Geschrieben am 3. März 2005 von für Bücher, Musikmag

Studs Terkel: Giganten des Jazz

Große Liebeserklärung an den Jazz

Geschrieben mit Verve und Drive von jemandem, dem die Musik und ihre Protagonisten mehr am Herzen liegen als Spezialistentum, als akribische biographische Forschung.

Man könnte das Buch zum Beispiel so besprechen: Was soll uns eine Portraitsammlung von 13 Jazzgrößen aus dem Jahr 1957 bringen, die biographisch und in ihrer Wertung dieser „Giganten“ nichts Neues bietet? Und sich obendrein eines putzigen Anekdotismus´ bedient, der manchmal daherkommt wie Genre-Bildchen von Norman Rockwell. Da hämmert der kleine Dizzy Gillespie mit seinen „kleinen Wurstfingern“ auf dem elterlichen Klavier herum und seine Mutter „spähte durch den Türspalt und schüttelte leise lachend den Kopf“. Oder: „Der runde, pausbäckige Junge grinste fröhlich“ – das ist Thomas „Fats“ Waller, der sich gerade an eine „prachtvolle, neue Orgel“ gesetzt hat. Benny Goodman war in dieser Lesart nicht etwa ein Ekelpaket, sondern lediglich ein bisschen streng zu Nutz und Frommen seiner Musik, Count Basie war immer fröhlich, Duke Ellington immer elegant und Bessie Smith und Billie Holiday hatten nicht unbedingt sehr problematische Lebensläufe voller Gewalt und Ausbeutung.

Man könnte auch den strengen Musikkritiker geben und einwenden, dass Lester Young nicht gerade „der Erfinder“ des Cool Jazz war und Miles Davis mit seinem „runden und weichen“ Ton auf der Trompete deswegen nicht sehr gekonnt cool gespielt haben konnte. Man könnte auch die hübschen, zarten Illustrationen der Zeit (sie stammen von Robert Galster) zopfig finden.
Das könnte man alles aufzählen und hätte völlig recht. Und völlig unrecht. Denn die Musiker-Porträts von Studs Terkel sind eine große Liebeserklärung an den Jazz, geschrieben mit Verve und Drive von jemandem, dem die Musik und ihre Protagonisten mehr am Herzen liegen als Spezialistentum, als akribische biographische Forschung. „Giganten des Jazz“ ist ein liebenswertes, warmherziges, begeistertes Buch, das seine Begeisterung mitteilen, kommunizieren will. Und zwar nicht denen, die eh schon alles wissen, sondern denen, die noch zu begeistern sind, die noch neue Hörwelten eröffnet bekommen wollen.

„Jazz ist die Musik von vielen“ heisst die Coda von 1975, die auch trotzig „Jazz ist die Musik für viele“ heissen könnte. Geschrieben zu einem Zeitpunkt, an dem Jazz endgültig zur Minderheitenmusik geworden schien. Aber gerade da insistiert Terkel auf dem Prozess-Charakter seiner Musik, auf den langen, nie endenden Entwicklungslinien, die schließlich aber doch King Oliver und John Coltrane logisch verbinden. Er insistiert auf der integrativen Kraft von Jazz, auf seinen ungezählten Möglichkeiten der kreativen Auffächerbarkeit, ohne das Grundmotiv zu verlieren: Die „Sprache der Freude und der Freiheit“ zu sein.

Studs Terkel war (und ist immer noch) die Stimme des „anderen Amerika“; ein linker Patriot, wie einmal jemand treffend schrieb, der mit aller Souveränität auch die anscheinend naive Freude an Amerikas grösstem Beitrag zur Kultur des 20. Jahrhunderts ausleben und auschreiben kann. Deswegen lohnt sich die Lektüre des Büchleins auch heute noch. Seite für Seite.

PS: Achtung, liebe Leserinnen und Leser, es treten in der deutschen Ausgabe Menschen auf, die Gene Goldkette heissen, Jo Johns oder Pharaoh Saunders. Die gab es nicht. Wohl aber solche, die Jean Goldkette heissen, Jo Jones oder Pharoah Sanders.

Thomas Wörtche

Studs Terkel: Giganten des Jazz (Giants of Jazz, 1957; 1975). Dt. von Karl Heinz Siber. Frankfurt am Main: Zweitausendeins 2005; 234 Seiten, 14 Euro.