Geschrieben am 19. Januar 2013 von für Bücher, Crimemag

Val McDermid: Vergeltung

35676010z82357377jpegTony lebt, viele sterben

– Jimmy Savile goes Serialkiller, Val McDermids neuer Roman spielt mit allen möglichen True-Crime-Häppchen und wringt ihr Erfolgskonzept um Jordan und Hill weiter aus. Ihre Fans mögen das, Anna Veronica Wutschel irgendwie auch:

Nachdem die überaus erfolgreiche TV-Serie „Hautnah – Die Methode Hil“ (hier und hier bei Culturmag) mit Robson Green in der Rolle des eigenwilligen klinischen Psychologen bereits 2008 wegen zu hoher Produktionskosten eingestellt wurde, erfreut es den Fan umso mehr, dass Val McDermid, die Schöpferin von Detective Chief Inspector Carol Jordan und Doktor Tony Hill, eben diese zwischen den Buchdeckeln weiterleben lässt. Tony Hill, der seltsame Kauz, der geniale Profiler, ermittelt in seinem (verflixten) 7. Fall und könnte dabei fast alles verlieren, was ihm lieb und teuer ist. Und das nur, weil er nachlässig und leichtfertig einige Fehler begeht. Als er diese bemerkt, scheint es zu spät, seine Irrtümer zu korrigieren. In „Vergeltung“ belebt Val McDermid auch einen altbekannten Täter neu, der dem Team um Carol Jordan mörderisch zusetzen wird.

Jordans spezielle Sondertruppe der Polizei steht kurz vor dem Aus, massive polizeiinterne Rangstreitigkeiten sowie ein knappes Budget haben dazu geführt, dass die Elitetruppe mit der hohen Aufklärungsquote aufgelöst werden soll. Enttäuscht will Jordan alle Zelte in Bradfield abbrechen, sie bereitet bereits ihren Umzug nach Worcester vor, wo sie mit Tony sowohl beruflich wie auch privat einen Neuanfang wagen will.

Brutaler Mörder

Doch vorher muss noch ein letzter Fall um einen grausamen Prostituierten-Mörder gelöst werden. Dessen Mordmethoden sind so eigenwillig, dass er zunächst nicht als Serientäter erkannt wird, lediglich die dilettantisch ausgeführte Tätowierung ‚Meine‘ auf den Handgelenken der Opfer deutet auf ein und denselben Täter. Die Polizeitruppe ist sich einig, einem so brutal skrupellosen Mörder muss nicht nur schnellstens das Handwerk gelegt werden, man will so kurz vor dem eigenen Abschied auch einen glänzenden Abgang hinlegen.

7400059_7400059_xlSerienmörder, bekannt und beliebt

Zur selben Zeit flieht der aus dem Roman „Schlussblende“ bekannte Serienmörder Jacko Vance aus dem Gefängnis. Dort hat der einstige TV-Star, der eine Polizistin und 17 Mädchen brutal ermordet hat, aber nicht wegen aller Verbrechen verurteilt werden konnte, 12 Jahre Zeit gehabt, einen detaillierten Racheplan zu schmieden. Und selbstverständlich will er vor allem diejenigen leiden lassen, die ihn hinter Gitter gebracht haben. Tony wird vom Innenministerium um eine Risikoanalyse gebeten: Was hat Vance geplant, wie wird er vorgehen, wie kann man generell seinen Geisteszustand einschätzen? Doch Tony ist abgelenkt, nicht ganz in Form und so unterlaufen ihm bei seiner Beurteilung fatale Irrtümer. Und kurz darauf stehen Carol wie auch Tony selbst nicht nur beruflich vor einem immensen Fiasko, das sogar ihre langjährige Beziehung zerstören könnte. 

Rezession und Jimmy Savile

„Vergeltung“ zieht alle Register, um die altbekannten Charaktere voll aufleben zu lassen, sie in all ihren Stärken und Schwächen zu inszenieren. Selten war jede einzelne Figur des Teams so präsent, und auch die Beziehung zwischen Carol und Tony wird in all ihrer hilflos komplexen Verbundenheit hervorragend fortgeschrieben. Zudem taucht in „Vergeltung“ eine Menge Zeitgeschehen auf: Rezession, Regierungswechsel, knappe Budgets, Diskriminierung sind nur einige Themen, die McDermid wohldosiert eindringlich unaufdringlich in den Roman einfließen lässt. Dazu mixt sie viel True-Crime, denn die Verbrechen des fiktiven Serienmörders und einstigen TV-Stars Jacko Vance sind sehr dicht an denen des 2011 verstorbenen populären BBC-Moderators Jimmy Savile angelehnt. Dieser soll mehr als 200 Straftaten, darunter mindestens 30 Vergewaltigungen, begangen haben. Die so klug in Szene gesetzte fiktive Nachbildung realer Verbrechen resp. Verbrecher, lässt die ewige Nörgelei an der vermeintlich rein Effekte haschenden Krimi-Serientäter-Überdosis – und im fiktiven Bradfield verkehren immerhin eine Menge dieser Bösewichter – zumindest in diesem Fall scharfsinnig verklingen. Es gibt sie, die Serientäter, ganz sicher nicht nur auf dem Papier, und man kann sehr wohl sehr gescheit über sie schreiben.

Schwächeln mit Humor

Insgesamt betrachtet, schwächelt „Vergeltung“ dann zum Schluss doch etwas. Die Doppelung der Fälle, die zumindest in der Theorie wunderbar den Wahnsinn und die Arroganz des Täters (per se) spiegeln, scheint in ihrer Verknüpfung im Text wenig geglückt. Vor allem der Prostituierten-Fall gerät mehr und mehr ins Abseits, um dann letztlich irgendwie noch fix ein Ende zu finden. Das mag durchaus realistisch sein, literarisch überzeugend ist es indes nicht. Und auch das abrupte Ende der Jagd auf Vance entspricht zwar allen vorangegangenen Figurenzeichnungen, den Leser könnte es allerdings enttäuschen.

Trotz dieser kleinen Makel erzählt „Vergeltung“ sehr ernsthaft, mit Sinn für Humor, ganz geradeaus und doch trick- und wendungsreich auf elegante Weise mehrere clevere Geschichten. Und der Leser hofft jetzt schon auf einen weiteren Fall für Carol Jordan und Tony Hill, auch wenn am Ende des Romans alle Anzeichen dagegen zu sprechen scheinen.

Anna Veronica Wutschel

Val McDermid: Vergeltung (The Retribution, 2011). Roman. Deutsch von Doris Styron. München: Knaur 2012. 504 Seiten. 10,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Besprechung der englischen Version bei CrimeMag.

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