Andreas H. Drescher

Zehn kleine Gerhardlein

die gingen in die Lehre, ja, gingen bei der Leere in die Lehre, als ob sie keine Leere wäre. Sondern ein Atoll, mit ertauchbaren Gesichtern darin, Fischgesichtern, Knochenfisch-Gesichtern, knochendichten Knochenfisch-Gesichtern. Auch die schießen in die Luft, doch ziehen sie weit mehr Meer hinter sich her als jeder Dosen-Schuss halbierten und gepinkelten Vokals. Mit ihren ganzen, gleißenden, geschuppten Körpern springen sie der Luft entgegen, als wäre sie Hildegard, als wäre sie Bärbel – und nicht nur dieses Projektil-Projekt der eingekleinten Gerhards. Weiter steckt sich das nicht, endet in luftiger Atemlosigkeit und plumpst in seine Gischt zurück: als Dieter.

21. November 2013 11:40










Andreas H. Drescher

Gerhards Acht-Verdacht

Doch letztlich waren alle Anwesenden abwesend, garantiert! Hildegard, die erste, die das nicht nur als Gedankenverlorenheit auslegte, begriff es zuerst: Das Überseeische der Mosel kehrte in sich selbst zurück und wurde zur Saar. Genauer: wurde das Liqui-Moly-Lager, das einmal die Saar gewesen war. Öliges Schwappen jetzt in Hildegards Stammhirn. Sehnsucht, Herz aus Sand. Das Überseeische für sie hoch über der Überirdischkeit der Überdachung. Ihre Brut ließ sich den Eizahn wachsen und versuchte, sich aus der Schmiere zu picken. Sinnlose Notate auf der Innenseite der Dose.

19. November 2013 09:39










Andreas H. Drescher

Gerhards Gutschrift 6

Die Hitze war also trinkbar geworden. Durch sie zogen sich die Mangroven in Bärbels Plantagen zurück. Verwandlungen also: allüberall. Doch immer in die falsche Richtung. Selbst Pauls Panther sang sich nun als Pol Pot in die Dornen. Ein hübscher Mann, der „Bruder Nummer 1“, da waren sich die beiden Schwestern einig. Wenn nur nicht gegen jede zweite Staude diese aufgetürmten Totenschädel lehnten. „Gerhards Schädel“, behauptete Hildegard. Doch Bärbels Lächeln wurde steinig, während sie langsam widersprach. „Dieters Schädel!“. Danach stellte sie Hildegard den Grimselpass aus. Noch immer voller Ungeduld und ohne Grimselspaß: Sie hängte Dieters Bärte so lange summend die Scheinstämme, bis sie zu Luftwurzeln geworden waren. Der Gram der brüderlichen Zwerge war ihr inzwischen schon zur linken Hand geworden.

12. November 2013 09:16










Andreas H. Drescher

Gerhard 4

Hildegard hatte sich zeitgleich in Dieters Herzschrittmacher eingerichtet. Schaltete ihn ein, schaltete ihn aus. Und freute sich an Dieters farbenfrohem Umschlag zwischen Zwerg und Rhabarber. Farben-froh, sonst weniger. Doch für seinen Kollaps hatte sie kein Auge, zu begeistert spiegelte sie sich als Bärbel im Silber des Gehäuses und las sich von den Lippen ab, dass es von nun an nur noch Langobarden für sie gebe. Abschaffung von Backen-, Kinn- und Schnurrbart! Nur tanglange Vollbärte hatten noch Bestand. Das war ihre Korrektur ihres Spaziergangs durch Gerhard.

11. November 2013 13:05










Andreas H. Drescher

Gerhards Gutschrift 2

Gerhard trug die Gutschrift noch in den Ohren, als er an seinen Kleiderschrank herantrat: Dvoraks Romanze für Klavier und Violine. Nicht als Erinnerung trug er sie in sich, als ihn der Kastanien-Geruch umschloss, sondern als Reizung. Seines noch offenen Hemdes, seiner noch in den Knien hängenden Hosen wegen, die die zerborstenen Spiegeltüren widergaben. Er hatte die Fotos unter seinen Strümpfen gut versteckt geglaubt. Doch nun, wo sie unter seinen Zehenballen klebten, war es ihm, als werde er von nun an auch in Schuhen barfuß sein. Bärbels wegen.

9. November 2013 11:20










Andreas H. Drescher

Freitag

Der Freitag öffnet sich und lässt den Straßenlärm herein. Sie sieht das deutlich, auch über die Ohren. Der Lärm scheint eine seltsame Zuneigung zu ihr gefasst zu haben. Als wolle er ihre Sommersprossen durch je ein Hupen abzählen. „Bestimmt!“, murmelt sie und braucht diese Bestätigung: „Bestimmt!“, als spüre sie die Freitags-Hand schon auf der Wange. So lacht sie ihr Hinaustreten ins Lärmen der Straßen. Das Tosen und ihre Benommenheit sind nun dasselbe. Sie genießt den Hall als ihre Gelassenheit und braucht nicht einmal einen Anlauf, nicht einmal einen Sprung, um bäuchlings auf einer der blitzenden Frontscheiben zu liegen. Ihren Nabel soll der Fahrer sehen, nur ihren Nabel, sonst nichts. Allenfalls den ohnehin schon flachen und vom Glas noch einmal eingeflachten Bauch. Sein geckenhaftes Staunen, das Pendeln seines Kopfes überm Lenkrad. Schließlich legt er sein Kinn auf dessen Leder ab, ohne weiter auf seine Fahrt, auf seine Richtung, auf seine Sicherheit zu achten. Er tippt sie neckend mit dem Scheibenwischer an. Kaum aber hat er auch nur daran gedacht, nun auch den Hebel mit dem Wischwasser zu betätigen, da ist sie auch schon fort. In der nächsten Dachtraufe. Schon wieder: ohne auch nur eines Anlaufs oder eines Sprunges zu bedürfen. Unter sich hört sie noch das Quietschen des ausbrechenden Wagens. Doch nur der Glast der Frontscheibe ist da, kein Fahrer mehr, der das Steuer herumwirft, um ihr nah zu sein. Sie hört das nur mit einem Ohr. Sie ist bereits zu Hause in der Dachtraufe. Vogel-Waschungen, um alles Vorläufige hinter sich zu lassen. Entrückte Vogel-Waschungen. Sie ist entschlossen hier zu bleiben. Kein Kopfsprung in den Kamin, um den Kaminbrand einer Kindheit einzufangen. Kein Lachen, kein Aufglimmen. Sie wird bleiben.

25. Oktober 2013 09:56










Andreas H. Drescher

ANGLERLATEIN

Einen Würfel ins Fluss
bett geschnitten ein
Wels da
r
i
n

Dann steht er neben dir fürs Foto lacht und schliddert
frei
willig aufs
Dach der Ente da
mit du ihn wenigstens zwei
mal durchs Dorf fährst wie zu

fällig drei Mal an deiner Stammkneipe vorbei zu
m Manne bevor er nach der Kühltruhe ruft in dieser fremden
Sprache

Anglerlatein

(CLICK: „ANGLERLATEIN“ ALS LYRIK-CLIP )

18. September 2013 18:19










Andreas H. Drescher

Tuk-Tuk

Auf der Fähre von Mombasa schon begann ich auf das Afrika-Gefühl zu warten, von dem Hartmut so oft gesprochen hatte. Aber wie sollte das gehen, wo sich in der braunen Brühe vor mir nicht mal Krokodile einstellten. Auch das Tuk-Tuk, das Vespa-Dreirad, das mir den Kopf mehr als einmal hart gegen das Blechdach warf, ließ weit weniger Glückgefühle in mir aufkommen als den Gedanken, wie leicht selbst mit einfachstem Werkzeug so ein Stoßdämpfer zu reparieren wäre.
Nur ein Mal hatte ich das Gefühl, Afrika rufe, spreche mich an. Als ich bei Hartmut ankam und in der in dieser Weltgegend wirklich stockschwarzen Nacht eine weibliche Stimme zu mir sagte: „Schön vorsichtig beim Aussteigen, die Schlangen sind wieder auf Hühner-Jagd…“, während ich aus dem Tuk-Tuk in ein staubiges Nichts hinein sprang. Ich fragte mich schon, ob Afrika einen Abstecher in die Berlitz-School gemacht habe, um Deutsch zu lernen, da sah ich im Licht des wendenden Tuk-Tuk die Augen von Hartmuts afrikanischer Freundin Jazz aufleuchten. „Sie kommen spät. Haben Sie sich am Flughafen verlaufen?“ Ein Witz! Der Flughafen von Mombasa ist nicht größer eine Schuhschachtel. So lachte ich noch, als ich bei meinem alten Freund Hartmut eintrat, dem gemütlichen Bankrotteur, der in Deutschland seinen Bioladen an die Wand gesetzt, aber genug Geld beiseite gebracht hatte, um sich in Kenia bis zu seinem Lebensende seinen uneinträglichen Geschäften widmen zu können. Jedenfalls, wenn er alle wirklich wichtigen Besorgungen Jazz überließ. Auch die beiden Enduros hatte sie besorgt, mit denen uns wir gleich am nächsten Morgen die Gegend ansehen wollten. Hartmut war so begeistert über die Aufzieh-Taschenlampe aus dem Outdoor-Laden, die ich ihm mitgebracht hatte, dass er darauf bestand, die Maschinen gleich ansehen zu gehen. Viel geschlafen haben wir nicht in dieser Nacht, meines Jetlags wegen. So setzten wir uns noch mit einem übernächtigten Schweben in den Knochen bei Sonnenaufgang auf die Maschinen. Eine kleine Tour, um uns anzusehen, was es an der Küste Kenias an Tieren alles NICHT MEHR gab: keine Elefanten, keine Löwen… Dafür Affen und Zebras satt und Tausendfüßler, so lang wie ein Unterarm, die selbst bei vierundvierzig Grad im Schatten mit ihren Innereien das schönste Aquaplaning unter die Reifen schmierten, wenn man sie in einer Kurve übersah. Dabei waren die großen gar nicht mal das Problem. Das merkte ich, als Jazz bei all ihrer Schwärze plötzlich blass wurde, als ich einen von den Kleineren von der Hose schnippte. Beim letzten Mal, als sie einen solchen Tausendfüßler berührt hatte, war ihr der Arm bis zum Ellenbogen angeschwollen. Ich begriff, ich musste langsamer werden.
Von der Hetze, die ich auf dieser Reise überall vorfand, wo früher noch sowas wie eine angewandte Gemächlichkeit geherrscht hatte, war ich einfach mit fortgespült worden. So stieg ich in Zukunft behutsamer vom Tuk-Tuk, um die Schlangen nicht zu erschrecken, damit sie ihr Gift für die Hühner aufbewahrten, wechselte von der Enduro zum Mountainbike, damit ich das Schlagloch in meinen Träumen loswurde, dem ich nicht mehr ausweichen konnte, und schaute mir jetzt genauer an, was ich von der Hose schnippte. Ich nahm mir Hartmut zum Vorbild, in dem sich die alte afrikanische Bedächtigkeit angesammelt zu haben schien, die den Afrikanern selbst abhanden gekommen war. So tuckerten, Tuk-Tuk-erten wir zusammen nach Mombasa, zu einer seiner sogenannten „Geschäfts-Fahrten“, die ausschließlich darin bestanden, in der Altstadt zu sitzen und mit ein paar Greisen brennend heißen Tee zu schlürfen. Ich mag die Altstadt. Sie ist wahrscheinlich der Ort in Kenia, an dem die Leute dich am wenigsten verfolgen, um dir irgendwas zu verkaufen: einschließlich ihrer selbst. Die Halb-Hure Aylin, die mich im Zentrum aufgegabelt und trotz meines Sträubens als Kunden auserkoren hatte, brauchte eine ganze Zeit, bis sie begriff, dass ich nicht nach Frauen Ausschau hielt. So schwenkte sie auf Fremdenführerin um, und war eine gute Fremdenführerin. Sie war es, die mir die schönsten und am wenigsten vom Nepp überkrusteten Orte der Stadt zeigte. Der Nepp und die Korruption haben inzwischen das ganze Land in den Fängen. Nie werde ich den Polizisten vergessen, der mir gleich nach der Ankunft auf der Fähre gegenüber stand, mich fest ins Auge fasste und fast unhörbar vor sich hin murmelte: „Ich hab Hunger.“ Was blieb mir übrig, als etwas springen zu lassen? Weiß der Teufel, was passiert wäre, wenn ich mich dumm gestellt hätte.

Für Peter.

11. Juni 2013 07:23










Andreas H. Drescher

DER SCHWARZARBEITER

Drei Tage später ging ich zur Eisstelle
Die festgefrorenen Delfine unterhielten sich noch immer

Noch über ihren Tod hinaus
Trotzdem war ich nicht neugierig darauf was sie sagten

Ich fragte mich lediglich ob sie einen ernsthafteren Tod
Stürben wenn ich sie wieder auftaute

Zum Glück hatte ich meine Lehre als Heizungsbauer erst
Kurz vor der Prüfung abgebrochen

Es ging auch soweit ganz gut
Nur einen einzigen Fehler machte ich als ich die Thermostate

In die Delphine selber einbaute
So konnten sie nach ihrem Gutdünken erfrieren und wieder

Auftauen Seitdem tauchen sie aufs Geratewohl zwischen ihren
Wiedergeburten hin und her und

Lassen mich am Eisrand stehen
Ohne auch nur an die Erstattung meiner Unkosten zu denken

30. Mai 2013 16:30










Andreas H. Drescher

Zitronenwein

Die Spirale des Zitronen
Falters um mich her dann
Spielt er altes Blatt im Wein

6. März 2013 10:57










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