Gerald Koll

Zipfel eines schwarzen Umhangs

 

Ich habe gerade Hugo und Josefine gelesen, ein altes Kinderbuch, von dem ich zwar seit Kindertagen nur den Titel (allerdings den falschen, nämlich Joseph und Josefine) und das Titelbild (allerdings das falsche: in der Erinnerung war das Buch größer und hatte einen schwarzen Hintergrund) im Kopf behalten hatte, beides aber sehr gut (allerdings eben falsch). Wie ich nun beim Lesen merkte, hatte ich vom Inhalt fast nichts behalten. Als meine ältere Schwester damals darin las, ging ich noch nicht zur Schule und war nicht besonders aufmerksam beim Zuhören (allerdings auch nicht beim Zuschauen). Nur einiges sehr Ungefähre blieb. Der Zipfel eines schwarzen Umhangs.

13. April 2019 10:00










Tobias Schoofs

SHA LA LA

sie reichte mir den hörer es
war thurston und er sagte und
kim sagte die andere kim sha

la la und es war thurston er
reichte mir den hörer und kim
sagte die andere kim little
trouble girl es war thurston

er sagte bad news und kim
sagte die andere kim stormy
weather und ich dachte an
mike es war aber thurston

er sagte kurt und kim sagte
die andere kim sha la la und
sie reichte mir den hörer

4. April 2019 20:42










Christian Lorenz Müller

AUS DEM POETISCHEN BESTIMMUNGSBUCH (FRÜHLING)

Der Ringlottenbaum:
Besen, der das Wolkenweiß
aus dem Himmel kehrt.

Der große Birnbaum
steht als Blizzard im Garten.
Schneeduftende Luft.

Die Zierkirsche stellt
sich aus. Sie lockt die Blicke
ins Billigrosa.

Die Magnolien-
blüten: Nester für das Licht.
Spatzen zwitschern hell.

Die Spalierbirne
tüncht die graue Mauer ganz
plötzlich duftend weiß.

3. April 2019 08:39










Andreas Louis Seyerlein

~

0.28 — Gestern, am späten Abend, habe ich wieder ein­mal den Ver­such unter­nom­men, das Wort Stre­ich­holz so lange wie möglich in meinem Kopf hin und her zu bewe­gen, ohne indessen ein weit­eres Wort zu denken. Kurz darauf habe ich meinen Ver­such wieder­holt, in dem ich das Wort Stre­ich­holz durch das Wort Nashornkäfer erset­zte, eben­solch­es eine Zehn­tel­stunde später durch das Wort Cole­porter, welch­es selb­st kurz vor Mit­ter­nacht im Wort­loop der Hibiskus­blüte endete. Vorgestern noch hat­te ich eine ähn­liche Nachtübung durchge­führt. Wörter waren fol­gende gewe­sen: Samshep­ard, Agnesvarda, Hum­mer­vo­gel, Tic­tac­to, Lep­orel­lo. Ich stelle fest: Die lang anhal­tende Wieder­hol­ung des Wortes Lep­orel­lo bewirkt in mein­er Seele noch immer ein­er­seits ein deut­lich­es Gefühl von Hitze, ander­seits eine Ahnung der Farbe Gelb­o­r­ange, ohne dass diese Farbe selb­st vor meinem inneren Auge sicht­bar wer­den würde. Warum? — stop

> particles

30. März 2019 20:05










Gerald Koll

Agnès Varda (1928-2019)

29. März 2019 15:13










Mirko Bonné

Wie et mir jeht

Und eben an der Kasse.
Da stelle ich mich hin, und
mir wird beinah leicht ums Herz.

Weil ich so allein dastehe
bis zu den Nasennebenhöhlen.
Allein an einer Art Nebel,
 
die der dicke Kunde vor mir
nicht zu verdicken weiß.
Er hat ja nicht mal gefurzt,
 
stand nur da und zahlte seinen Kram,
dreiunddreißig Schälchen Katzenfutter,
vier Pakete Zigaretten,
 
aber er stand da,
in seinen verstunkenen Hosen
und seinem verstunkenen Hemd,
 
und wollte nicht glauben, dass die Brötchen
nicht mehr 14 Cent kosten, sondern 15,
während der Gestank sich ausgoss wie ein Geist

und stehen blieb, als er nach Hause ging.
Das war kurz mein Platz, Platz vor der Kasse.
He, mein Alter, wie jeht et dir heute?

Nach Gerald Koll

28. März 2019 23:56










Gerald Koll

Schälchen

 

Und eben an der Kasse.

Da stelle ich mich hin,

und mir wird beinah schlecht.

 

Weil ich in einer Pfütze stehe

bis zu den Nasennebenhöhlen.

In einer Pfütze Körpernebel,

 

die der dicke Kunde vor mir

stehen ließ.

Er hat ja nicht einmal gefurzt,

 

er stand nur da und zahlte seinen Kram,

dreiunddreißig Schälchen Katzenfutter,

vier Pakete Zigaretten,

 

aber er stand da,

in seinen verstunkenen Hosen

und seinem verstunkenen Hemd,

 

und wollte nicht glauben, dass die Brötchen

nicht mehr 14 Cent kosten, sondern 15,

während der Gestank sich ausgoss wie ein Geist

 

und stehen blieb, als die Hülle heimging.

Dort war mein Platz, der Platz des Nächsten.

Nächstenliebe, was ist das?

28. März 2019 12:47










Mathias Jeschke

Ich lese in mir

Ein großformatiges Buch liegt
aufgeschlagen vor mir,
ich blicke auf das in einer halbwegs
senk- und waagerechten Struktur
sortierte Getümmel,
Collagen aus eingeklebten Texten,
Buchausschnitten, Zeitungsartikeln,
teilweise mit Fotos versehen,
Zeichnungen, die ich einst angefertigt hatte,
manche stammen auch von anderen,
von Pinseln hatte ich ja kürzlich geträumt,
gepresste Blüten und Blätter oder Federn,
von mir oder dir gesammelt,
Zeilen in meiner Handschrift,
immer wieder Zeilen in meiner Handschrift,
manche verwischt oder sonst unleserlich,
über einige krabbelt ein Käfer hinweg,
so ein Zierlicher Buntgrabläufer, glaub ich.
Ein wenig Sand rieselt auf die Tischplatte.
Das Holz ist warm, meine Hand liegt darauf.
Wer kommt, um sie zärtlich anzusehn?
Es handelt sich um eine intime Situation,
japanisch irgendwie,
wie in einem Nistkasten vielleicht.
Jedenfalls ist niemand sonst hier bei mir.
Und niemand sonst wird dieses Buch
je zu Gesicht bekommen.
Aber es leuchtet mir ein, wenn ich
die nächste Seite aufblättere,
wann immer das sein wird
und es mag einige Zeit dauern –
wer will, soll sich gedulden,
denn ich bin hier noch lange nicht fertig! -,
dann wird sich mit einem Mal –
und dabei wird die Farbe Schwarz
einen eindrucksvollen Auftritt haben:
Szenario aus Seide und Katano –
alles verändern.

21. März 2019 23:24










Tobias Schoofs

ERINNERUNG

erinner mich wenn ich dich les
an die feluke aus istanbul
die vor der mündung auf dem wasser
tanzt um die mitte des monats

mai wenn die sonne schon warm ist
und im süden schon nicht mehr
erträglich und das schlimmste
noch immer bevorsteht

erinner mich an die feluke
die auf dem wasser tanzt dass mir
die stimme nicht bricht wenn ich
dich les

(nach Motiven von Zeca Afonso)

21. März 2019 20:45










Christian Lorenz Müller

BEIM RENOVIEREN EINER GARTENPUMPE

Zieht mehrere tausend Mal
pro Jahr die Schulter nach oben
und lässt sie wieder sinken.
Schon die Kinder greifen gerne
nach ihrem Arm,
nach der gusseisernen Beständigkeit,
mit der sie ihn winters wie sommers
von sich streckt.

Sie braucht nicht mehr
als alle zehn Jahre ein wenig Lack
und eine neue Lederdichtung.

Eine immerzu ächzende und quietschende
Form von bescheidener Vollkommenheit,
die stets zuverlässig ihr Wasser
in die Kübel, die Kannen gießt.

21. März 2019 12:10










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