Geschrieben am 18. Mai 2009 von für Bücher, Litmag

William Conescu: Der Mann in der Schlange vor der Kinokasse

Das Kratzen des Stiftes

Conescus literarische Spielerei um Leben, Liebe und Literatur, angesehen von Jörg von Bilavsky.

Leben ist Literatur und Literatur ist Leben. Beides gehört untrennbar zusammen in William Conescus erstem Roman, der von einem Roman handelt, der im Moment des Lesens scheinbar gerade erst geschrieben wird. Bisweilen hört man den Stift des Schriftstellers über das Papier kratzen. Besser gesagt die Hauptfigur Daniel Fischer hört ihn und wir ihn mit ihm. Mal lauter, mal leiser. Je nachdem, ob er gerade im Mittelpunkt oder doch eher am Rande des Geschehens weilt. Daniel glaubt seine Rolle im Roman irgendwie mitbestimmen zu können. Zumindest hofft er es und ist verzweifelt bemüht, sich durch scheinbar aufsehenerregende Gedanken oder Taten zum Helden einer Geschichte zu machen, die Woody Allens Gehirn entsprungen sein könnte.

Conescus Figuren sind ähnlich komplexbeladen, exzentrisch und hilflos wie die Hauptdarsteller in den Filmen des New Yorker Kultregisseurs. Wenn sie miteinander kommunizieren, entstehen unweigerlich Missverständnisse, Schuld- und Neidgefühle. Und immer sind es die Intellektuellen und Künstler, die mit dem Leben, vor allem aber mit ihren verkorksten Zweier- oder Dreierbeziehungen nicht klar kommen. Und genau darum geht es auch in diesem aberwitzigen Buch, das mit dem Seitensprung der talentierten, aber bislang wenig erfolgreichen Sängerin Delia beginnt und nach vielen trinkseligen Treffen und Gesprächen mit guten und besseren Freunden tragisch, dramatisch oder einfach nur komisch endet. Das weiß man am Schluss nicht so recht zu sagen, denn Conescu scheint seinem Helden Daniel und seiner Heldin Delia noch eine Zukunft zu gönnen.

Monologe einer fremdbestimmten Romanfigur

Nach Delias o­ne-Night-Stand mit Daniel hält bei ihr nämlich der dröge Beziehungsalltag mit Graham, dem talentierten, aber gescheiterten Pianisten wieder Einzug. Während Graham und Delia ihre Gefühle und Abhängigkeiten sezieren, arbeitet Daniel fleißig an der Entzweiung der beiden. Schleust sich ein in ihr Freundesnetz aus einem überkorrekten Manager und einem schwulen Barkeeper und bringt das Geflecht ordentlich in Spannung. Dabei treibt er aus Liebe zu Delia und der Liebe zu seiner Rolle als Romanfigur extrem weit. Nur so meint er, das Interesse seines literarischen Schöpfers und seiner Leser zu gewinnen.

Und in der Tat vermag den Leser einzig und allein Daniels Erfolg oder Misserfolg bei Delia zu fesseln. Die schwierige Kindheit von Graham, der aus Geldnot mit anderen Männern ins Bett steigt, wirkt psychologisch genauso oberflächlich wie Delias schwieriges Verhältnis zu ihrem reichen Vater. Einzig und allein Daniels Monologe über seine Rolle als autonome oder doch eher fremdgesteuerte Romanfigur sorgen für ein wenig Witz und Esprit. Aber auch diese postmoderne Spielerei läuft sich tot, als klar wird, dass das Leben genauso wie das Schreiben ganz eigene Regeln besitzt und sich nur in der Fantasie des Autors Brücken zwischen beiden Welten bauen lassen. Darin besteht der Reiz, aber auch die Ermüdung an diesem Roman, dessen Titel genauso viel- wie nichtssagend ist.

Jörg von Bilavsky

William Conescu: Der Mann in der Schlange vor der Kinokasse (Being Written, 2008). Roman. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Patricia Klobusiczky. Aufbau Verlag, Berlin 2009. 213 Seiten. 19,95 Euro.