen.

Steven Uhly, geboren 1964 in Köln, deutsche Mutter, bengalischer Vater, spanischer Stiefvater, entpuppt sich mit seinem dritten Roman als großer Erzähler der kleinen Leute. Uhly erzählt sanft und sacht, bleibt dabei doch klar und genau, und er beweist, dass man mit etwas Mut und Witz vom Glück und von den Gefühlen anrührend berichten kann, ohne dabei kitschig zu sein. „Glückskind“ ist nicht einfach nur ein Roman – sondern ein Glück von einer Geschichte.

Ulrich Noller

Steven Uhly: Glückskind. Zürich: Secession Verlag für Literatur 2012. 260 Seiten. 19,95 Euro.

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