Geschrieben am 11. November 2010 von für Bücher, Litmag

Tom McNab: Finish

Projekt: Pacemaker

In Zeiten, in denen jeder Bundesliga-Spieltag großen Teilen der Nation (Freuden-)Tränen in die Augen und Schweiß auf die Stirn treibt, wird deutlich, wie sehr Sport zum Opium fürs Volk geworden ist. In seinem Roman „Finish“ stellt Tom McNab eben diese Faszination für Sport, die durchaus nicht einer neuzeitlichen Sehnsucht nach manischer Depression geschuldet, sondern tief in der menschlichen Natur verankert ist, in den Mittelpunkt seines Romans. Dass dabei ausgerechnet Amerikas Wilder Westen zum Stadion wird, mag den geneigten Sportsfreund überraschen. Zum Meistertitel reicht es am Ende jedoch nicht, findet Anica Richter.

Once Upon a Time

Das Bild vom sogenannten Wilden Westen ist, Karl May, Sergio Leone und Robert Rodriguez sei Dank, ein relativ simples und vor Klischees überbordendes. Man hat Indianerfürst Winnetou mit Lieblingsbruder Old Shatterhand auf dem Weg zum Silbersee vor Augen, Charles Bronsons Mundharmonika-Melodie im Ohr und Mariachis Männerschweiß in der Nase. Schwarzpulver und Pferdeäpfel inklusive.

Dass es aber auch ganz anders geht, führt Tom McNab in seinem Roman „Finish“ vor, der im Amerika des 19. Jahrhunderts spielt und die Geschichte der Cowboys Billy Joe Speed und Buck Miller erzählt. Dabei unterscheiden sich McNabs Helden jedoch gewaltig von schießwütigen Artgenossen wie Billy the Kid oder Butch Cassidy. Denn die Herren Speed und Miller sind nicht etwa Viehtreiber oder Revolverhelden, die an keinem Saloon und Dekolleté vorbeigehen können, sondern, man mag es kaum glauben, Läufer. Gemeinsam mit dem Schotten Douglas Cameron alias Moriarty, der als Trainer, Mentor und Manager eine Art sportliche Dreifaltigkeit darstellt, tingeln sie quer durch Amerika, um sich in Wettbewerben mit den besten Läufern des Landes zu messen. Und ganz nebenbei verdingen sich die beiden Gauchos auch noch als Schauspieler in Moriartys fahrendem „Theater des Westens“, auf dessen Bühne sie regelmäßig als „King Lear“ und „Othello“ glänzen.

Für eine Handvoll Dollar

Am Ende geht es doch wieder nur ums Geld. Schon Nietzsche wusste, dass in der Kunst nur die frommen Mittel den gewissenlosen Zweck heiligen, und das Gleiche gilt dann auch für den nur vermeintlich fairen Sportler, der den niederträchtigen Wettbetrug erst zu ermöglichen weiß. Denn Trainergott Moriarty, seines Zeichens selbst ein ewig jugendlicher Paradeläufer, peitscht seine Zöglinge Speed und Miller nicht etwa nur für Ruhm und Sportlerehre zu Höchstleistungen an, sondern hat auch den schnöden Mammon stets im Blick. Und so zieht das Gespann mittels (un-)sportlicher Tricksereien allerlei wettfreudigen Sheriffs, Richtern und Arbeitern das hart verdiente Geld so geschickt aus der Tasche, dass selbst Herr Hoyzer feuchte Augen kriegen würde.

Doch diese vermeintlich ökonomisch orientierte Fassade verbirgt niemals den eigentlichen Gemütszustand der Männer. Getrieben von einer oft schmerzhaften Sucht nach Geschwindigkeit, Selbstbestätigung und nicht zuletzt Selbstverwirklichung jagt das Trio Infernale, samt weiblichem Anhang, durch die Prärie von Wettlauf zu Wettlauf, um immer wieder festzustellen, dass jedes neue Ankommen im Ziel das Ankommen im Leben zunichte macht.

The Good, the Bad and the Ugly

Die von McNab angestrebte Verquickung aus Wildem Westen, sportlichem Wettkampf und jeder Menge Theater vermag nur auf den ersten Blick erfreulich zu überraschen. Auf den zweiten Blick funktioniert sie nicht. Und das liegt nicht etwa daran, dass ein Cowboy nicht gleichzeitig auch ein Läufer, ein begnadeter Schauspieler und Shakespeare-Interpret oder sonst dergleichen sein kann. Die Dysfunktionalität der Figuren innerhalb ihrer Lebenswelten begründet sich vielmehr in einer nur oberflächlichen bis nicht vorhandenen Tiefe des Romans.

Tom McNab, dereinst selbst Leistungssportler und Trainer der britischen Leichtathletik-Nationalmannschaft, bereitet es ohne Zweifel große Freude, seine Schützlinge immer wieder von der Start- bis zur Ziellinie zu begleiten, ihnen fast schon übertrieben großartige Laufzeiten zu attestieren und ihnen väterlich tröstend auf die Schulter zu klopfen, falls es doch nicht zur ersehnten Bestzeit gereicht hat. Weitaus weniger emphatisch zeigt sich der Autor jedoch, wenn es darum geht, sich mit seinen Protagonisten jenseits sportlicher Höchstleistung zu beschäftigen. Es gelingt McNab einfach nicht, dem Leser nachvollziehbar zu erklären, worin die fast schon selbstzerstörerische Faszination für den Laufsport seiner drei Helden begründet liegt. Wie kann es sein, dass Pacemaker Moriarty ohne Zögern bereit ist, sein Vermögen, seine Frau, ja sogar sein Leben aufs Spiel zu setzen, nur um einen um sich selbst kreisenden und in sich gefangenen Wettkampf zu bestreiten, an dessen Ende niemals ein Ende steht? Wie kann es sein, dass das Ticken der Stoppuhr eine so betörende Wirkung ausübt, sodass das Ablaufen der eigenen Uhr vollkommen negiert und außer Kraft gesetzt wird? Wie kann es sein, dass das Leben sich dem Sport unterordnet?

Die Antworten auf die wirklich spannenden Fragen gehen Tom McNab bedauerlicherweise irgendwo zwischen Start- und Ziellinie verloren.

Anica Richter

Tom McNab: Finish (The Fast Men, 1986). Aus dem Amerikanischen von Verena von Koskull. Berlin: Aufbau Verlag 2010. 415 Seiten. 22,95 Euro.