Geschrieben am 3. März 2007 von für Bücher, Litmag

Umberto Eco: Im Krebsgang voran

Vorwärts, es geht zurück!

Wenn es Aufgabe eines Intellektuellen ist, zeitaktuelle Phänomene zu registrieren, zu analysieren und auf den Begriff’ zu bringen, dann hat Umberto Eco mit dem Gang des Krebs ein sehr treffendes Bild für die heute weit verbreitete paradoxe Stimmung einer rückwärtsgewandten Zukunftserwartung gefunden.

„Der Name der Rose“ – mit dem Titel seines berühmtesten Buches scheint Umberto Eco für immer und ewig verbunden zu sein. Dabei hat der Semiotikprofessor aus Bologna sehr viel mehr Bücher, vor allem aber eine Unzahl an wissenschaftlichen, politischen und kulturkritischen Essays geschrieben. Und dank Burkhart Kroeber haben die deutschsprachigen Leser das Glück, fast alle Eco-Bücher in einem relativ kurzen Zeitraum nach der Originalveröffentlichung in einer glänzenden Übersetzung auch lesen zu können. Geradezu den öffentlichen Streit suchend, hat Eco in den letzten Jahren eine Vielzahl von ‚Einmischungen zum Zeitgeschehen geschrieben, von denen einige jetzt unter dem Titel „Im Krebsgang voran“ im Münchner Hanser-Verlag erschienen sind. In Zeiten populär gewordener Vernunftkritik und lauter Abschiede von dem „Projekt der Moderne“ versucht hier der wackere linksliberale Professor zu retten was noch zu retten ist von den Ideen der Aufklärung und einer kritischen Öffentlichkeit in Zeiten eines wuchernden medialen Populismus. Nehmen wir etwa den weltweit aufblühenden neuen religiösen Fundamentalismus, gegen den sich ein manchmal ebenso bekennerhaft kompromißloser Laizismus zur Wehr setzt. Dass der Agnostiker Eco für alle Formen der religiösen Renaissance keine Sympathie zu zeigen vermag, überrascht nicht. Allerdings nimmt man staunend zur Kenntnis, wie vehement Eco dafür plädiert, die christlichen Wurzeln Europas nicht einfach durch Verschweigen oder Verdrängung zu übergehen. „Ich fände es nicht unangebracht, in einer Europäischen Verfassung eine Bezugnahme auf die griechisch-römischen und jüdisch-christlichen Wurzeln unseres Kontinents einzubauen, verbunden mit einer Erklärung, daß gerade kraft dieser Wurzeln…der Kontinent offen für die Integration jedes anderen kulturellen und ethnischen Beitrags sei“. Auch in der – in Italien ganz besonders heftigen – Kontroverse um religiöse Symbole in staatlichen Institutionen, plädiert Eco für ein gelasseneres, der Aufklärung vertrauendes Abwägen der Standpunkte. „Sakrale Symbole in den Schulen determinieren nicht zwangsläufig die geistige Entwicklung der Schule…und die Art, wie unsere Gesellschaft das Kruzifix profaniert und banalisiert hat, ist wahrhaft beleidigend und niemand regt sich darüber auf.“ Mit Recht fragt sich Eco, ob etwa in Frankreich, wo diese Symbole staatlich untersagt sind, die Toleranz der Kulturen grundsätzlich größer sei. In einem längeren Essay, dem eine Rede zum Gedenken an den liberalen Turiner Philosophen Norberto Bobbio zugrunde liegt, plädiert Eco mit Emphase dafür, sich mehr mit den geistigen Positionen des jeweiligen Gegners auseinanderzusetzen, statt sich in seiner eigenen geistigen Community zu verbunkern. Provozierend hierzu ist seine Analyse des „Kommunisten Berlusconi“, dessen Weltbild aus der Rumpelkammer der Alt-Linken und der 68er-Kultur stamme. „Der Einsatz von Massendemonstrationen mit Fahnen und Liedern, die Treue zur Farbe als emotionaler Grundwert, die Methode, dem Gegner nie etwas zu konzedieren, ihn unentwegt zu dämonisieren, was immer er vorschlagen mag.“ Die deutsche Übersetzung der Essays von Umberto Eco erscheint genau zu einem Zeitpunkt, in dem ein scheinbar geschlagener Silvio Berlusconi wieder lärmend die politische Bühne Italiens betritt. So sind auch die unmittelbar auf Berlusconi zielenden Stellungnahmen in diesem neuen Band von Eco keineswegs veraltet. Und ist der, wie Eco schreibt, „mediale Populismus“, dessen Handwerk Berlusconi nun mal wie kein zweiter beherrscht, heute nicht in allen demokratischen Gesellschaften zu einem Erfolgsmodell politischer Parteien geworden? Dass es sich bei dieser Art moderner Politik um einen zivilisatorischen Fortschritt handelt, bestreitet Eco jedoch entschieden. Nicht nur in der alles überragenden und alle beeinflussenden Kultur der Massenmedien sieht Eco einen großen aufklärerischen Rückschritt. Ohne jeden kulturpessimistischen Unterton, der Eco immer fremd gewesen ist, wird in den Essays an Beispielen der Medien, der internationalen Politik, der aktuellen „Ethik-Debatte und der Zunahme fundamentaler Weltdeutungen, ein allgemeiner Fortschritt im Rückwärtsgang konstatiert. „Es scheint fast, als ob die Geschichte, ermüdet von den Sprüngen, die sie in den letzten zwei Jahrtausenden gemacht hat, sich in sich selbst zurückpult, um zu den bequemen Ruhmesfeiern der TRADITION zurückzukehren.“Wenn es Aufgabe eines Intellektuellen ist, zeitaktuelle Phänomene zu registrieren, zu analysieren und ‚auf den Begriff’ zu bringen, dann hat Umberto Eco mit dem Gang des Krebs ein sehr treffendes Bild für die heute weit verbreitete paradoxe Stimmung einer rückwärtsgewandten Zukunftserwartung gefunden.

Carl Wilhelm Macke

Umberto Eco: Im Krebsgang voran. Heiße Kriege und medialer Populismus. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Hanser-Verlag 2007, 319 Seiten / 23,50 Euro