Geschrieben am 13. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Tim Staffel: Rauhfaser

Keine Hoffnung auf Erlösung

Tim Staffels Romane kreisen ebenso manisch wie provokant um end- und eiszeitliche Gewalt- und Terror-Szenarien, die er mit einer tiefen Sehnsucht nach Liebe und Heimat kontrastiert. Nach der Apokalypse in „Terrordrom“ und dem Bürgerkriegs-Panorama in „Heimweh“ rücken in „Rauhfaser“ nun die (virtuellen) Medienwelten hart in den Erzähl-Vordergrund.

Tim Staffels Ich-Erzähler Paul lebt mit der Lebensversicherung seiner früh verstorbenen Eltern in den Berliner Tag hinein und lässt sich über einen Beamer von „Achtunddreißig Programmen plus Premiere World“ tätowieren: In einer „Endlosschleife“ fressen sich Kosovo, Intifada, Neofaschisten und U-Boot-Katastrophe in nackte Haut und Seele. Er wird ein Teil der Bilder und ist dabei der „immer selben grenzenlosen Ohnmacht ausgeliefert“: „The matrix has you“.

Im großen weißen Rauschen kann Paul sich im leicht manirierten Duktus nur noch seiner eigenen „Abwesenheit“ versichern und einen sich steigernden „Verzweiflungsgrad“ konstatieren – bis er im Haus gegenüber den jungen David entdeckt und bald darauf kennen lernt: „David ist neunzehn. Ich bin dreiunddreißig. David ist mein ungefickter Sohn.“ Es beginnt ein wilder Trip durch die Party-, Drogen- und Gewaltlandschaften Berlins, ein ewiges rauschhaftes sich umkreisen, anziehen und wieder abstoßen. Das Glück der Liebe bleibt flüchtig und unkalkulierbar – und schließlich lässt sich der ebenso charismatische wie unbestimmte David auf ein Verhältnis mit der erfolgreichen Werbetexterin Sonja ein.

Zweieinhalb Jahre später besucht Paul, der zwischenzeitlich zum – wie symbolisch – Fallschirmspringer geworden ist, das Pärchen und ihre Tochter Marie in einer luxuriösen Familienidylle in Heiligensee. Schnell zerstäubt der schöne Schein und in einem sprachlosen Kreiseln erweist sich das Scheitern jeder Liebe und Vertrautheit.

Tim Staffel erzählt in „Rauhfaser“ eine sperrige Liebesgeschichte, die sich im Sumpf der Gewalt und der zwischenmenschlichen Ohnmacht abspielt. Deutlicher als je zuvor kommt dabei der strenge Moralist zum Vorschein, der seinen schon leicht abgestanden wirkenden kulturkritischen Impetus ungebremsten Lauf lässt: „Die verzweifelte Superfreiheit geht im Gleichschritt mit der totalen, aggressiven Sinnentleerung, weil es keine Ideale, keine Ziele mehr gibt…“ So schnürt sich in „Rauhfaser“ ein fester schwarzer Knoten zusammen, der keine Aussicht auf Katharsis oder Auflösung lässt und fast die Luft zum Atmen nimmt.

Karsten Herrmann

Tim Staffel: Rauhfaser. Collection S. Fischer, 221 S., 12 Euro. ISBN: 3596156572