Geschrieben am 19. Oktober 2011 von für Bücher, Litmag

Thilo Bock: Senatsreserve. Ein Provinzroman

Tief im Osten des Westens

– Thilo Bock ist ein Berliner Urgewächs und genießt in Wedding mit seiner regelmäßigen Szeneveranstaltung „Dichter als Goethe“, wo er liest, singt und trinkt, sowie mit seinen Schreibwerkstätten Kultstatus. In seinem zweiten Roman führt er uns kurz vor der Wende in die tiefe Provinz seiner Heimatstadt, in das Märkische Viertel. Von Karsten Herrmann

Das Märkische Viertel – kurz MV – ist ein „städtebauliches Experiment im äußersten Osten der westlichen Welt“, ein Retorten-Stadtteil, der aussieht wie „ein zusammengefaltetes nach Farben sortiertes Gebirge, eine Endmoräne aus Beton“. Hier heuert der 20-jährige Karsten Grube als Praktikant eines lokalen Anzeigenblatts beim abgehalfterten Reporter und Kettenraucher Martin Horn an. Gleichsam als ethnologische Studie liiert sich Karsten mit seiner ehemaligen Schulkameradin und MV-Ureinwohnerin Simone, um sich dann prompt in deren Mutter zu verlieben.

Dann stößt das journalistische Duo Infernale zwischen den ewig gleichen Sekt- und Schnittchen-Empfängen auf einen Skandal beim Ausbau der im MV sehnsüchtig erwarteten U-Bahnlinie 8. Bei ihren Recherchen versinken sie im doppelten Sinne des Wortes in den Berliner Untergrund, wo sie unter anderem an Luden, Huren, windige Geschäftemacher und korrupte Politiker geraten.

Dahinplätschern im Anekdotischen

Atmosphärisch dicht und zum Teil breit berlinernd führt Thilo Bock den Leser durch die noch geteilte Stadt mit ihrer Wagenburgmentalität und bringt dabei schon fast wieder vergessene historische Details ans Tageslicht. Exemplarisch dafür die Titel gebende „Senatsreserve“, die Karstens Vater als Geheimnisträger und antikommunistisches Bollwerk sorgfältig inspiziert, inventarisiert und regelmäßig umwälzt: „Vorräte für den Krieg, den Ernstfall, für die nächste Berlinblockade.“

Doch dann kommt die überraschende Wende, für die Bocks Protagonist jedoch nur spöttische Kommentare übrig hat: „Benommen steht dieses unversehens mit sich einig gewordene Volk Bananen mampfend da und bejubelt das dicke Auslaufmodell aus Bonn in seinem übergroßen Mantel der Geschichte, als könne er im Glanze ungeahnten Glücks blühen wie eine Landschaft, die man leider hat vergessen anzulegen.“

Ohne Zweifel ist Thilo Bock ein höchst unterhaltsamer, intelligenter und witziger Erzähler. Wie so vielen Erzähltalenten der jüngeren Generation gelingt es ihm jedoch nicht, den Spannungsbogen über die ganze Länge seines gut 300-seitigen Romans aufrechtzuerhalten. Zunehmend tritt die Handlung so auf der Stelle und verplätschert langsam im Anekdotischen und Zotigen.

Karsten Herrmann

Thilo Bock: Senatsreserve. Ein Provinzroman. Frankfurt am Main: Frankfurter Verlagsanstalt 2011. 320 Seiten. 19,90 Euro.