Geschrieben am 30. November 2011 von für Bücher, Litmag

Ulrich Teusch: Jenny Marx – die rote Baronesse

Das Los einer politischen Frau

– Im Zeitalter des E-Books gibt es noch Überraschungen, wie dieses in Leinen gebundene, bebilderte, schön gesetzte und berührende kleine Juwel von Ulrich Teusch über Jenny Marx. Von Elfriede Müller

Auch wenn es in Trier eine kleine Bildungseinrichtung gibt, die sich Jenny-Marx-Gesellschaft nennt, und die ehemalige DDR ihr eine Briefmarke widmete, so wird Jenny Marx doch hauptsächlich als leidende und unterdrückte Ehefrau von Karl Marx und Mutter von sieben Kindern wahrgenommen, die es – nicht zuletzt aufgrund ihrer Herkunft – eigentlich besser verdient hätte. Teusch streitet das Leid im Laufe des entbehrungsreichen Lebens von Jenny Marx nicht ab, führt es aber weniger auf einen tyrannischen und selbstherrlichen Ehemann als auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zurück – ein ganz ungewöhnlicher Blick in diesen psychologisierenden Zeiten.

Der Autor unternimmt eine Ehrenrettung der großen Liebe zwischen Jenny und Karl und bringt gerade dadurch das Außergewöhnliche dieser eigenständigen Frau zum Vorschein. Der rote Faden dieser Beziehung waren die gemeinsamen Ideen und der Einsatz dafür, der, wie sollte es auch anders sein, den beiden das Leben schwer machte. Teusch zeichnet das Porträt einer politisch aktiven Frau, die, auch wenn dies ihrer eigenen Emanzipation im Weg stand, nicht auf Ehe und Kinder verzichten wollte. Und sie wollte unbedingt den Marx. Jenny und Karl waren sieben Jahre verlobt, bis es ihnen möglich war zu heiraten. Jenny Marx war von zu Hause aus gebildet, sehr attraktiv, charmant und witzig. Ab 1840 war Jenny in der Arbeiterbewegung aktiv. Wie Karl Marx setzte sie sich ihr Leben lang für die sozialistische Idee ein und trug auch inhaltlich erheblich zu Marx’ Werk bei, was leider nicht immer offensichtlich war und ist. So war sie 1848 in Brüssel an der Verfassung des Kommunistischen Manifests beteiligt und förderte mit all ihren Mitteln das Erkenntnisinteresse von Karl Marx, denn wie er auch begriff sie das Forschen als geistiges Abenteuer.

In ihrer politischen Überzeugung und der gegenseitigen Anziehungskraft war das Paar konsequent, und Teusch zufolge wäre es falsch und sogar reaktionär, Jenny als das passive Opfer eines exzentrischen Gelehrten zu betrachten. Doch waren Jenny und Karl Marx gleichberechtigte Partner gewesen? Sie lebten nicht nur im 19. Jahrhundert, wo es nur die wenigsten Frauen schafften, ein mit den Männern ihres Umfelds gleichberechtigtes Leben zu führen, sondern Jenny wollte auch Ehe und Familie, bis heute die Mausefallen für jegliche weibliche Emanzipation. Innerhalb dieses Korsetts hat Jenny Marx anscheinend ein interessantes, schweres und auch glückliches Leben geführt. Sie und Karl Marx hatten den Anspruch einer freien, offenen, gleichberechtigten und nichtpatriarchalen Beziehung, aber es ist wie beim Autofahren, man ist selten allein, die beiden lebten nicht nur inmitten ihrer sozialistischen Freunde, sondern in einer ihren Ideen und Vorstellungen gegenüber mehrheitlich feindlich gesinnten Gesellschaft.

Das Leben im Exil

Das Leben der Familie Marx war von einem langen Exil geprägt, angefangen in Paris über Brüssel, dann dreißig Jahre in London. Aus der Pariser Zeit stammen Die ökonomisch-philosophischen Manuskripte. Der Arm der preußischen Behörden reichte weit, und es ging weiter nach Brüssel. In dieser Zeit wird Marx staatenlos, was er lebenslang bleiben sollte, nicht ungewöhnlich für einen aufrechten Internationalisten. Waren die ersten Umzüge noch freiwillig, so erfolgten die vier anderen unter Zwang, was immer auch unter ökonomisch schwierigen Bedingungen bedeutete. Die schönsten Zeilen des Bandes sind dem langen und schweren Londoner Exil gewidmet, während dessen der Marxsche Haushalt Sammelpunkt für politische Exilanten aus ganz Europa wurde – „eine Art politisches Hauptquartier“. Darüber hinaus gab es dort etwas, was heute kaum noch vorstellbar ist: Solidarität unter politisch Gleichgesinnten, die half, die schweren Zeiten zu überstehen oder gar, wie im Falle Wilhelm Liebknechts, zu überleben. Man unterstützte sich gegenseitig und vertrieb, wie Liebknecht schrieb, „die Melancholie durch Galgenhumor“.

Marx ist Lohnschreiber, verdient wenig und wird von seiner eigentlichen Forschungsarbeit, dem Kapital, abgehalten. Ob Jenny jemals an Lohnarbeit dachte in dieser Zeit, ist nicht überliefert, hatte sie doch viele Kinder und den Haushalt am Hals, auch wenn Marx sich viel mit seinen Kindern beschäftigte. Für diejenigen, die Marx nur aus übler Nachrede kennen, sei vermerkt, dass seine Publikationen zu seinen Lebzeiten nur kleine Auflagen erzielten und deren Verkauf nie zum Leben reichte. Ab 1864 bildete Marx mit anderen die Spitze der ersten Internationale, der IAA, an deren Aktivitäten auch Jenny beteiligt war. Sie wurde zudem in London Theaterkritikerin unter anderem für die Frankfurter Zeitung. Das Theater war eine ihrer Leidenschaften, die sie mit ihren Töchtern teilte, alle drei überzeugte Sozialistinnen.

Aufgrund des ärmlichen Lebens, der schlechten Unterkunft, Mangelernährung und einem großen ökonomischen und politischen Druck starben drei von Jennys sieben Kindern in vier Jahren. Dieser den Verhältnissen geschuldete Verlust führte bei Jenny Marx zu einer starken Verunsicherung und nahm ihr viel Lebensmut. Jenny und Karl Marx waren selbst häufig krank, beide auch chronisch und kümmerten sich dabei besorgt und liebevoll um den anderen.

Das dialektische Porträt von Ulrich Teusch kommt an der Frage nicht vorbei, wie unter diesen Lebensbedingungen das epochemachende Werk von Karl Marx überhaupt entstehen konnte. Ein Faktor war auf alle Fälle die große Liebe zu Jenny und ihre intellektuelle und emotionale Unterstützung. Auch deshalb wurden ihr der zweite und dritte Band des Kapitals gewidmet. Als Jenny Marx am 2. Dezember 1881 stirbt, hat Karl Marx noch 15 Monate zu leben. Er kann den Tod seiner Geliebten nicht verwinden und schreibt 1882 an Engels: „Mein Denken (wird) zum großen Teil beherrscht von Erinnerungen an meine Frau, diesem Teil der besten Jahre meines Lebens.“

Elfriede Müller

Ulrich Teusch: Jenny Marx – die rote Baronesse. Zürich 2011: Rotpunktverlag. 230 S., in Leinen gebunden. 19,50 Euro. Eine Leseprobe finden Sie hier, ein Gespräch mit dem Autor finden Sie hier.

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