Geschrieben am 5. April 2008 von für Bücher, Crimemag

Thea Dorn: Mädchenmörder

Tour des fous

Thea Dorn schockiert in „Mädchenmörder“ nicht allein mit unglaublichen Gewaltorgien, sondern auch mit einem unfassbaren Seelenstriptease ihrer Hauptfigur

Thea Dorn will mit ihren Büchern schockieren. Um des Schocks oder der Kunst willen, das bleibt wohl auf immer ihr Geheimnis. Auch wenn sie neulich in einem Essay für die WELT behauptete, Kunst müsse „schonungslos, dreckig und befreiend“ sein, um ihre geistesreinigende Wirkung zu entfalten. Ob ihr neuester Schocker „Mädchenmörder“ schon deshalb Kunst ist, weil darin reihenweise Frauen vergewaltigt und verstümmelt werden und die fiktive Erzählerin eine masochistische Romantikerin ist, darf nach der ebenso wenig appetitlichen wie wenig anregenden Lektüre bezweifelt werden. Denn das Maß an Gewalt und der Grad an psychischer Verderbtheit bei ihren „Helden“ machen nicht die künstlerische Qualität eines Romans aus. Sondern das Maß an Plausibilität und der Grad an intellektueller Durchdringung des Sujets.

Aber die akademisch plaudernde Philosophin scheitert nicht nur an den literarischen Hürden, sondern auch an ihren eigenen kunsttheoretischen Zielen. Wer sich auf die Spuren eines 32-jährigen Massenmörders und seines gekidnappten und gedemütigten Opfers begibt und ihnen mit psychoanalytischem Küchenlatein beikommen möchte, eröffnet dem Leser nicht unbedingt neue Einblicke in die Abgründe der menschlichen Seele. Dazu wissen wir über die Fälle Kampusch, Dutroux oder das gerade angeklagte „Monster der Ardennen“ mittlerweile zu gut Bescheid. Wie es in den Köpfen der überlebenden Opfer und der brutalen Täter aussieht, darüber können wir in der Tat nur spekulieren oder aber den Erkenntnissen versierter Kriminalpsychologen und Profiler vertrauen. Doch dass ein mittelmäßiger Radprofi seine verkorkste Karriere mit der Erniedrigung und Ermordung junger Frauen kompensiert und sein widerspenstigstes Opfer sich am Ende in ihn verliebt, weil sie in seinen Taten ein höheres Schicksal am Werke sieht, ist etwas zu viel des fiktional Nachvollziehbaren.

Kathartische Horrorlektüre für Gutmenschen?

Wer wie die Autorin behauptet, dass Kunst dem Menschen bewusst machen soll, „dass er ebenfalls ein Leid zufügendes, verletzendes Wesen ist“, vergisst, dass die Nachrichtensendungen und die Literatur bis heute Zeugnis davon ablegen. Auch Dorns Vorwurf, dass die unverbesserlichen Gutmenschen einer kathartischen Horrorlektüre bedürften, damit aus ihnen wehrbereite Tatmenschen werden, ist absurd. Nur weil der überwiegende Teil der Wohlstandsverwöhnten in seinem Leben nie mit Gewalt in Berührung gekommen ist, heißt das noch lange nicht, dass er sie automatisch ausblendet. Und nur weil viele Bildungsbürger ihre Bücher lieber nicht anrühren lassen, heißt das noch lange nicht, dass sie gewaltästhetisch blind sind. In ihrem aktuellen Opus ist nicht die dargestellte Brutalität des Täters unerträglich. Sondern das neunmalkluge Gesülze des 19-jährigen Opfers Julia Lenz. Eine Einser-Abiturientin, die während der Entführung munter über ihre heuchlerische Mutter, ihre oberflächliche Schopenhauerlektüre und sensationsgeile Medien räsoniert.

Das Schockierende an Dorns Roman ist nicht das lustvolle Morden und Meucheln der Opfer oder das scheinbar eiskalte Gemüt des Täters, sondern die Art und Weise, wie die fiktive Erzählerin die zweiwöchige „Tour des Fous“ von Aachen über Belgien und Frankreich bis nach Spanien seelisch verarbeitet. Denn in der Brust des traumatisierten Teenagers wohnen – frei nach Goethes „Faust“ – zwei Seelen. Eine helle, die den Peiniger verdammt, und eine dunkle, die ihn abgöttisch verehrt. Mit den Augen des Normalos schreibt sie gegen ein üppiges Honorar den von der neugierigen Masse erwarteten Bestseller zur Tortur. Mit den Augen des Brutalos, ihr offenes Bekenntnis zur Gewalt und zu ihrem Peiniger.

Dass die Anwärterin auf ein Stipendium der „Studienstiftung des Deutschen Volkes“ den für das allgemeine Publikum bestimmten Bericht als absurde Mischung aus tiefenpsychologischer Analyse, schwarzem Humor und Selbstironie formuliert, ist dabei ebenso unglaubhaft wie die verrohten und verkitschten Briefe an ihren Vergewaltiger im zweiten Teil des Romans. Vom abenteuerlichen dritten und letzten – aus der Feder ihrer Tochter stammenden – Teil schweigen wir lieber.

Wenn man diesen bitter-ironischen „Liebesroman“, der weder als Thriller noch als Belletristik durchgeht, nicht als solchen versteht, hat dies nichts mit einem Mangel an ästhetischer Bildung zu tun, wie Dorn es den „zartbesaiteten“ Bildungsbürgern in der WELT vorwirft. Ganz im Gegenteil. Die so sehr auf die ästhetische Bildung des Lesers pochende Autorin hat es bei der literarischen Umsetzung genau daran fehlen lassen. Die bereits mit mehreren Krimi-Preisen belohnte Autorin wird mit „Mädchenmörder“ wohl keine neuen literarischen Lorbeeren ernten. Nicht, weil sie die Regeln des bildungsbürgerlichen Geschmacks verletzt hätte. Nein, weil sie die Regeln für einen spannenden, plausiblen und intelligenten Plot missachtet hat.

Jörg von Bilavsky

Thea Dorn: Mädchenmörder. Ein Liebesroman. Manhatten, München 2008, 336 Seiten, 19,95 Euro.