Hans Thill
DAS NÄCHSTE DORF auf gesägtem Gelände, tröstlich und nackt. Erst spät trat man hinter den Pflug und die Wörter waren rar wie Orangenwachs. Für Hose, Baum, Buch und Kiste genügte ein kurzer Lippenlaut, zögerlich geraten. Auch die Getränke verhallten rasch und einsilbig, als wir in der Stube aßen und die Tiere zu brüllen begannen.
9. November 2010 10:03
Hans Thill
DAS NÄCHSTE DORF roch schon von weitem halb nach Auftrieb halb nach Schweiß. An der schmalen Front der Hügel lag die Sonnenseite, wo Greise ihre Kartoffeln unter Steine legten. Die Erde trinckt für sich, die Bäume trincken erden (Opitz). Ein Traktor rüttelte an jedem Stamm.
2. November 2010 10:03
Hans Thill
DAS NÄCHSTE DORF begann in der frischen Morgenluft mit Flecken an der Leitplanke. Hier hingen die Öfen aus dem Haus. Die Männer: rußige Gesichter, Zündhölzer zwischen den Zähnen. Wir sahen die Mäuse über die Fahrbahn huschen, dachten Opitz und Pest. Frauen kamen flach wie die Kinder des Olymp und wollten tanzen mit zusammengehenckten Händen.
26. Oktober 2010 10:15
Hans Thill
DAS NÄCHSTE DORF, eine Durchgangssiedlung. Freche Völker hatten es zwischen weißem Bengelholz auf Isolatoren und Lehm errichtet. Wo man mit der Ferse kratzte, glänzte es elektrisch hervor. Wir suchten Unterkunft für Sekunden. Fremde werden gepackt, gebündelt und entflammt, warnte Seneca. Wir stellten unsere Teller vor das alte Tier, das sich mit Worten zierte.
19. Oktober 2010 10:15
Hans Thill
DAS NÄCHSTE DORF hieß Boden oder Bad und lag auf einem rauhen Berg. Bäche sah man keine Fische tragen. Die Straßen flossen mit dem Schotter in die Ferne, die hinter einem Schleier lag. Ein Fachwerk wie aus trüben Türmen gezimmert. Wie entkamen wir dem kalten Quatsch der Kübel und Boxen? Grund, Garten, ein nächtliches Alfabet, das in Balkanien begann. Sprechende Namen, Hunde. Wie Steine stand das Vieh auf der Wiese.
12. Oktober 2010 09:58
Hans Thill

Foto: Jean-Philippe Baudoin
Das Gerüst
Ganz oben hingen Trauben an diesem Holz. Das Dunkle wuchs ins Helle hinein. Man hätte auch einen Vogelbauer aufhängen können, Nägel gab es genug, hölzerne Stifte und eine Kamera, die das alles festhält. An den Trauben pickten Vögel, es waren große schwarze Sirenen, die nicht so-viel schlucken konnten wie der Simurgh. An manchen Stellen klebten die Kerne von Jahrhunderten, statt zu fegen redeten die Bewohner laut über die Straße hinweg, was keinen Vogel verscheuchte, uns aber ins Genick fuhr, als wir hier vorbeirannten: Fuckwerk!
(für den neuen Nobert!)
23. August 2010 13:16
Hans Thill

Foto: Jean-Philippe Baudoin
Die Paraphe
Dieser Mann unterschreibt mit Holz, was ihm Eisen und Papier einbrachten. Seine Kraft hat nichts leserliches, sein Name ist zackig wie ein beringtes Faß. Er lebte mit einer Wildfrau unter tiefen Tellern, bis er dann im Dorf die Goldstücke an die Bauern brachte. Wo andere noch säen, wird für ihn schon gemäht. Auf den Lichtungen die Wildfrauen, Hirschen reitend. Er hat jetzt also ein Dach und ein steinernes Herz. Keine Pferde in dieser Geschichte. Vom Hafer ein paar Körner, daher der Mangel an Kraft am Ende der Zeile.
29. Juli 2010 12:43
Hans Thill

Foto: Jean-Philippe Baudoin
Das Gatter
und auch die hängenden Rauten einer Biergartenfahne. Semiramis, Zäune für Königinnen, Semiramis, im Donner geboren. Auch eine Statue möcht höflich appostrophiret sein. Drei Könige ritten zum Dorf hinaus, jeder ein Ringlein im Ohr. Und die schrägen Vierecke, Gitterzeichen einer Software, die Kreuzstöcke einer Nervenverbindung. Der erste findet das Brot, die Not, den Tod. Der zweite findet die Fremde. Der dritte das Töchterlein. Und auch die Formation der Soldaten, wenn sie stehen und beten. Der vierte König wurde mit Eisen gebrannt und in ein Faß gesteckt.
2. Juli 2010 18:06
Hans Thill
mein Leich mon voyage mineur. Ein Wiedergänger sprüht
in kleiner Trance an alle Trafo-Stationen: Pas Op!
Verkehrter Kaffee und verirrter Wein steigen zu Kopp
und heissen beispielsweise Chloroform. In einem
weit entfernten Land hilft gegen wortverklebten Mund
Thalassa als ein Zungenlöser aus l und s. dar zamin
dur dast. Mein Nam mein Dotter eines Gottes ärmer
als die Nacht blau im Gesicht und für ein halbes
Sommerstück bin ich in Form: ein kahler Fall ein Overall
das Stresswort allemaal dem Anton Reiser hinters
Ohr geschrieben. Mein Nam meine Entgleisung mein
überall beseeltes immerzu rasiertes Pädonym
bin ich auch kein Korkenzieher wär ich doch gerne
eine Vogeluhr
Begrüßungsgedicht für
Dirk van Bastelaere, Eric Brogniet, Karel Logist, Els Moors, Erik Spinoy, Liliane Wouters, Gerhard Falkner, Zsuzsanna Gahse, Norbert Lange, Michael Speier, Ulrike Almut Sandig.
Edenkoben 23. Juni 2010
23. Juni 2010 15:59
Hans Thill

Foto: Jean-Philippe Baudoin
Erschöpfter Wagen
Ein Behälter muss klare Linien haben und aus dickem Holz soll er sein, wenn man Steine damit fahren will. Man sieht es auf Bildern, die erstarrte Flüssigkeiten sind, historisch und grau, etwa aus der Vorstadt von Paris. Der Behälter schaut nicht nach oben, er bleibt bei sich und seinen Inhalten, die aber auch notwendig sind, andernfalls wäre der Behälter leer.
31. Mai 2010 12:22