Geschrieben am 6. November 2005 von für Bücher, Litmag

Wladimir Kaminer: Karaoke

Aus dem Leben eines DJs

Kaminer kann’s nicht lassen. Wieder einmal hat der gebürtige Moskauer seine Berliner Schnurren in einem Erzählband gebündelt. Diesmal plaudert er vorwiegend aus dem musikalischen Nähkästchen: über die Klientel der Russendisko, Lieblingslieder und verschrobene Künstler.

Tump! Tump! Tump! Mit jedem Stechschritt bekommt der Vordermann mit einem Trommelstock wieder eins auf die paukenförmige Mütze. So monoton und schmerzhaft wie auf dem illustrierten Schutzumschlag geht es hinter den Buchdeckeln zum Glück nicht zu. Wladimir Kaminer schreibt auch in seinem neuesten Erzählungsband „Karaoke“ so sprunghaft, kurzweilig und meinungsstark wie eh und je.
Kaminers Geschichten leben von der ironischen Pointierung seines Alltags, seiner Überzeugungen und Begegnungen. So auch in den neuesten Aufzeichnungen, die aber noch persönlicher und unmittelbarer ausgefallen sind als sein autobiographischer Roman „Militärmusik“. Denn diesmal bekennt er sich wortreich zur „ersten großen Liebe“ seines Lebens: der Musik. Allerdings konnte er diese Kunst immer nur bewundern, sich aber nie aneignen. „Ich habe kein Musikgehör, ich bin eine musikalische Niete“, gibt er in dem Stück „Afrika“ unumwunden zu. Auch der Gitarren- und Tanzunterricht in seiner Jugendzeit vermochte daran nichts zu ändern.

„Loser DJ“

Wenn man die Liebe zur Musik weder instrumental noch gesanglich zu fassen bekommt, muss man sie gedanklich umklammern. Und genau das versucht der Selfmade-DJ in elf äußerst bunten Streifzügen durch die eigene musikalische Vergangenheit und Gegenwart. Mit welchem Musik-Maniac man bei der Lektüre zu rechnen hat, verrät er gleich im Vorwort. Vorsichtshalber, aber im positivsten Sinne bezeichnet er sich dort als „Loser DJ“, der auf musikalische Werke steht, die ein Stückchen neben dem „unsäglichen Mainstream“ liegen.

Und genauso schräg wie sein Musikgeschmack sind auch die in loser Gedanken- und Dialogfolge aneinandergereihten Anekdoten, Betrachtungen, Kritiken, Glossen etc. So endet in “Schlechte Vorbilder“ die launisch referierte Erfolgsgeschichte der Russendisko-Bewegung in einem aberwitzigen Gespräch über den Unterschied zwischen dem „Ost- und dem West-Winnie-Pu“. Und das tragikkomische Leben des amerikanischen Protestsängers Paul Robeson verklingt in „Je tiefer der Wald, desto dicker die Partisanen“ zusammenhangslos im Rausch einer wilden Party.

Mainstream-Weisheiten

Seine aus zahlreichen Notizen komponierten Texte nehmen nicht nur die abenteuerlichsten Wendungen, sondern bieten ihm auch immer wieder Gelegenheit, ganz banale Lebenserfahrungen zum Besten zu geben. „Die Menschen im Westen haben die gleichen Augen, aber die Bilder in ihren Köpfen sind anders als bei den Nachbarn im Osten“, lautet dann schon einmal ein „philosophischer Gedanke“. Nicht selten wird ein solcher in einer Kneipe bzw. im Kaffee Burger geboren.

Als „banale, abgelutschte Erkenntnisse“ bezeichnete er diese Lebensweisheiten jüngst in einem „Spiegel“-Interview. Nur der ironische Kontext, in dem sie regelmäßig erscheinen, macht diese ausgetrockneten Feststellungen wieder genießbar. Eigentlich genügt es ja schon, wenn er mit seinen Geschichten und Gedanken die Gräben zwischen der ost- und westeuropäischen Seele auslotet. Dass er sich dazu der Musik als Kommunikationsmittel bedient, ist nur verständlich. Denn es ist das unmittelbarste und emotionalste Medium, dass Zugang zu einer fremden Mentalität herstellen kann.

Allerdings muss sich der Leser von „Karaoke“ darüber im Klaren sein, dass des Autors Vorliebe für slawischen Punkrock, die Doors oder Rammstein ebenso wie sein zwiespältiges Verhältnis zum sowjetischen Armeechor oder der russischen Folklore rein subjektiver Natur sind. Seine Erlebnisse tragen vor allem zum besseren Verständnis des weltoffenen Russen Wladimir Kaminer bei. Auf die vielbesungene russische Seele als solche zu schließen, würde in die Irre führen.

Wenn seine wahren Leser wirklich „vom Typus aufgeklärter O­nkel Wanja, mit Durchblick, verständig, kreativ und anpassungsfähig“ sind, wie er einmal gesagt hat, dann werden sie sich auf Kaminers „Karaoke“ sicherlich einen eigenen Reim machen können.

Jörg von Bilavsky

Wladimir Kaminer: Karaoke. Erzählungen. Wilhelm Goldmann Verlag 2005. Gebunden. 190 Seiten. 17,90 Euro. ISBN 3-442-54575-7