Melancholisch-Lakonisches vom Ende der Jugend
Unübersehbar autobiographisch angehaucht tastet Hülswitt sich vielmehr in die verborgenen Kammern der Kindheit vor und läßt das Alltägliche und Unscheinbare mit seinem ganzen heimlichen Zauber zutagetreten.
„Das ist Betrug, das kann es nicht sein, daß keiner so lebt, wie er geboren wird, sondern daß alle ihre beschissenen Tricks entwickeln und daß am Ende jeder eine Existenz vorgibt, die vollkommen erlogen, aber nie mehr wieder loszuwerden ist“: In hin- und herpendelnden Bewegungen erzählt uns Tobias Hülswitt in seinem Debut melancholisch bis lakonisch gefärbte Geschichten von der Kindheit bis zum Ausklingen der Jugend – und damit bis zum Abschied von vielen sympathischen Illusionen und den Einstieg in den aufreibenden und verbiegenden Existenzkampf.
Der 27jährige ehemalige Steinmetz und heutige Student am Literaturinstitut in Leipzig ist gewiss kein Autor von großen Themen, spektakulären Handlungen oder marktgängigen Lifestyle-Geplaudere. Unübersehbar autobiographisch angehaucht tastet er sich vielmehr in die verborgenen Kammern der Kindheit vor und läßt das Alltägliche und Unscheinbare mit seinem ganzen heimlichen Zauber zutagetreten. Mit seinen durch ein locker gespanntes Band verbundenen Erzählungen von „Hutzelschlachten“, dem ersten C-Jugend-Fußballtraining, den ersten wilden (Liebes-) Räuschen und Lebens-Enttäuschungen läßt er auch im Leser sehr plastisch Szenen und Gedankengänge wiederaufleben, wie sie wohl fast archetypisch bei jedem Heranwachsenden vorkommen und noch lange nachklingen: „Besonders dann, wenn ich beim Pinkeln auf der Toilette unserer Stammkneipe, die wir Stampfkneipe nannten, meinem Strahl hinterhersah, mit dem ich direkt in eines der kleinen Abflußlöcher zielte, die im Boden des Pissoirs so angeordnet waren, daß sie den Umriß einer Blüte bildeten, stieg mein Selbstvertrauen ins Unermeßliche, ganz gleich, ob ich traf oder nicht. Ich glaubte dann nicht, daß ich, was immer ich wolle, im Leben erreichen könne, sondern daß ich es gar nicht nötig hätte, irgend etwas zu erreichen. Dabei hatte ich in meinem Leben noch gar nichts erreicht.“
Karsten Herrmann
Tobias Hülswitt: Saga. KiWi, 150 S., 14,90 DM