Geschrieben am 29. August 2012 von für Bücher, Litmag

Triggs: The Autobiography of Roy Keane’s Dog

Mensch unter Hunden und umgekehrt

– Bücher mit Hunden – entweder auf dem Cover oder im Titel – lese ich aus Prinzip. Es ist kein besonders wertvolles Prinzip und es funktioniert ehrlich gesagt überhaupt nicht, aber ich komme nicht darüber hinweg. Seit Juni hängt im Bahnhof Lansdowne Road in Dublin ein Plakat mit einem großen Hundekopf, das die Autobiografie von Triggs bewirbt. Ich laufe jeden Tag durch diesen Bahnhof. Die Konsequenz war unausweichlich. Von Aleks Scholz

Triggs ist der Labrador von Roy Keane, der wiederum der berühmteste irische Fußballer aller Zeiten ist. Die Autobiografie von Keanes Hund schoss in Irland sofort auf Platz eins der Bestsellerliste und blieb dort, bis die 50-Shades-Ära über uns hereinbrach.

Ein Buch aus der Sicht eines Haustieres ist nicht automatisch schlecht – wir erinnern uns an Mrs. Chippy, die Katze, die an Shackletons Südpolreise teilnahm. Aber ein Buch aus der Sicht eines Haustieres, das zu 90 % aus Insiderscherzen über Fußballer und Klagen über Bob Dylan besteht und konsequent alle Dialoge im Duktus von Fußballerinterviews durchzieht, sodass man nach wenigen Seiten nicht anders kann als so zu denken wie Roy fucking Keane, hat es – obviously – schwer mit der Literaturkritik.

Wie ein Kampfhund

Wer ist Roy Keane? In Irland eine Frage, die einen wie einen Idioten dastehen lässt, vergleichbar mit „Wer war Hannibal?“ in Karthago, „Wer war Richard Wagner?“ in Bayreuth oder „Wer ist Sascha Lobo?“ im Internet. Keano war ein schwächlicher Junge aus Cork, der zweitgrößten Stadt Irlands, eine Herabwürdigung, die ihn, so Triggs, sein gesamtes Leben belastete. Keano, acht Jahre lang Kapitän von Manchester United, gewaltigster Fußballverein der Welt. Keano, Gewinner von etwa 20.000 Trophäen. Keano, der dynamische, geniale, aggressive, dominierende, grätschende, torgefährliche, besessene, tendenziell irre Mittelfeldspieler, der wegen seiner Spielweise ein wenig zu häufig verletzt oder gesperrt war. Und vor allem: Keano, der Alpharüde.

Deshalb ist es nur logisch, die Laufbahn von Keane aus der Sicht einer sprechenden und fußballweisen Labradorhündin zu beschreiben, die Rangordnungskämpfe fachkundig bewerten kann. Die Geschichten um Roy Keane laufen alle nach demselben Muster ab. Underdog wächst über sich hinaus, wird zum Star, hält sich aber weiterhin für einen Underdog, ein Markenzeichen aller Siegertypen. Er fühlt sich unverstanden, benachteiligt, schlecht behandelt, das richtige Leben im falschen. Man sehe sich an, welches Gesicht er zieht, wenn er nach den großen Triumphen vom Platz geht – nicht erleichtert oder zufrieden, sondern wie ein Kampfhund, der nach dem nächsten Gegner Ausschau hält. Er überragt alle, die anderen sind Schwächlinge – lasch, verdorben, satt (womit er leider Recht hat). Die Konsequenz: großer Erfolg ständig begleitet von großer Unzufriedenheit und menschlichen Zerwürfnissen.

Diese Zerwürfnisse sind es, die Keane heute legendärer machen als seine Fußballerkarriere, und das Buch so was wie unterhaltsam, jedenfalls wenn man sich für Fußball und Hunde interessiert. Er überwirft sich mit den United-Fans und seinen Mannschaftskollegen. Er bekriegt sich mit praktisch jedem anderen Mittelfeldspieler in England. Er foult einen Kontrahenten krankenhausreif (aus Rache), kommt zerknirscht nach Hause, so berichtet sein Hund – und gibt später zu, dass es Absicht war. Im Sommer 2012 beschimpft er die irischen Fußballfans, die in Polen so ausdauernd „Fields of Athenry“ sangen, und wirft ihnen Feiermentalität vor. Seine Tiraden sind heute Teil der irischen Folklore. Ein sympathischer, unbarmherziger Mensch.

Monumentale Erschütterung Irlands

Der Höhepunkt in Roy Keanes romanhaftem Dasein dann die Affäre mit Mick McCarthy, Teamchef der irischen Nationalmannschaft. Keane hatte es gerade geschafft, sein Team zur WM 2002 durchzuprügeln, unter anderem mit einem sensationellen 1:0-Sieg über Holland im alten Lansdowne-Stadion in Dublin, direkt neben der eingangs erwähnten Bahnstation. Nach jahrelangen flackernden Auseinandersetzungen, die sich vordergründig um die Qualität des Trainingsplatzes, die Beinfreiheit bei Flugreisen, die Speisefolge vor wichtigen Spielen und überhaupt alles andere drehten, kommt es im Trainingslager auf der pazifischen Insel Saipan zum Eklat. In einer langen Tirade, von der leider nur Auszüge überliefert sind und die in einer Reihe steht mit den großen Revolutionsreden Irlands, nennt Keane seinen Trainer vor versammelter Mannschaft einen „scheiß Wichser“ und verschwindet anschließend. Gleichzeitig wird er gefeuert. You can stick your World Cup up your arse. Obviously.

Ein Ereignis, das Irland monumental erschütterte. In dieser Woche kannte das Land nur ein Thema: Der große Keano aus Cork verrät sein Heimatland – oder nicht. Freundschaften zerbrachen, Bauarbeiter streikten, Zeitungen druckten 10-, 20-seitige Sonderausgaben. Wie groß das Theater um Keane war, kann man daran ablesen, dass zeitgleich die Gewerkschaft der Kneipenbedienungen um mehr Geld stritt, Arbeitskampf drohte, damit die Schließung von Pubs, normalerweise eine Naturkatastrophe für Irland – 2002 nur eine Fußnote. Roy Keane war wichtiger. Staatschef Ahern, erfahren im Umgang mit den Extremisten der IRA, versuchte vergeblich, den Streit zu schlichten. Menschen aus Cork protestierten vor dem Hauptquartier des irischen Fußballverbands in Dublin. Saipan, der Ort des Geschehens, steht seitdem in einer Reihe mit den anderen tragischen Orten der irischen Geschichte. Boyne, Aughrim, obviously Derry, Saipan.

Denn Keane kam nicht zurück. Stattdessen konnte man jeden Abend im irischen Fernsehen verfolgen, wie er mit seinem Hund, dem Labrador Triggs, spazieren ging, schweigend, irgendwo in einem Vorort von Manchester. Hier entsteht eine neue Legende, der Hund als treuer Begleiter in der Not, als Ersatz für die Weltmeisterschaft, die Nationalmannschaft, die Ehre. Roy Keane, der mit einer Leine an einen sanften Hund gekettet ist, wo er eigentlich im Dienste des Landes Ronaldo und Zidane über die Fußballplätze Asiens jagen sollte. He’s gone mad, so die einen, gotta walk the dog, obviously, so die anderen.

Mit der Autobiografie von Triggs beginnt ein neues Kapitel in der Aufarbeitung des Vorfalls. Triggs gewährt uns unermessliche Einblicke in die gespaltene Seele von Roy Keane. Keano, der Getriebene, der krankhaft Ehrgeizige, voll mit Selbstzweifeln und gerade deshalb nie zu Zugeständnissen bereit. „Ich bestrafe mich selber hart genug, was andere sagen, ist mir egal“, scheint er zu sagen. Die seitenlangen Reflexionen von Keane über Keane, dokumentiert von Triggs, dem Hund, lassen Hoffnung aufkommen, Hoffnung auf eine Versöhnung mit Keano, Hoffnung auf Frieden im Lande, Hoffnung darauf, Keano als das zu sehen, was er ist, ein Mensch unter Hunden bzw. umgekehrt. Es ist vielleicht ironisch, dass die große Roy-Keane-Krise von 2002 durch die daraus entstandene Prominenz des Hundes das womöglich konfliktlösende Buch erst ermöglicht hat.

Aleks Scholz

Triggs: Triggs – The Autobiography of Roy Keane’s Dog. Orion 2012. 400 Seiten. 9,99 Pfund.

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