Andreas Louis Seyerlein

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14.08 UTC — Eine alte Dame spa­ziert durch den Pal­men­gar­ten. Sie spa­ziert bereits seit fünf Tagen durch den Pal­men­gar­ten. Auch in der Stadt, in der sie seit vie­len Jahr­zehn­ten wohnt, exis­tiert ein Pal­men­gar­ten, der viel grö­ßer ist, als der Pal­men­gar­ten jener Stadt, in die sie reis­te, um spa­zie­ren zu gehen. Es muss präzise die­ser Pal­men­gar­ten sein, weil sie ihn von ihrer Kind­heit kennt. Sie ist noch gut zu Fuß, aber sie geht lang­sam, sie will etwas fin­den, das mit die­sem Pal­men­gar­ten ver­bun­den ist, eine Erin­ne­rung. Die­sen Teich gab es noch nicht, sagt sie, aber die­sen Berg von Stei­nen, den will sie ken­nen. Auch an das Café­ am Süd­aus­gang erin­nert sie sich. Und die­se Gink­go­bäu­me gab es damals auch schon, da hat sie Blät­ter gesam­melt, um sie zu trock­nen und auf Kar­ten zu kle­ben. Nein, sie habe noch nicht gefun­den, was sie sucht, sie weiß aber ganz sicher, dass sie es hier fin­den wird, es ist ja schon da in mei­nem alten Kopf, ich muss nur dar­auf kom­men, das geht nur hier. Und wenn sie gefun­den habe, was sie hier suchte? Dann rei­se sie wei­ter nach Ilu­lis­sat, da war ich auch schon, immer schön der Rei­he nach, aber nicht im Win­ter, im Winter fahre ich an die Nordsee. Jetzt geht sie wei­ter. Es ist Mai, Mitt­woch, kurz nach Drei. — stop

22.03 UTC — Sobald ich mit mei­ner Schreib­ma­schi­ne eine U‑Bahn betre­te, beginnt sie nach wei­te­ren Schreib­ma­schi­nen zu suchen, ver­mut­lich, um Kon­takt her­zu­stel­len. Meis­tens ant­wor­ten anwe­sen­de Schreib­ma­schi­nen. Sie erzäh­len einer­seits, dass sie da sind, dass sie über Sen­so­ren ver­fü­gen, die bemer­ken, dass mei­ne Schreib­ma­schi­ne sich nach ihrer Gegen­wart erkun­digt. Ander­erseits zei­gen sie an, dass sie im Grun­de kei­nen Kon­takt auf­zu­neh­men wün­schen. Sie sen­den Namen, Bezeich­nun­gen, Zah­len oder Buch­sta­ben­fol­gen, die auf nichts ver­wei­sen, als ein­deu­tig sie selbst: L‑887MN oder Easy665X. Manch­mal jedoch sind Zei­chen­fol­gen zu ent­de­cken, die ein Geräusch im Kopf erzeu­gen, Mezi­zo 7, zum Bei­spiel, oder, ges­tern: Kaprun­bi­ber. Das war unheim­lich, ich dreh­te mich um. — stop

> particles

11. Februar 2020 15:26










Mirko Bonné

Ein Dunst

Ein Dunst liegt über Dakota,
und über Nevada liegt Rauch
und Qualm über Minnesota.
Am Ende liege ich auch.

Heute ist Ror Wolf gestorben.

*

17. Februar 2020 22:50










Konstantin Ames

kapiert euch

Vom Bett, wo junge Seehunde lauten

als hätte sie’s, in einer Gurgel (meiner),

in einen Fluß verschlagen, zum Park

(Volkspark) für verschlissene Chefsessel

– und es gibt Beweisfotos, wertes Zentralorgan –

hinaus auf die Gesellschaftsinseln

inmitten dieser Façonschnitt-Epiphanien.

 

Zwei lehnen schon an Bäumen und kotzen

die Metaphern wieder aus. Kartenhausmägen.

Fehlen nur dem Brahmsschaf feuchte Träume

von Handwerk ohne Inspiration im Jetzt-Hier-Origo.

Reden wir nochmal drüber nach dem Neobarock.

20. Februar 2020 15:46










Mirko Bonné

Die Schatten werfen

zwei schwarze gesichter
und traum
Tadeusz Różewicz

Die Schatten werfen die Ereignisse voraus,
die Sonne scheint dagegen machtlos, und
so bist es du als Kind, von dem du lernst.

Was tat ich an dem Nachmittag, woher war ich
gekommen, als ich durch den Garten lief, zum Fenster,
ins Zimmer sah und dass da bloß noch Schatten war?

Schmerz sah ich, Angst, Tod, Leben der Gespenster,
ich hatte Augen nie für so etwas gehabt. Die Tränen im
Gesicht der Mutter, als der Freund zusammenbrach,

vornüberkippte auf die Knie, dann fiel, zu Boden ging,
das stumme Weinen der Verzweiflung und das kalte Glas
der Scheibe an die Stirn gepresst, der schwarze Tanz

an Wänden, auf dem Teppich, unterm Glastisch und
die Schatten der vorausgeworfenen Ereignisse in dem
erloschenen Gesicht und im Gesicht der jungen Frau.

Für beide war ich unsichtbar. Ich lernte zuzusehen und
dass die Zusammenhänge enden ohne einen Sinn.
Ich fühlte nur das Glas und wie die Zeit verging.

Der Junge, der ich war und unverändert bin,
sah zu, wie einer starb, ich lernte leben und von Glas
und meiner Haut den Unterschied. Ich lernte machtlos sein.

*

22. Februar 2020 00:32










Christian Lorenz Müller

UNBESCHADET DURCHFLIEGT DIE POESIE

Keine Windräder,
Zahnräder einer großen
Himmelsmaschine.

Ventilatoren,
quirlen sie sommers Frischluft
ins stickige Wien.

Wühlende Schrauben
von gekenterten Schiffen.
Weiße Wolkengischt.

Oder Propeller
über einem Nurflügler
namens Horizont.

Unbeschadet durch-
fliegt die Poesie die wir-
belnden Rotoren.

26. Februar 2020 09:54










Hendrik Rost

Städtetrips in Zeiten der Demokratie

28. Februar 2020 08:31