Geschrieben am 3. Juni 2015 von für Bücher, Litmag

Tex Rubinowitz: Irma

U1_978-3-498-05799-2.inddDas ungemachte Bett des Lebens

–Tex Rubinowitz ist ein rühriger Zeichner, Maler, Schauspieler, Herausgeber, Kurator, Reisejournalist und schließlich auch Romanautor, der 2014 mit dem „Bachmann“-Preis ausgezeichnet wurde. In „Irma“ lässt das 1961 als Dirk Wesenberg geborene Multitalent auf höchst originelle Weise ein Leben Revue passieren. Ohne Zweifel steckt in diesem Buch eine ganz gehörige Portion Autobiografisches, aber die eigentliche Frage ist, ob es dabei eher darum geht, „richtiges Leben falsch zu erzählen … oder ein falsches Leben richtig“. Von Karsten Herrmann

Der Ich-Erzähler alias Dirk Wesenberg alias Tex Rubinowitz steigt in seine Vergangenheit mit der titelgebenden Irma ein, die ihn nach 30 Jahren plötzlich auf Facebook kontaktet. Kennen gelernt hatte er die Litauerin aus Hannover in Wien, wo er Kunst studierte. Irma rauchte Kette, lutschte an Batterien, aß nicht, lernte Koreanisch und war ansonsten rundum pragmatisch, „also unangreifbar, wie alles an ihr und mit ihr“. Ihre gemeinsame Liebe, die mit einem Zettel auf dem Küchentisch begann und endet, war wie „ein noch nicht angekommenes Geräusch“ – und genauso werden auch die zukünftigen Freundschaften und Beziehungen des Ich-Erzählers aussehen: Es bleibt bei allem Verlangen nach Liebe und Hingabe immer ein Stück Distanz, eine Bindungsunfähigkeit wie bei zwei gleichgerichteten Magneten.

Die Streifzüge durch die Vergangenheit und die sich daran anknüpfenden Bezüge machen schnell klar, dass hier ein Mensch erzählt, der sich nicht in vorgegebene Bahnen und Muster begibt: Mit sechzehn Jahren ist er in Lüneburg von der Schule geflogen und zog in eine WG, jobbte bei einer Joghurtfabrik und absolvierte „eine Schule des Trinkens“. Später reist er durch nahe und ferne Länder, unter anderem 1984 mit der Transsibirischen Eisenbahn, und sammelt absonderlich-bizarre Erfahrungen wie andere Menschen Briefmarken.

Mit exzentrischem und wohltuend selbstironischem Blick schaut der Ich-Erzähler auf die Welt und wühlt sich mit Wonne durch das „ungemachte Bett des Lebens“. Mit verblüffenden Metaphern, funkensprühenden Verbindungen und überraschenden Hintergründen hinterfragt und dekonstruiert er das scheinbar Normale und beleuchtet schonungslos die blinden Flecken im Bewusstsein. Brillant sind seine eingestreuten Mini-Essays über den „V-Effekt“ bei „Derrick“ oder über die „Durchstreichung“ als „sichtbare Selbstkorrektur“ und „ironisch behaupteter Sinneswandel“.

Leben wird in „Irma“ nicht mit einem roten Faden und einem dramaturgischen Spannungsbogen, sondern in Fragmenten und einer Mischung aus Erinnerung, Reflexion, Assoziation, Pop, Trash und Travestie erzählt. „Irma“ ist ein Buch mit Stacheln und Widerhaken, aber auch voller Esprit, schrägem Humor und subversiver Zusammenhangsdurchstoßung. Es ragt damit weit aus der üblichen Literaturproduktion heraus und hat eindeutig das Zeug zum Kultbuch.

Karsten Herrmann

Tex Rubinowitz: Irma. Rowohlt 2015. 283 Seiten. 19,90 Euro.

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