Geschrieben am 17. November 2010 von für Bücher, Litmag

Tristan Garcia: Der beste Teil der Menschen

Verpuffende Provokation

Tristan Garcia hat mit seinem jetzt auch auf Deutsch erschienenen Debüt „Der beste Teil der Menschen“ in Frankreich großes Aufsehen erregt und die Kritik begeistert. Ungeschminkt erzählt der 1981 geborene und durch die Gnade der späten Geburt unbelastete Garcia vom intellektuell und homosexuell bewegten Paris in den 80ern und der aufkommenden Aids-Tragödie. Von Karsten Herrmann

Garcia setzt sein Mosaik des Pariser Gesellschaftslebens aus vier ganz unterschiedlichen Protagonisten zusammen: William, „so eine Art Rimbaud, unkontrollierbar“, der aus der Provinz nach Paris gekommen ist und mit Dominique Rossi, dem weltgewandten und alternden Gründer der ersten Schwulenbewegung Frankreichs liiert ist – um später zu seinem erbitterten Feind zu werden. Der dritte Mann im Bunde ist Jean-Michel Leibowitz, ein kultivierter jüdischer Intellektueller und „Un-Moderner“, der sich zunehmend von der politischen Macht korrumpieren lässt. Chronistin des Lebens dieser drei die Pariser Kultur repräsentierenden Männer ist die Journalistin Elisabeth Levaillos, die für die Zeitschrift Libération den neuesten Trends auf der Spur und dazu links ist, weil sie „nicht illusionslos genug ist, um zynisch zu werden“.

Die erst vibrierenden Diskurse der 80er und 90er …

In einem lakonisch-flapsigen Ton führt Garcia in seinem Roman durch die vibrierenden Diskurse der 80er und 90er, erzählt von Freundschaft, Liebe, Verrat, Sex, Drogen, Musik und Kunst. Der Bogen spannt sich vom politisch linken und schwulen Aufbruch – „Wir vögelten, ergo waren wir politisch. Wenn du einen Typen geküsst hast, war das die Oktoberrevolution“ – bis hin zu Depression, Zynismus und dem ganz realen Tod durch Aids. „Es ist Zeit Abstand zu nehmen“, urteilt Leibowitz am Ende – vom Zeitgeist, von der „ganzen Epoche, dieser ganzen breitgetretenen, ans Licht gezerrten Sexualität, auch in der Musik“.

… verplätschern  im beliebig-belanglosen Geplapper

Tristan Garcia

Doch was sich in diesem Debüt eine Zeit lang durchaus bedeutsam und bewegend anhört, verliert sich zunehmend in einem selbstreferenziellen, pseudointellektuellen Geschwätz und der Aneinanderreihung kruder Abstrusitäten, von denen man nicht mehr weiß, ob sie lustig, grotesk oder schockierend sein sollen. Sie gipfeln darin, dass William, der neue Szene-Star der Pariser Schwulenbewegung und Verfechter des ungeschützten Verkehrs, die Infizierung mit dem Aids-Virus als Akt der Zeugung mythisiert. Spätesten ab diesem Zeitpunkt verpufft die Provokation dieses Debüts in sich selbst, und die Diskurse verplätschern im beliebig-belanglosen Geplapper.

Karsten Herrmann

Tristan Garcia: Der beste Teil der Menschen. Roman. Aus dem Französischen von Michael Kleeberg. Frankfurt a. M.: Frankfurter Verlagsanstalt 2010. 320 Seiten. 19,90 Euro.

Foto: © Catherine Hélie/Editions Gallimard