Geschrieben am 10. September 2011 von für Bücher, Crimemag

Yassin Musharbash: Radikal

Gut konstruierter Hauptstadtthriller

– Für John Le Carré durfte er recherchieren, jetzt hat er einen eigenen Roman geschrieben: Yassin Musharbash. Gar nicht so übel, wenn auch noch mit Macken, findet Max Annas.

Wie offen sind die Grünen dieser Tage noch für Seiteneinsteiger, die nicht die Parteileiter erklommen haben? Yassin Musharbash, Spiegel-Online-Redakteur für jene Gegend, die gern noch Naher Osten genannt wird, stellt die Situation so dar, als sei es kein Problem, kurz vor den Bundestagswahlen dort einen sicheren Listenplatz zu kriegen und, Neider hin, Neider her, mal schnell in den Bundestag einzuziehen.

Er hat auch Gründe genug dafür, schließlich ist die Karriere von Lutfi Latif, dem neuen Politstar, der so sehr an Barack Obama erinnert, die Grundlage für seine dramatische Konstruktion. Latif, wie Obama gesegnet mit einer so klugen wie schönen Frau und zwei reizenden Töchtern, hat ägyptische Wurzeln und zieht, wie Obama zunächst auch, das Geschwätz aller Dumpfen und Rechten und Rassisten auf sich. Weil seine Familie, und da geht der Vergleich mit Obama nicht weiter, auch noch den Islam praktiziert, hat er darüber hinaus auch noch die islamischen Puristen am Hals, denen er als Verräter gilt, und dann auch noch die ganze christliche, islamophobe Bande. Denen genügt reden schon lange nicht mehr, und gleich im ersten Kapitel geht es um Sprengstoff und um die Frage, was der, der ihn von einem bekifften Schüler gekauft hat, damit wohl anstellen könnte.

Yassin Musharbash (© Annika Langosch, Fotodesign Lichtblick)

A kind of Sarrazin

Musharbash hat einen gut konstruierten Hauptstadtthriller geschrieben, der die Perspektiven rasch wechselt und im Wesentlichen auf drei Protagonisten baut: eine palästinensische Studentin, die bei Latif im Parlamentsbüro anheuert, einen Islamexperten, der unter zahlreichen Pseudonymen in der virtuellen Welt unterwegs ist, und die Redakteurin des fiktiven Wochenblattes „Globus“, die sich gegen allerlei sackkratzende Konkurrenz im eigenen Haus behaupten muss. Das funktioniert alles sehr gut, denn es passiert viel, selbst bevor die Bombe im Regierungsviertel hochgeht. Die Islamisten lässt Musharbash im Hintergrund agieren, wichtiger ist ihm der Fokus auf das Netzwerk der Islamophoben. Er hat dafür eine Figur entworfen, die nicht nur locker an Thilo Sarrazin angelehnt ist, der aber hier Politik und Öffentlichkeitsarbeit längst nicht mehr ausreichen. Da kommt dann der Sprengstoff aus dem ersten Kapitel wieder ins Spiel.

„Radikal“ ist ein ordentlicher, mitunter sogar guter Thriller, der allerdings ein engagierteres Lektorat verdient gehabt hätte. Zu viele Satzbandwürmer mit sinnlosen Beschreibungen enden im Nirgendwo, viel zu viele „vielleichts“ hätten der letzten Korrektur zum Opfer fallen müssen, und dass Musharbash die Journalistin am liebsten mit Vor- und Nachnamen nennt, anders als die beiden anderen Protagonisten, schafft eine große Distanz zur Figur. Der Sticker auf dem Cover zuletzt, auf dem John Le Carré zitiert wird, ist richtig peinlich. Ich weiß, dass so etwas zum Geschäft gehört, und trotzdem: „Ich glaube, dieses Debüt wird ein Triumph“, muss der alte Meister dort sagen. Dabei, das hört man doch immer wieder, soll sein Deutsch außerordentlich gut sein.

Max Annas

Yassin Musharbash: Radikal. Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2011, 400 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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