Hendrik Rost
Der Tag räuspert sich
fortwährend, hält
aber keine Rede.
Das Glas, das Glas
ist voller Luft,
ich nehme einen Schluck
aus der Zeitung,
in der ein Fisch
von Meldung zu Meldung
schwimmt. Es grenzt
an Zensur und
Zauberei, Teil
der Lösung zu sein
und Teil des Problems.
Das Wetter von morgen
ist der Katzenzustand
von heute. Für alles
ist der Tag zu haben,
der Tag merkt sich jeden
Hokuspokus.
27. Mai 2016 12:12
Hendrik Rost
Viele Kilometer entfernt lebt mein Vater.
Er ruht sich aus, nehme ich an.
Entfernt der alte Vater. Er ruht sich aus,
glaube ich. Wovon, das weiß ich nicht.
Sein Herz findet keinen Takt.
Es schlägt und flimmert irgendwie
und sendet kryptische Winke. Es morst
ohne Sinn. Es schlägt und pumpt
sich immer wieder eine Weile
von meinem Leben, wenn ich an ihn denken muss.
Ich will nicht nur wirres Zeug reden:
Auch diesen Moment nimm, nimm,
ohne irgendetwas zu tilgen. Mehr als genug Leben
habe ich bekommen
von dir.
10. Mai 2016 10:12
Hendrik Rost
Sprache, wir haben noch die Sprache, bevor
wir verrückt werden. Sprache, sie kennt keine
Rache, obwohl ständig irgendein Dings kaputtgeht.
Gut, dass wir alle Kraft an Sprache abgegeben haben.
Sie muss dreißigfach gefältet und
bei Zimmertemperatur um die Welt getragen werden.
Der gewaltige Installateur hat Rohre viel zu eng
um unseren Hals geschnürt.
Ständig fällt etwas aus einem Loch heraus
mit kleinem Knall. Die Sprache will nichts sühnen.
Maulwürfe verzweiheifeln, weil sie keine Macht
über die Sprache oberhalb der Erde haben. In Armeen
wie besessene Nager geistern Ansprüche
an Reinheit und Schutz durch alle Affären.
Alles gleicht einem Hochzeitsflug von Chimären.
Wir umarmen die Sprache mit der Zunge und schieben
immer kühnere Fügungen in die Fugen der großen, großen
chronischen Mauer. Viele, wer?, versuchen, die Sprache
aus der Sprache herauszulösen. Aber
so fintenreich der Wahnsinn sich auch tarnt,
er kommt als Versprechen daher, dass wir klüger
sprechen in Rätseln, wenn wir das Rätsel lösen.
19. April 2016 11:09
Hendrik Rost
Mit der Einjährigen auf dem Arm trete ich aus der Terrassentür und öffne die Schlagläden. Über den Rasen stolziert ein Vogel. „Sieh, die Dohle“, sage ich, aber sie schaut nach oben und verfolgt mit dem Blick zwei Krähen, die sich über den kahlen Baumkronen jagen. „Krah“, sagt sie und ich sage „Ja, zwei Krähen“. Ich muss ihr nichts zeigen, weil sie es schon sieht, kann es nur so benennen, wie wir, die schon länger reden, es kennen.
6. April 2016 10:37
Hendrik Rost
Eine Eiche mit Konstellation Tagesschau steht
vorm Haus als vertrauter Wächter, im Geäst
hängt das Zerebrum eines Wespennests,
das uns den Sommer über grübelnd fixiert hat:
Es zwiebelt tagelang nach einem Stich,
aber Schmerzhaftes, es kehrt nicht einfach zurück
in den Naturzustand. Zerstreuung, wie sie
Menschheit bewegt, hat mich nach den News
nach Kalifornien entführt, wo Seelöwen mit Codes
aus Grölen Lieder singen. Blubber heißt ihr Schutz
vor Elementen; kaum durchblutete Substanz.
Nahe dem Hawk Tower fällt die Küste steil ab
ins Meer – das Unerbittliche, durch den Fernseher
sogar ist es zu spüren. Der Mensch als Meister
aller Extreme, Bammel hat er vorm Wetter:
trübe Gedanken und blitzgescheites Gewisper.
(Danke sehr für das letzte Wort!)
17. September 2015 10:46
Hendrik Rost
Wusstest du nicht, es spricht nur eine Stimme
in allen und sie ist sichtbar wie Licht.
Du hast nur ein Leben, nutze es,
sagen sie, um dir Produkte zu verkaufen –
kurz leuchtet das Wort Pro-fite auf beim Notieren
wie richtiges Wissen: woida, indogermanisch,
ich habe gesehen. Und so nutznießt du die Marotten
und Tücken dieser Zivilisation:
Protest und Ackerbau, Viehzucht und Grips.
Ware lockt in der Manier alter Meister
auf einer Werbetafel in der S-Bahn.
Korrigiere Leben in Leier, berichtige nutze es zu nutzlos.
Dann geh zur Arbeit morgens
im ersten Licht und sieh zu,
sieh zu, wie du sprichst.
5. September 2015 19:48
Hendrik Rost
Manche sagen, das Schönste,
was es gibt, das sei ein Buch
ohne Seiten, andere sagen,
ein Hund mit drei Beinen
auf einer Kriegsfotografie.
Das Schönste, was es gibt,
sagen einige, sei ein Gesicht,
das aus seiner Rolle ausbricht
und anfängt zu weinen oder
zu staunen: Eine ganze Flotte
von waffenstarrenden Schiffen
kommt den Fluss hoch. So sehr
ist er innig erwartet worden,
den Wandel, und dann fliegt er
in die Arme mit dem Wind.
Im Wesen des Kampfes liegt es,
dass einer besiegt wird. Helena,
sie verließ Mann und Kind für
einen anderen Kerl und den Tod,
so wie er jeden liebkost.
Angenommen hat sie ein
Geschlecht, das es gar nicht gibt:
nicht geboren, um Gefallen
zu finden. Sie bettet Reiz für
Reiz auf herausgerissene Seiten
und lässt sie ablecken von
Kötern. So lernt sie zu leben
in verlorenen Gesängen.
1. September 2015 09:15
Hendrik Rost
Heute habe ich bestimmt, dass das alles
nichts mit mir zu tun hat.
Ich habe kein Gedicht von Peter Handke erlebt.
Verstopfung ist ein Volksleiden
und es sind mehr Drogen im Umlauf,
als gesund ist: Heilsam ist das sicher nicht,
keine Entscheidungen treffen zu können.
Jugend mit Freiheit zu verwechseln.
Und kleine geheime Gedanken
für mehr zu halten als kleine geheime Gedanken:
sich zu hassen, weil man gern hörig wär.
Die Frisörin hat mir zwei lange Haare
in den Augenbrauen geschnitten.
Ich fühle mich jetzt vollkommen nackt
und decke mich zu mit den kuscheligen Fakten
Liebe, Schönheit, Tod.
20. August 2015 07:53
Hendrik Rost
Ging mit Kleist um die Alster,
es ist in der Idylle auch Lülle, sagt er,
ist auch Pulver im Abschied,
dichtet er und zeigt auf den Reiher
im Schilf. Ist nicht falsch,
zu gewahren, jubelt er und
zielt mit dem Finger ins Blaue.
Schau im Schnabel eine Gabe,
da zappelt ein Maulwurf, rudert
mit Grabespfoten in Luft. Sagt er,
weine nicht um den Troglodyten,
der lernt jetzt fliegen, geht mit
der Vogelmutter, wird in der Kolonie
Futter fürs Kleinvieh. Kein Glück
für ihn auf Erden. Sagt er:
Wir wollten nie nur laufen
um den Wannsee, wollten im Grunde
ersaufen, nichts in der Welt,
das uns abhält, in aller Munde.
14. Juli 2015 11:25
Hendrik Rost
Was leicht ist, muss nach oben stürzen.
Es gibt nichts Schönes, außer man tötet es.
Es schwingen die Zungen, die Äxte.
Einer oder tausend, wer ist der Nächste?
2. Juli 2015 08:34