Christine Kappe
Graue Nachmittage im Spätwinter. Wer nicht allzu krank ist, huscht zum Einkaufen. Jannek z.B. Es ist unklar, wie wir uns begrüßen sollen, ohne Bakterien auszutauschen. Aber die eigentliche Krankheit ist doch der Winter. Oder die langandauernde Herbst-Depression von Herbert.
Jannek schiebt die russische Fellmütze ins Genick, die sein Gesicht verdeckte. Eigentlich mag ich ihn und sein Suchen nach den treffenden Worten, das nie ein Ende findet. Wer weiß. Wer weiß, warum Herbert Jannek nicht mehr mag.
Und wer weiß, wenn ich früher erkannt hätte, dass Herbert viel kränker ist als Jannek, vielleicht hätte ich dann mit Jannek über Herbert geredet und vielleicht hätten wir Herbert dann helfen können. Jetzt… huschen wir wieder unserer Wege („Mami, kennst Du diesen Mann?“), und den letzten beißen die Hunde, aber Herbert beißen ja noch nicht einmal die Katzen.
20. Februar 2013 14:23
Christine Kappe
Krausen 11a: Durch den langgezogenen Glasbaudurchgangseingang, der zur Briefkastenanlage führt, schaut man in den hinteren Teil der Kaffeerösterei. Oft sitzt hier ein Mann an einer alten Kaffeebohnen-Sortiermaschine beim Licht einer gusseisernen, mit zwei rostigen Gewichten stabilisierten Schreibtischlampe. Aus einem grobgewebtem Jutesack fallen die Bohnen auf ein von der Lampe beleuchtetes, langsamrüttelndes Förderband, von dem aus sie auf eine Rutsche unter dem Tisch rollen, über die sie sekundenschnell in einem Kanister verschwinden – bis auf jene, die der Mann mit einem Kugelschreiber vorher zur Seite geschnippst hat, jene etwas helleren und jene etwas dunkleren, jene etwas schrumpligen, gefleckten, kleineren, zerbrochenen… Wenn der Mann dort nicht sitzt und die Maschine stillsteht, im Dämmer, im Un-Licht, liegen die nicht gewollten Bohnen mit ihren unterschiedlichen Brauntönen und Formen in ehemaligen Marmeladengläsern oder einfach nur herum.
30. Januar 2013 17:21
Christine Kappe
Wrede 2. Seltsame Angewohnheit, Hauseingänge in Tordurchfahrten zu bauen…. Hier zieht es immer. Die silbernen Knöpfchen der Klingelanlage leuchten, aber klingeln nicht. Wenn es besonders ungemütlich ist, schreibe ich vorher schon „K.E.“ auf die Briefe und steuere Wrede 1 an, denn ich muss mich beeilen, nachher schlafen die Kinder, ohne dass ich mit ihnen geredet habe und ich kann nichts machen, außer mit den Tellern klappern. Die Söhne des Kioskbesitzers rufen mir von weitem etwas zu; der eine hat ein Mädchen dabei, welches jetzt nach links abdriftet, die Söhne verschwinden im Kiosk und kommen mit zwei Dosen Bier und zwei neuen Frisuren wieder heraus. Es ist kurz nach 10.
22. Januar 2013 09:01
Christine Kappe
Zustell-Ende in der Heinrich-Heine. Ich geh kurz vor eins noch beim Bäcker rein. Bevor ich mein Brot bestellen kann, kommt eine ältere Frau hereingestürmt. „Ich muss mal kurz stören, ich hab was ganz Blödes gemacht. Ich habe zwei Tüten mit Kleidern in den Altkleidercontainer geworfen und meinen Schlüssel samt Portemonaie hinterher!“ Ihre Panik flirrt in der Luft. Die Bäckerin zwinkert: „Die ist immer so. Auch wenn sie nicht ‚was ganz Blödes‘ gemacht hat.“ Ich gehe mit der Frau hinaus, gebe ihr mein Handy; aber sie kann damit nicht umgehen. Kurz darauf hänge ich in Warteschleifen und fremden Geschichten. Gerade will ich fragen, was ich auf den AB sprechen soll, da sehe ich, wie sie in den Container klettert… Pünktlich Feierabend machen, mit einem Brot in der Tasche, davon träume ich nur.
22. Dezember 2012 14:59
Christine Kappe
Traum, am Nachmittag, auf dem Sofa, nach dem Zähneziehen, dass die Umkleidekabinen der Turnhallen in meiner Kindheit immer unvorstellbar hohe Decken und Fenster hatten, und dass der Junge, mit dem ich dort am liebsten tobte, behauptete, er würde schon seit 5 Jahren in unserer Wohnung wohnen; wir rangelten uns, und das tat natürlich viel mehr weh, als wenn unsere Eltern uns schlugen, aber darüber beschwerten wir uns nicht.
6. Dezember 2012 09:42
Christine Kappe
MHH. Im Zimmer wurde es immer dunkler, niemand von uns wollte das Licht anmachen (es war zu hell), wir saßen einfach nur da, waren einfach nur da. Ben und ich warteten auf meine Entlassung. Ingrid hatten sie gleich wieder zugenäht, als sie gesehen hatte, dass alle Organe befallen waren. Mir war schleierhaft, wie sie das aushielt, was sie dachte. Ihr Sohn war ruhig, schön, traurig, im langen schwarzen Mantel und einem Alter, von dem wir nur träumen konnten. Ihr Mann fasste es zusammen: „Du bist halt was besonderes.“ Von unten drangen den ganzen Nachmittag die Geräusche der Gärtner durchs gekippte Fenster. Es gab viel zu ordnen für sie. Ich musste an meinen Bruder denken. Wenn er nur halb so lange wie ich hier warten müsste, hätte er einen Anwalt eingeschaltet.
28. November 2012 22:29