Geschrieben am 29. April 2015 von für Bücher, Litmag

Ulrich Zieger: Durchzug eines Regenbandes

Zieger_RegenbandLiterarisches Schneegestöber

– Nach zwanzig Jahren legt der insbesondere als Dramatiker und Lyriker bekannte Ulrich Zieger einen neuen Roman vor, in dem er sich auf höchst eigenwillige Weise Märchen der Gebrüder Grimm anverwandelt und den Leser dabei vor eine große Herausforderung stellt. Von Karsten Herrmann

„Durchzug eines Regenbandes“ gleicht einem Triptychon, dessen Teile von links nach rechts angeordnet sind: Im ersten Teil entführt Ulrich Zieger den Leser mit einer altertümlich wirkenden Prosa aus verschachtelten Sätzen voller Einschübe, Erläuterungen, Präzisierungen und Unterbrechungen in eine kafkaesk-surreale Welt. Hier sucht ein Migrant aus dem in seiner Heimat Bienitz unterdrückten Volk der Lapislazuli einen Journalisten oder Anwalt auf und berichtet ihm im Verlaufe einer langen Nacht eine Geschichte von Verschwörung, Rebellion und Spionage. Er bekennt (und benennt dabei zugleich ein Grundprinzip des Romans): „Sämtliche Geschichten in meinem Leben sind lang und wirken, ehe sie zum Kern vordringen […], von weit, oft sehr weit hergeholt“. Und so führt er seinen geduldigen Zuhörer durch ein „Gestrüpp aus Mutmaßungen und Verdächtigungen“, die bis hin zum Antichrist führen und von unsichtbaren Mächten durchdrungen sind. Zum Schluss gesteht er einen Mord an einem Doppel-Spion, den es nur gab „indem es ihn nicht gab“.

Der zweite Teil wird aus der Perspektive des Cover-Schlagersängers Harro Mittwich erzählt und spielt vermutlich Anfang der 60er Jahre in der DDR. Hier geht es um die nach einem Fenstersturz im Kohlenkeller spurlos verschwundene Frau Strunk und um Denunziationen und Verbrechen, die bis in die Hitlerzeit zurückführen. Im dritten Teil schließlich glaubt ein in einer runtergekommenen Vorstadt Niedersachsens lebender Maler und „Grotesksänger“ einem Massenmörder auf die Spur gekommen zu sein, ohne zu enthüllen „wer genau ich in jenen Jahren war, noch wann und wo im Einzelnen sich die […] zu schildernden Vorgänge ereigneten“.

Die vage bleibenden und kaum verknüpften Handlungsstränge füllt Ulricher Zieger mit einer zunehmenden Flut von Abschweifungen, kryptischen Metaphern, Sprachassoziationen, dadaistischen Sprachspielen, Collagen und Cut-ups der Volks- und Popkultur auf. So tauchen im dritten Teil beispielsweise immer wieder die Krimiserien „Der Kommissar“ und „Derrick“ oder auch der Schlagersänger Roy Black auf.

Der Leser wähnt sich in diesem Roman von Anfang an in einem literarischen Schneegestöber, in dem sich nur ganz langsam und nie vollständig Konturen herausschälen und Zusammenhänge allenfalls zu erahnen sind. Kaum zu entscheiden ist letztlich, ob es sich hierbei um höchste Kunst und (postmodern-ironische?) Potenzierung der Avantgardeliteratur oder doch nur um beliebig aneinander gereihten Wortmüll und Nonsens handelt. Ohne Zweifel bietet der Roman Legionen von zukünftigen Literaturwissenschaftlern genügend Stoff, um seine vielfältigen Bezugssysteme zu dechiffrieren und seinen (Un-) Sinn zu interpretieren. Doch ein Lesevergnügen ist dieses 700-Seiten-Konvolut kaum.

Karsten Herrmann

Ulrich Zieger: Durchzug eines Regenbandes. S. Fischer, 2015. 684 Seiten. 26,00 Euro.

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