Geschrieben am 26. Januar 2009 von für Bücher, Litmag

Thomas Bernhard: Meine Preise

Labsal, unverhofft

Vor fast 20 Jahren starb Thomas Bernhard. Nun spricht er wieder, zart und bissig und in keiner Weise überholt. Von Gisela Trahms

Der Leser, der endlich den Schriftsteller fand, dessen Bücher ihm notwendig sind, wünscht naturgemäß, dass der Schriftsteller niemals aufhöre zu schreiben, sondern auch nach seinem Tode weiterschreiben und Manuskripte von wo auch immer herüberreichen möge. Vergebens.

Welch ein staunenswertes Glück also, dass im Falle Thomas Bernhards nun das Grab als Nachlass zu sprechen begonnen hat und ein vollständiges, unbekanntes Bernhardbuch erschienen ist! Es heißt Meine Preise und setzt die Bände der Autobiographie fort, indem es den Ich-Erzähler als Schriftsteller vorführt, und zwar als ausgezeichneten Schriftsteller. Der Untertitel lautet „Eine Bilanz“, aber es wird nicht bilanziert, sondern in schönster Bernhard-Weise erzählt, so heiter, so selbstironisch wie selten, auch wenn es an Fett, das die anderen abbekommen, wahrhaftig nicht mangelt.

Gefreut haben ihn nur zwei Preise, der erste und der letzte. Für Frost, den Roman, der ihn 1963 berühmt machte, erhielt er den nach dem Heine-Verleger benannten Julius-Campe-Preis, worüber er „in tiefstem Herzen glücklich“ war. Stolz ging er herum und „erklärte, wer Julius Campe war, was niemand in Wien wußte und wer Heinrich Heine war, denn auch das wußten viele Leute in Wien nicht…“. Zudem kam der Preis aus Hamburg, „aus jener Stadt, die ich damals am meisten liebte und die immer zu meinen mir liebsten Städten gehört hat…“ Ja, ist es zu fassen? Bernhard als liebender Lobredner? Wissen die Hamburger, welche Ehre ihnen da zuteil wird?!

Auch der letzte Preis, verliehen 1976 von der Österreichischen Bundeswirtschaftskammer für Der Keller (die Schilderung seiner Lehrjahre beim Kaufmann Podlaha), entzückt ihn. Sofort erinnert er sich, wie er als Sechzehnjähriger „auf die virtuoseste Weise Essig und Öl“ in die dünnsten Flaschenhälse hatte fließen lassen, „ohne Trichter“! Beim Festessen sitzt er neben jenem Präsidenten der Salzburger Handelskammer, der ihn vor fast dreißig Jahren prüfte und der sich naturgemäß an diesen Lehrling noch genau erinnert… Und das Schönste am Festakt: Die Kaufleute machen „nicht viele Worte“ und erwarten auch von ihm keine Rede! Wunderbar!

Denn Reden verfassen und halten, wie es bei literarischen Preisen verlangt wird, bleibt für Bernhard der Schrecken aller Schrecken. „Aber wie immer, wenn ich eine Rede halten sollte, fiel mir keine Rede ein… Ich fand kein Thema für eine Rede… Ich dachte, soll ich vielleicht auf die Weltlage eingehen… Oder auf die unterentwickelten Länder?“ Ach Thomas! Wie ergötzlich führst du uns die Sinnlosigkeit solcher Festveranstaltungsschauspiele vor! Drei Beispielreden sind hier abgedruckt, ein dunkel raunendes Gestammel, an dem nur die Kürze beeindruckt. („Gerade als sich die Zuhörer auf meine Rede einzustellen begannen, war sie auch schon vorbei gewesen.“) Dennoch, eine brachte den Kulturminister Piffl–Percevic (!) so auf, dass er türenschlagend den Saal verließ, und schon gab es wieder den allerschönsten Bernhard-Skandal. Das war bei der Verleihung des sogenannten Kleinen Staatspreises für Literatur, eines Förderpreises, den Bernhard 1968 erhielt, da war er 37 und fand diesen Kleinpreis eine Demütigung und Unverschämtheit (immerhin hatte sein Großvater, obwohl durch und durch erfolglos, dreißig Jahre früher auf Vorschlag Carl Zuckmayers den Großen Staatspreis erhalten!).

Gelöstes Gezeter

Ja, warum nimmt Bernhard denn die Preise an? – Das Geld, das Geld! Er, der sich so gut zu vermarkten wusste wie nur wenige in jenen unschuldigen Jahren, stilisiert sich hier als Narr in Lebens- und Finanzdingen. Vom ersten Preisgeld kauft er sein erstes Auto, einen feschen Triumph Herald, der ihm in Jugoslawien zu Schrott gefahren wird. Mit dem Bremer Literaturpreis bezahlt er die erste Rate der Nathaler Vierkanthofruine, weil er das dringende Bedürfnis nach „Mauern“ hat. Während des Festakts sieht er immer nur seine „Mauern von Nathal“ vor sich und wird ungeduldig: „Daß es sich immer so lange hinzieht, dachte ich, bis das Geld endlich flüssig geworden ist…“

Der Text entstand 1980, da war Bernhard schon über Preise hinaus und unterwegs dorthin, wo kein Juror hinauflangen kann. Vielleicht wirkt er deshalb bei allem Gezeter so gelöst, so gar nicht verbissen, sondern widmet sich den Absurditäten des Lebens und also auch des literarischen Lebens mit der Lakonie dessen, der sein Lebensziel gegen alle Wahrscheinlichkeit doch erreicht hat.

Zugleich ist das Buch ein Liebes- und Dankeszeugnis für Bernhards „Lebensmenschen“ Hedwig Stavianicek. Er begegnete ihr als junger, todkranker Mann; die 37 Jahre ältere, kinderlose Witwe nahm ihn auf wie einen Sohn, pflegte ihn, finanzierte Sanatoriumsaufenthalte, war sein Halt in zahlreichen „Existenzkatastrophen“, öffnete ihm die Welt durch Reisen. Gleich auf den ersten Seiten werden wir mit ihr bekannt gemacht: Bernhard hat sich bei einem der feinsten Herrenausstatter Wiens endlich einen Anzug gekauft, voller Stolz präsentiert er sich – Hedwig, die Dame, schaut ihn an und spricht „ihr berühmtes Nun ja“ (!).

Später heißt es: „Mit ihren einundachtzig Jahren sah sie wunderbar aus, elegant, intelligent und sie war mir in diesen Augenblicken so tapfer vorgekommen wie nie.“ Es war keine einfache Beziehung – wie wäre das auch möglich gewesen? Aber in Meine Preise wird spürbar, was „die Tante“ dem Dichter bedeutete. Während er Freunde oft abrupt fallen ließ, kümmerte er sich um sie, die fast neunzig wurde, bis zu ihrem Tod 1984.

Fünf Jahre später starb er selbst. Und nun spricht er wieder, zart und bissig und in keiner Weise überholt, und wir fühlen das Bernhard-Entzücken und auch, wie sehr es uns fehlte.

Gisela Trahms

Thomas Bernhard: Meine Preise. Suhrkamp 2009. 139 Seiten. 15,80 Euro.