Christine Kappe
Licht
ist ein Pfeil
im Nebel der Erkenntnis
plötzliche Sortierung meinerseits
damit einhergehender Sprachverlust
Verbindung deinerseits
„Ich kenne das noch…“
das ist dein Gebiet:
Hinauszögerung des Todes
so gelingt es mir
(noch) prosaischer zu sein als du
einzige Hilfe:
mäßige Bewegung mit nicht zu vielen Eindrücken
treffe die Hausmeistertochter
die eine Frau ist & eine Fahne hat
die Kinder graben das Haus aus
7. September 2019 21:55
Mirko Bonné
Dass
du
nie
tot
bist
Kind
als
Baum
Immortelle
Stern
aus
Stroh
hell
zart
grün
mein
Staubgeselle
der
nicht
stirbt
zeig
(sag)
mir
den
Grund
Immortelle
Sonnenzitadelle
Immortelle Immortelle
*
2. September 2019 23:41
Tobias Schoofs
im technischen zeitalter öffnet sich
eine stahltür und herein tritt ein wesen
halb giraffe halb zebra stehen
geblieben am wegrand der evolution
du kannst es dir nicht verkneifen
zückst dein smartphone und schießt
ein foto halb selfie halb gedicht
31. August 2019 23:07
Hans Thill
DAS NÄCHSTE DORF: hier hängt man die Heiligen, solange sie noch am Leben sind. Man bringt ihnen das Ertrinken bei, bevor es das Meer tut. Hier heißt es Chili con Carne statt Silikon Valley, Bamberg statt Bombay, Bayreuth, ein Beirut für Feiglinge. Man spricht ein schwebendes Schwäbisch, reist von Krankfurt nach Siechburg, von dort geht es dann nach Fluchhafen usw.
30. August 2019 14:23
Christian Lorenz Müller
Fallende Birnen trommeln
mich in die Zeit zurück
in der Großvater die Fässer
an die Stallwand stellte,
blaue Kunststoffhumpen,
in die er schubkarrenweise
die Früchte füllte,
Süße des Spätsommers
an der sich die Wespen
summend berauschten.
Die Fässer standen dort im Schatten
bis der Frost kam.
Dann schürte Großvater das Feuer
unter einem bauchigen Kessel
der in einer dumpfen, engen Kammer stand,
saß stundenlang auf einem Hocker
und sah zu
wie sich aus gäriger Trübnis
heiße Klarheit erhob, durchscheinend
in die große Glaskaraffe tropfte –
Tage, an denen der Geruch nach Katzenurin
und feuchter Kleidung
sich verflüchtigte,
an denen allein der Duft
des Alkohols in der Kammer klarte.
Tage, an denen ich die Essenz
eines ganzen Jahres
aus dem Handteller leckte
und mir daran die Zunge verbrannte
wie später nur noch an der Poesie.
28. August 2019 11:39
Christine Kappe
Michael hatte einen Laden in MD. Es war mal ein Kopieladen. Aber, als ich hineinging, gab es keine Kopierer, nur alles andere stand noch herum, erinnerte aber mehr an eine Wohnzimmereinrichung. „Hallo, ich wollte eigentlich was kopieren.“ „Siehst du hier einen Kopierer?“ „Nein, aber… hattest du nicht mal welche?“ „Ja, aber ich fand das blöd. Die Bedeutung des Kopierens wird völlig überschätzt. Außerdem machen sie ungesunde Luft. Ich wollte nicht krank werden.“ „Das verstehe ich. Die Luft ist jetzt viel besser.“ Ich schaute mich um. „Aber wozu ist dieser Laden jetzt da?“ „Warum muss ein Laden denn immer zu etwas da sein. Ich mag das nicht. Ich möchte, dass die Leute einfach so kommen. Das ist doch viel schöner.“ Er umarmte mich. Das war ganz angenehm. Aber ich musste weiter, ich brauchte ja noch die Kopien. Außerdem brauchte ich eine Regenjacke.
„Weißt du, wo man gute Regenjacken kaufen kann?“, fragte ich Michael. „Gegenüber hat doch Maik seinen Laden. Der will den zwar aufgeben, weil alle nur noch per Internet bestellen, aber seine Restbestände verkauft er noch. – Warte, ich komm mit.“ Er schloss den Laden ab und wir gingen zusammen. Maik hatte ebenfalls einen dunklen, etwas verwahrlosten Verkaufsraum. Es stellte sich raus, dass er nur gebrauchte Kleidung verkaufte. Aber dafür teure Marken, er zeigte mir ein paar Jacken. Die Farben gefielen mir aber nicht, orange, gelb, rot, irgendwelche Brauntöne, nur ein Mantel, der war sehr lang, enggeschnitten, durchsichtig, die Kapuze in Blumenform, aber die konnte ich ja abmachen, „Ja, ich glaube, den nehme ich. Schaut mal.“ Doch die beiden Männer waren hinterm dunklen Tresen in ein Gespräch vertieft, es war so eine Atmosphäre wie beim Frühschoppen, dabei war es schon Nachmittag.
19. August 2019 22:02
Julia Trompeter
annehmlich es sei alles nicht so
wie es sei, und es ist wie es ist:
der baum nur 1 baum nur 1 baum,
kein querschlagen der synapsen,
übersprungsgedanken balsamiert.
annehmlich du bist nur du und
ich bin nur ich, ganz ohne kon-
junktiv, wir hängen so anneinan-
der und diese hand ist nur hand,
und wir sehen uns wirklich so
wie wir sind. annehmlich du und
ich sind 1 paar. was können wir
tun, um uns nackt und blind und
außerirdisch lange zu lieben.
30. Juli 2019 20:42
Christian Lorenz Müller
Eilfertig kellnern die Gärtner
Gießkanne um Gießkanne,
bedienen den gewaltigen Durst
der Kohlköpfe, der Karotten, des Kohlrabis
die seit Anfang Juli
auf den Beeten stehen
wie auf Biertischen.
Ganz in strotzendes Grün gewandet,
fordern sie Aufmerksamkeit
und fetten Dünger.
Vor dem Zapfhahn der Pumpe stehend,
seufzen die Gärtner,
sie denken an das Gemüse,
das um ein Trinkgeld
in den Supermarktregalen liegt
und füllen ihre Kannen.
25. Juli 2019 14:29
Hans Thill
DAS NÄCHSTE DORF geformt von Händen, die keinen Schweiß kennen und keine Stirn, wenn sie zu wischen wäre. Beim Reden vermied man Vokale und der Kies auf den Wegen war weich und alt. Wüstenboden aus Stein: Die Blätter an den Stadtbäumen wurden von einem Meister in Bewegung gesetzt. Also das raschelte mit dem Sound eines Dieselmotors. Hoffentlich gibt es noch Bienen, die uns in die Gläser fallen. Hoffentlich geht das so weiter und hört einmal auf
19. Juli 2019 18:20
Tobias Schoofs
vorm friedhofstor in den
sandbedeckten steinknochen
getriebener schacht im quer
schnitt ein sarg den ich
die stufen runtergeh und seh
durch die plexiglasscheibe
da unten die an riffen schaum
schlagenden wellen dem ge
dächtnis der namenlosen die
sich bald wieder im wasser auf
lösende spur ist die historische
eine seltsame konstruktion und
mich selbst gespiegelt geweiht)

15. Juli 2019 20:36