Poesie der Revolte
– Mit „Die Bleichen Füchse“ hat Yannick Haenel einen Roman der Revolte, des Aufstands gegen eine Gesellschaft geschrieben, in der sich das Soziale auflöst und in der das Heer der Pass-, Namen- und Heimatlosen anfängt eine kritische Masse zu bilden – bis sie nur noch einen Funken zum Ausbruch benötigt. Von Karsten Herrmann.
Haenels Protagonist ist der 43jährige Jean Deichel, der seit ein paar Monaten „ziemlich von der Rolle ist“ und von seiner Vermieterin auf die Straße gesetzt wird: „Man braucht nicht mehr als ein paar Tage, um abzustürzen.“ Abgesehen davon, dass er beschlossen hatte, nicht mehr zu arbeiten, gab es auch keine Arbeit mehr und die, die noch Arbeit hatten, „fragten sich, wie sie die Arbeit überleben sollten.“
In der Pariser Rue de la Chine richtet sich Jean Deichsel in einem Auto häuslich ein, schaut aus dem Fenster auf das Leben in der Straße, liest Beckett oder streift durch das 20. Arrondissement. Als Drop Out sieht er die Welt des Kapitalismus und ihre Mechanismen immer deutlicher und die Einsamkeit wird ihm zur letzten Festung: „In einer Epoche, der es gelungen ist, jedes Verlangen zu entwerten, indem sie einen Preis dafür festlegt, ist die Einsamkeit noch frei“.
Auf seinen Streifzügen stößt er jedoch in Hinterhöfen auf seltsame Graffitis, die halb Fisch, halb Vogel darstellen sowie auf Sätze wie „Die Gesellschaft existiert nicht“ oder „Frankreich ist Verbrechen“. Diese Spuren führen ihn zu den Bleichen Füchsen, einer nach einer Gottheit der Dogon benannten Vereinigung von Immigranten und Sympathisanten. Sie sind die „sans papiers“ und gemeinsam verfolgen sie die „Utopie einer von der Identität befreiten Welt“.
Als zwei Afrikaner bei einer Verfolgungsjagd mit der Polizei ums Leben kommt, wird der Trauermarsch der mit Dogon-Masken Vermummten zu einem Fanal: „Ein paar Stunden haben ausgereicht, um Paris zum Schauplatz einer wilden Revolte zu machen“.
Yannick Haenel, der seine Kindheit und Jugend in verschiedenen Ländern Afrikas verbrachte, beleuchtet in seinem Roman voller Empörung die vergessenen Ränder unserer Gesellschaft. Mit philosophisch-poetischen Sentenzen, die hin und wieder aber auch zu nebulösen Blendgranaten werden, attackiert er das kapitalistische System, und versucht in Anklang an die Situationistische Internationale, Politik und Poesie zu vereinen. Am Beispiel seines Protagonisten zeichnet er durch einen Wechsel der Erzählperspektive einen Weg auf, der aus der durchaus erkenntnisreichen, aber passiven Vereinzelung und Vereinsamung zur gemeinschaftlichen Aktion und schließlich zur Revolte führt. Diese verbleibt allerdings im mythisch grundierten Ungefähren und daher wohl folgenlos.
Karsten Herrmann
Yannick Haenel: Die Bleichen Füchse. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. Rowohlt 2014. 190 Seiten. 18,95 Euro.