Christine Kappe
Am 18. August 1984 kam Michael Jackson nach M.D.
das ist ein kleines Dorf am Rande des Sollings
mit gerade mal 2000 Einwohnern
Jackson war kleiner als ich, hatte sich
einzelne Ponysträhnen im Gesicht festgeklebt
damit sie nicht verrutschten und
schwitzte die ganze Zeit in einer braunen Lederjacke
Keiner traute sich ihn anzusprechen
noch nichteinmal für ein Autogramm
Um 9 Uhr abends gingen die meisten Leute ins Bett
weil sie bereits um 4 Uhr morgens
die Tiere versorgen mussten
Ich hatte noch Hausaufgaben zu machen
Aber mit der Michael-Jackson-Federmappe
und dem Michael-Jackson-Block von meiner
Cousine kam ich mir blöd vor
So warteten ich, bis er wieder wegwar
Er sprach übrigens die ganze Zeit kein Wort
29. September 2018 06:17
Christine Kappe
«Ich wollt, ich wäre gründlicher gestorben»
Erst recht, wenn es regnet und aus dem Nachbarhaus die nichtendenwollenden Klänge einer Party
wie wir sie früher gefeiert haben. Schlaflos
Aber ohne dass es uns störte. Endlos geraucht, endlos getrunken und nie das gesagt, was wir eigentlich sagen wollten
Nur um etwas, aufrecht zu halten, was damals vor und jetzt hinter uns, lag. Das war
Wie mit den Figuren auf den Häuserdächern: Zwischen ihnen und mir tobte der Schneesturm, aber auf dem Foto sah man ihn nicht mehr
Oder die Frau mit dem verwehten Haar: Sie dominierte das Straßenbild und nun verschmolz sie mit dem grauen Häusermeer, wie
Russ. Konzeptionalismus, weiß auf weißem Papier
Kajetsja, ani tschastlivy
Freie Übersetzung: Mir schien, sie waren glücklich
18. September 2018 21:42
Christine Kappe
Vielleicht leben wir auch gar nicht
Sondern träumen nur
Von einem Haus da draußen
Weil irgendwer mal gesagt hat, das sei gut
Kenne ich ihn?
Ich befühle mein Haar
Wie sehe ich aus?
Nicht im Sinne von Eitelkeit, sondern:
Wer bin ich?
Wer weiß, ob wir uns wirklich mögen
Und nicht alles nur Gewohnheit ist
28. August 2018 08:36
Christine Kappe
sollen wir alle gemeint sein? das Mädchen mit der Sterntüte ebenso, wie der Mann mit dem sternblauen Auge, die Alte mit dem Sternglas voller Wein, das Baby mit dem durchdringenden Sternschrei, noch ungeboren, klar: Rücken an Rücken haben wir Sternform und kommen aus dem Glitzern gar nicht mehr raus, dieses Glitzern am nachtschwarzen Abgrund, vielleicht wollen wir ihn nicht sehen, oder sollen es nicht, um nicht zu merken, dass wir eigentlich wütend sind, leben wollen, doch mit dem morgendlichen Anspringen der Heizung besänftigen sie uns, nehmen jegliches Funkeln aus unserem Mord- wie Worttrieb, gerade mal ein voller Einkaufswagen mit zur Hälfte unverrottbarem Krempel, damit wir fernbleiben vom Firmament, an dem sie blenden, um jeden Abend lodernd unterzugehen, wie die letzte Glut einer Zigarette, von der wir dachten, sie tue uns gut. Wir Kinder. Wir Sternschnuppenkinder. Wir Libellenlarven, die aussehen wie Bergmolche, doch nun hohl zwischen ihnen dahintreiben. Dabei können wir fliegen! wenn wir die PCs erstmal abgestreift haben.
9. Juni 2018 14:20
Christine Kappe
sie hält die Speisekarte im Rinnstein für ein Gedicht
eins mit Flattersatz
er träumt von einem alten herrschaftlich Haus mit einem See
von unten beleuchtet und mit zwei Schweineherden
„Magst du das, so zu gehen?“
„Ja. Fühlt sich gut an.“
–
„Und du?“
„Eigentlich nicht so, aber es fühlt sich gut an.“
–
–
„Du hast doch aber damit angefangen und meine Hand genommen.“
„Stimmt.
27. Mai 2018 21:43
Christine Kappe
Niemand wünscht dir eine gute Nacht
Nicht einmal eine Nacht
Ich meine – irgendeine
Draußen haben sie einfach das Licht ausgeschaltet
Nur der Wind ist noch wach
Treibt kleine Tropfen vor sich her
Weiß nicht so recht, wohin damit
10. Mai 2018 07:21
Christine Kappe
Später Ikarus
(Daedalus früher)
Nichts ist für immer geklärt
Moskau-Berlin 6,50 Euro
Stell dir vor, die Fenster wären die Filme & die Filme die Fenster
Du & ich abends in der Küche
“Spiegelt sich dort hinten unsere Lampe oder ist das ne eigene?”
“Das ist, glaube ich, ne eigene.”
P.s Begrüßung mit Kuss (ohne Hals) (meinen)
“Denken verbraucht Vitamine” (Tom)
wer sagt
dass Herzen
versucht
werden müssen
Träume, dass wir auf einer Baustelle vorm Haus schlafen. & du mich zu dir ranziehst, mich wärmst. “Du hast doch nichts dagegen.” & er hat dünne Beine
Jeder ist jemandes Engel
25. April 2018 05:49
Christine Kappe
Es gibt aber Menschen, die würden das nie zugeben
erst recht nicht suchen
zB. Kulis in vollgestopften Taschen
Meine Freundin Marry gehört dazu
Und der Herr, der Arno & mich noch mit in den Fahrstuhl lässt
Macht eine Geste, als würde er es damit nicht nur beschleunigen
sondern erlauben
Die morgendlichen Straßen sind nass, ohne dass es regnet
Fahrzeuge rollen ohne zu zögern in den Tag
20. April 2018 07:02
Christine Kappe
„Schon‘ dich
die Jungs haben hier oben rumgestanden, als du das Buffet aus’m Keller geschleppt hast
Argument: sie seien nicht richtig angezogen
Ha ha ha.“
„Ja aber, habt ihr gesehen, wie sie nächtelang den Film schnitten?“
Bleibt nur noch:
zu fühlen, was zum Denken nicht gemacht ist:
Unbestimmbare Frühlingstage, schlecht beleuchtet
Die Landschaftsbehörde ist jetzt zu einem Hochsicherheitstrakt umfunktioniert
man kommt nur noch mit Plakette rein
mollige Heizungsluft
Radiosound
der Schlüssel steckt von außen
niemand ist da
15. April 2018 20:51
Christine Kappe
für Dirk Baumeister
Es hing der Kuli an der Wäscheleine und las mir Gedichte vor, bis das Licht nicht mehr reichte. Ich hörte nicht den genauen Sinn seiner Worte, und er las nicht genau das, was da stand. Aber ich wusste, dass ich es mit einem historischen Moment zu tun hatte, mit einem unentdeckten Genie und einem Tag, an dem ich das Schreiben endgültig ihm überlassen hatte.
12. April 2018 06:51