Geschrieben am 2. November 2011 von für Bücher, Litmag

Wilfried F. Schoeller: Döblin

Ein fast vergessener Autor von Weltrang

– In der ersten umfassenden Döblin-Biografie zeigt Wilfried F. Schoeller die weitgehend unbekannten Facetten dieses deutschen Modernisten, dieses „Pan-Epikers und Geschichten-Gotts“, dieses Naturmystikers und zum Katholizismus konvertierten Juden. Von Karsten Herrmann.

Alfred Döblin wurde mit seinem 1929 erschienenen Großstadtepos „Berlin Alexanderplatz“ berühmt und ließ die deutsche Literatur zur Weltliteratur eines John Dos Passos und James Joyce aufschließen. Doch zeitlebens und bis heute bildet dieser Roman eine Art „Grabplatte“ für das rund 40-bändige Gesamtwerk Alfred Döblins, das aus Romanen, Erzählungen, Glossen, religiös-philosophischen Betrachtungen und kulturpolitischen Essays besteht.

Geboren wurde Alfred Döblin 1878 in Stettin. Früh vom Vater verlassen, zog die Familie 1888 in die explodierende Metropole Berlin, wo sie in ärmlichen Verhältnissen lebte. Döblin wurde unter einer übermächtigen Mutter groß, die für Literatur und Kunst nur Spott übrig hatte. So nahm er nach einem nur mühsam erreichten Abitur ein Studium der Medizin und Philosophie auf, fand aber zugleich Kontakt mit der Berliner Boheme und der aufstrebenden Avantgardebewegung rund um Herwarth Walden und seine Zeitschrift „Der Sturm“. Seine literarischen Vorbilder waren zu dieser Zeit Hölderlin, Kleist, Nietzsche und Dostojewski.

„Ich bin nicht ich, sondern die Straße, die Laternen, dies und dies Ereignis“

1912 erschien der in expressionistischer Manier und um Psychosen, Obsessionen und den Ich-Zerfall kreisende Erzählband „Die Ermordung einer Butterblume“. In Auseinandersetzung mit dem bilderstürmenden Futurismus entwickelt Döblin sein „Berliner Programm“ und den berühmten „Kino-Stil“, mit dem sich der Autor auflöst: „ich bin nicht ich, sondern die Straße, die Laternen, dies und dies Ereignis.“ Exemplarisch umgesetzt wird diese Technik in dem im China des 18. Jahrhunderts spielenden Epos „Die drei Sprünge des Wang-lun“.

Wie Wilfried F. Schoeller zeigt, war das Erzählen für Döblin ein ständiger Suchvorgang, „ein endloser Kampf um das Selbst zwischen Verbergen und Enthüllen im Wald der Fiktionen“. Immer wieder erfindet er sich und seine literarischen Welten neu, ob in „Wallenstein“, „Babylonische Wanderung“, der „Amazonas-Trilogie“, „November 1918“ oder „Hamlet“. Für fast jeden dieser Romane ist er „durch ein Glaubensgebäude oder einen Kulturkreis gegangen“ und näherte sich dabei auch taoistischem und hinduistischem Gedankengut, suchte nach einer Synthese aus Mystik und Rationalität.

Zeitlebens ließ sich Döblin, der sich intensiv mit der gescheiterten Novemberrevolution auseinandersetzte und in der Weimarer Republik zu einem der rührigsten Avantgardisten gehörte, auf keine politische Position festlegen und bewahrte sich eine unabhängige Linksbürgerlichkeit. Auch auf den aufkommenden Nationalsozialismus reagierte er zunächst mit abwartender Distanz, floh dann aber schon 1933 in die Schweiz und später nach Frankreich: „Döblin fiel aus seinem Ort, aus Berlin, heraus – und damit aus seiner Gegenwart.“ Vier Tage vor dem Einmarsch der Deutschen verließ er, der inzwischen auch die französische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, aus Paris und emigrierte in die USA, wo er in den Studios von Metro Goldwyn Mayer arbeitete. Mit seiner Familie lebte er in zunehmender Isolation, materieller Not und ohne Aussicht auf die Publikation seiner weiterhin am laufenden Band entstehenden Werke.

„Man hat nichts gelernt und es ist alles, bis auf die Vertreibung Hitlers, gleich geblieben“

Als einer der ersten Emigranten kehrte Alfred Döblin 1945 nach Frankreich zurück und übernahm in der Besatzungszone einen Job in der „Rééducation“. Mit der Zeitschrift „Das Goldene Tor“ und der Mitbegründung der „Mainzer Akademie“ beförderte er die kulturpolitische Auseinandersetzung und versuchte den Anschluss an die durch den Nationalsozialismus abrupt unterbrochene Literaturtradition wiederherzustellen. Doch schließlich musste er „feststellen, dass er abgemeldet war“ und die „Kahlschlag“-Fraktion sowie die „Gruppe 47“ die literarische Wortführerschaft übernahmen. Politisch resümierte er: „Man hat nichts gelernt und es ist alles, bis auf die Vertreibung Hitlers, gleich geblieben.“ Resigniert verlässt Döblin 1953 Deutschland wieder und geht nach Paris. Am 26. Juni 1957 stirbt er nach langer schwerer Krankheit in einem Sanatorium im Schwarzwald.

Wilfried F. Schoeller zeichnet in seiner voluminösen, minutiösen und gegen Ende auch etwas kleinteilig geratenen Biografie das facettenreiche und vom Schicksal der Emigration gezeichnete Bild eines großen deutschen Schriftstellers, dessen Werk in weiten Teilen ein erst noch zu Entdeckendes ist: „Für Alfred Döblin war es in Deutschland immer zu früh oder zu spät.“

Karsten Herrmann

Wilfried F. Schoeller: Döblin. München: Carl Hanser Verlag 2011. 912 Seiten. 34,90 Euro.

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