Hendrik Rost

A formal Feeling oder nenn es Wonne

Als der Arzt auch rechts einen Leistenbruch diagnostizierte und meinte, wir würden zuerst den linken operieren und dann nach drei Monaten den rechten, da bat ich darum, gleich beide in einem Abwasch gemacht zu bekommen, dann, so meinte ich, hätte ich es immerhin hinter mir. Er sagte, das könne er so gar nicht entscheiden, sondern nur der Chefarzt und der würde dann deswegen später zu mir kommen. Der Chefarzt kam dann auch, ließ mich husten und meinte, wir könnten es so machen, ich sei ja kräftig. Das machte mich stutzig. Aber gut …
Als ich aufwachte nach der OP, träumte ich von Betonblöcken, die mir jemand auf den Bauch gelegt hatte. Schwere Klötze, die mich zu ersticken drohten und die ich keinen Millimeter bewegen konnte. Ich wachte also auf und sah zwei schwere Sandsäcke, die tatsächlich auf meinem Bauch lagen und die Operationsnähte von außen beschwerten, damit ich nicht im Schlaf beim Husten die Narben sprengte. Ich sah also diese Säcke und im selben Moment setzten die Schmerzen ein. Es war eine Mischung aus Seekrankheit und bohrenden körperlichen Schmerzen, die so stark waren, dass ich versuchte, nichts zu tun, weder zu atmen noch nicht zu atmen oder mehr zu bewegen als eine Hand ganz langsam auf den Knopf neben dem Bett zu, mit dem ich die Schwester herbeiklingeln wollte. Dabei muss ich wieder eingeschlafen sein oder ich war ohnmächtig geworden. Als ich wieder erwachte, waren die Klötze verschwunden und der Druck geblieben. Ich dachte nur: klingeln, aber die Schwester kam ohnehin und brachte gleich eine Spritze mit, die sie mir oberhalb der Thrombosestrümpfe in den Oberschenkel gab, und sagte, „gleich wird’s besser“.
Besser? In einem Bruchteil von Sekunden kam eine warme Woge des Wohlgefallens von hinten auf mich zu, hob mich an und nahm mich mit auf einen Ozean der, zugegebenermaßen exogen erzeugten Freude. Schmerz war vergangen. Ich ließ mich sanft schaukeln und spürte in mir eine Zufriedenheit, die ich bis dahin noch nie erlebt hatte, die ich nicht einmal für möglich gehalten hatte, so fraglos und mild. Wie eine Mutter, eine große, milde Mutter, dachte ich.
So schaukelte ich eine Woche lang auf den Moment hin, wo ich das Ufer wieder erblickte in der Ferne, wo harte Realität lauerte und das Land von Pein besiedelt war. Also klingelte ich und bat um mehr und ich bekam mehr, denn ich war ja der, der beidseitig konventionell operiert worden war. Der, von dem man angenommen hatte, er sei stark genug, der, dem man diese Schmerzen also schon zugestanden hatte.
Das gute Gefühl. Das beste Gefühl, das ist es, wonach alle jagen. In der Werbung, in der Liebe, im Partner, im Erfolg, in der Kunst, im Schmerz, im Aufopfern, in der verdammten Aufmerksamkeit. Als ich es erlebt habe, wusste ich nicht, dass es das ist. Es gab keine Trennung in dies und das. Alles war – einfach nur. Ich konnte keine Zeile lesen zu der Zeit, sie verschwammen mir vor Augen. Ich lag im Bett und sah MTV, bunte, schnell geschnittene Bilder, die meine Aufmerksamkeit nicht belästigten. Ein Freund besuchte mich einige Male im Krankenhaus, wir unterhielten uns. Als ich entlassen wurde, hatte ich vergessen, dass er da gewesen war. Oder nicht vergessen, es spielte keine Rolle mehr. Das war ohnehin die hl. Droge.
Ach, der Leistenbruch, der war angeboren oder erworben. In jedem Fall eine Schwäche, und dann kommt dieser Druck von innen nach außen. Und das Gefühl platzt.

23. Mai 2012 16:08










Hendrik Rost

Nach einem längst überfälligen Gespräch über Gedichte …

PS: In Lübeck herrschte ein unglaubliches Unwetter, eine schwarze
Wolkenlinse über der Stadt, womöglich dieselbe, in die Hollande zuvor auf seinem Flug
nach Berlin geraten ist. Der Blitz, der sein Flugzeug getroffen hat, das
war wahrscheinlich eine wortwörtliche E-Mail aus dem Olymp, von wegen
Wachstum durch Schulden …

16. Mai 2012 09:38










Hendrik Rost

Das letzte Gold

Gedichte klemmte ich mir ans Fahrrad. Ein kleines Büchlein mit Texten von Trakl war mein liebstes. Ich lernte An den Knaben Elis auswendig, Grodek und andere. Auf dem Weg zur Schule kam ich über Land, 13 Kilometer durch Maiswüsten. Wie schwermütig ich war, das las ich in den Texten. Die Bewegung regte mich an, das Auswendiglernen war Abbild der Bewegung im Geiste. Insgesamt war das alles lächerlich: der Mais, die Gedichte, das Fahrrad, die Schwermut. Und es war grandios. Ich fuhr Komplexen für den Moment davon und träumte dabei nie von künftiger Größe. Ich träumte ohnehin nicht viel, sondern las, von den Fingern der Mönche, von traurigen Tieren und von dunkler Deutung. In der Schule zehrte ich von meinem Image als Sonderling, etwas Schauspieler, etwas Sportler, etwas ehemaliger Rebell. Und etwas Leser. So ging es weiter. Wer weiß, wozu das noch gut sein wird?

25. April 2012 16:01










Hendrik Rost

„Sinn“ ist das Geräusch eines sehr schnellen Objekts

Der Tag beginnt mit Sonnenuntergang
Die Ameisen führen Krieg untereinander
Schöne Schilderungen der Natur werden ausstoßen
von Leuten, die es besser wissen müssten

Müde liegen Gewerbeparks um die Stadt
Ich liebe jetzt den Lärm der Nachbarn
Sie leben noch und fürchten Ameisen
Die Bücher liegen uns schwer im Magen

Die Kinder wollen getröstet werden
Irgendwann ist wieder Disko
Wir müssen nicht weitermachen
Wir müssen in uns gehen wie Mikroben

27. März 2012 08:43










Hendrik Rost

Auch ich bin begegnet worden

Und es geschah unter irgendwie gespenstischen Umständen. Ich lebte damals in Berlin, quasi inkognito in einer Wohnung, die von der Solitude unterhalten wurde. Keiner hatte meine Nummer, ich lebte mehr oder weniger im Zustand literarischer Verblödung vor mich hin und in den Tag hinein. Das Telefon klingelte und ich nahm ab: „Kling hier“, kam es aus dem Hörer. Ich war baff und sprachlos. Kling redete, und es wirkte so, als hätte er tatsächlich meinetwegen angerufen. Ich hörte ihm zu, er sprach von Heinz-Ludwig Arnold, der irgendetwas von mir wollte. Ich verstand nicht, was. Kling redete und erzählte mir, wie Lyrik sein müsse (ich habe es leider vergessen). Das Gespräch dauerte sicher eine halbe Stunde, mitten am Tage. Dann verabschiedete er sich. Wir verblieben in Verwirrung. Dann legte ich auf und sprang in die Spree.

4. April 2011 11:43










Hendrik Rost

Ex negativo

Wenn mein Vater eine Meinung
vertritt, frage ich mich, was
soll das? Er bekommt ja nicht
einmal Geld dafür.

Mein Vater gehört zu den weißen
Jahrgängen. Den Krieg hat er
als Junge erlebt. Flucht
war ein Kinderspiel.

Mein Vater hat kein Parteibuch
mehr. Seine Firma sitzt jetzt
in Osteuropa. Zu Silvester
wünsche ich ihm viel Erfolg.

Ich meine damit: Bleib, Vater,
flüchtig, sag mir etwas, das ich
ablehnen kann, ich bin dein
Produkt. Du hast überlebt.

28. Januar 2011 09:58










Hendrik Rost

Was

für ein tolles Gedicht!
Allein „Nerzmade“, „Vorwärtsmuskel“!

19. Oktober 2010 14:13










Hendrik Rost

Liebe ist nicht tot

Wenn wir Tiere essen,
wollen wir an Liebe teilhaben.
Nicht der zwischen Menschen,
sondern der trotz
allem.

Man kann das spüren,
wenn man sich schneidet,
zuerst der Schnitt, dann
Blut.

Oder man merkt manchmal,
dass sehr viel Altes
in der Luft liegt,
und hat keine Angst,
da nichts stirbt.

Schon der leere Teller übersteigt den Verstand.

23. September 2010 21:18










Hendrik Rost

Junkie-Small-Talk

Ampel an der Moltkebrücke in Lübeck:
– Boah!, das Zeug hat meine Augen ganz schwammig gemacht. Ich musste erstmal nach Hause gehen und Mittagsschlaf machen. Vorher hab ich noch nen Döner gegessen.
– Jo, ich war auch völlig fertig.
– Man soll so was auch nicht gleich so viel nehmen.
– Ich nehm das nich mehr. Ich will ja noch meine Rente erleben.
– Das wird geil!

2. Juni 2010 14:13










Hendrik Rost

Stay tuned

Das Einzige, das zählt
im Leben,
ist der Beginn des Lebens,

alles andere ist
Zeitschleife
und Abwasch,

für manche
außerdem Erfolg
oder Sprachgewandtheit.

Wann es beginnt,
ist vollkommen offen –
für die einen mit Befruchtung,

für andere
während die Wagen
sich ineinander verkeilen.

Warte nicht
auf das eine oder andere:
Du wirst abgeholt.

Im Strampler oder
in der durchgesessenen
grauen Lieblingshose,

die langsam
für diese Welt
zu eng wird.

22. April 2010 11:12










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