Interview

Timo Brandt redet mit der Redaktion der Literaturzeitschrift PS - Politisch schreiben

2016 erschien die 2. Ausgabe der PS zu „Genie wider Kollektiv“. Besonders an dieser Ausgabe ist nicht nur das Thema, sondern auch die Verfahrensweise bei der Autor*innen-Kennzeichnung. Zwar sind alle beteiligten Schreibenden/Interviewten mit ihren Kurzbiographien im Anhang gelistet, aber bei den jeweiligen Texten und Interviews gibt es keine Verweise auf die Verfasser*innen. Aus welchen Gründen habt ihr euch zu diesem Schritt entschlossen? Wie haben die jeweiligen Autor*innen auf diese Form der Publikation reagiert? Wie war die allgemeine Resonanz bei dieser Entscheidung?

Warum wir uns dazu entschieden haben ist einfach: Es ist die konsequente Form zum Thema. Genie wider Kollektiv. Und unserem Selbstverständnis nach "Was passiert wenn Unterscheidungssysteme wie diese zu verschwimmen beginnen?" haben wir experimentiert. In der PS#1 haben wir bekannte Autorin*nen und am Beginn ihres literarischen Werdegangs stehende, nebeneinander veröffentlicht. In der PS#2 stellen wir die Frage: Was, wenn du nicht weißt, wer den Text geschrieben hat? Wir sind ja gewohnt, dass Namen gleich mitabgedruckt werden. Inwiefern beeinflusst das den Text, den wir lesen? Inwiefern beeinflusst der Status des Namens, wie gut du den Text letztendlich findest, weil es einen kanonischen Konsens dazu zu geben scheint? (Hier ist gut zu sehen, dass wir versuchen, die PS#1 weiter zu führen und nicht nur für sich stehen zu lassen.) Ich beobachte die Reaktionen gerne. Von "ich ertappe mich, zu puzzlen" über Lob hin zu "ich frage mich warum", "ihr nehmt mir die Möglichkeit, mehr Texte dieser Person zu lesen" bis zu "ihr brecht Autorin*nenschaft nicht so auf, wie ihr denkt". Letzteres war auch nicht das Anliegen. Die Ausgabe will ja auch zeigen, dass Genie und Kollektiv nicht so binär sind, wie im Titel provoziert. Abgesehen davon, ist es bei manchen Texten offensichtlicher als bei anderen, wer sie geschrieben hat.

Die Reaktionen der Autorin*nen waren unterschiedlich. Für den Literaturteil wurde das ja bereits in der Ausschreibung angekündigt. Bei den Essays und Interviews kam es teilweise zu Missverständnissen, die dann in sehr interessante, intensive Diskussionen führten. Die Phase der Analyse ist für uns noch längst nicht abgeschlossen.

Politische Literatur/politisches Schreiben – wie würdet ihr eineso bezeichnete Literatur von einer apolitischen oder unpolitischenLiteratur abgrenzen? Was bedeutet das Wort politisch im Zusammenhangmit Schreiben? Ist es ein Synonym für engagiert? Inwiefern geht es darüber hinaus?

Kein Text ist unpolitisch. Autorin*Autor mögen vielleicht nicht politisch interessiert sein, oder den Text bewusst in einen politischen Rahmen setzen – aber scheinbare Enthaltung hat nunmal politische Auswirkungen. Allerdings ist die Frage komplizierter, wenn wir davon ausgehen, dezidiert politisch schreiben zu wollen. Was das angeht, ist PS für uns ein Versuch, möglichst viele Blickwinkel einzunehmen. Zum einen die ökonomische Seite, die sowohl die Produktionsbedingungen von Literatur als auch den Literaturbetrieb umfasst. Diese sind politisch geprägt, sowohl von dem System, das sie hervorbringt (z.B. Kapitalismus) als auch von hierarchischen Dynamiken die damit einhergehen (z.B. Rassismus, Klassismus, Sexismus,...). Das gilt es zu benennen und zu verändern, auch das ist eine politische Seite des Schreibens.

Was politisches Schreiben angeht, da würde ich sagen, sind wir mit der Zeitschrift ein bisschen auf der Suche. Bisher haben wir für uns den Standpunkt: Nicht der Inhalt eines Textes zählt, sondern die Haltung der Autorin*nen. Als Autorin*nen und Feministin*nen wissen wir, das Sprache ein mächtiges Werkzeug ist. Aber ich kann noch keine Antwort geben, die darüber hinausgeht. Literatur muss keinen Zweck haben. Geht es darum, moralische Szenarien durchzuspielen? Einen Standpunkt auszudrücken? Aktuelles Geschehen zu bearbeiten? Geschichte neu zu schreiben? Zukunft denkbar werden lassen? Repräsentation aufzufächern?

Ob engagiert... – Die Zeitschrift engagée hat für ihre Texte den Anspruch, im weitesten Sinne engagiert zu sein. Sie sollen eine Richtung weisen, eine Handlung vorschlagen, oder über Analyse hinausgehen, wie ich das verstanden habe. Wenn wir nach unserem Standpunkt gehen (Haltung der Autorin*nen zählt) ist es das nicht. Aber ich bin meist dann verärgert, wenn sich Autorin*nen mit dem oben erwähnten "scheinbar unpolitischem" aus der Verantwortung ziehen wollen. Kein Text existiert außerhalb. Aber viele werden an den Rand gedrängt. PS versucht alle auf eine Plattform zu bringen und zu sehen, wie sich daraus eine neue Art ergibt, über Literatur zu reden, oder auch eine andere Art, Literatur zu lesen.

Das eine ist also der Diskurs, das andere der Inhalt. Oder? Ach, aber natürlich lasse ich Nutzlosigkeit durchgehen, Nutzlosigkeit sollte viel mehr besungen werden. Vielleicht glaube ich einfach vielen nicht, die mir erzählen wollen, ihre Texte seien "wirklich" unpolitisch.

Gibt es andere Publikationen/Projekte/Gruppen/etc., die euchnahestehen, mit denen ihr euch in eurer redaktionellen Arbeit austauscht und die sich auf das Gefüge, den Inhalt und die politische Ausrichtung der PS und/oder ihrer Redaktionsmitgliederausgewirkt haben?

Jede Menge. Und hoffentlich bald noch mehr. PS ist ja mehr als die Zeitschrift. Wir wollen einen Gegenentwurf aufbauen, auf Solidarität ausgerichtet. Unterstützt haben uns in Leipzig von Anfang an die Zeitschrift outside the box, die Buchhandlung drift, die feministische Bibliothek MONAliesA. In Wien haben wir Verbündete im zaglossus Verlag, der feministischen Buchhandlung ChickLit, fiber... Und nicht zu vergessen Kinga Tóth, die ungarische Soundpoetry-Performerin und die Personen aus unserem Beirat.

Ganz wichtig sind auch die Personen rund um die Zeitschrift freitext, die 2003-2013 erschien. Von ihnen nimmt sich PS viel mit. Auch die politischen Orte in allen Städten, die uns Lesungen außerhalb der gewohnten Hallen ermöglichen und die autonom-politische Arbeit, aus der wir kommen und in der wir uns weiterhin bewegen, sind Pfeiler unserer Meinungen und Möglichkeiten. Hier gibt es auch einige Menschen, die fantastische Arbeit um den Literaturbetrieb machen, wie die KriLit in Wien und die GegenbuchMasse in Frankfurt. Aus solchen Projekten kommt viel Motivation, auch wenn wir nicht überall persönlich involviert sind. Darum wächst auch auf unserer Website eine eigene Sparte, die sich nur diesem Punkt widmet: Verbündete finden. Denn wir brauchen Archive, Hinweise, Pfade, um nicht immer von vorn zu beginnen, um uns beständig der Freunde in unserem Rücken bewusst zu sein.

Welche Geisteshaltungen haltet ihr in der Literatur für fehl am Platze?

j*: Die Frage ist ein bisschen schal, oder? Soll ich jetzt Rassismus, Sexismus und so weiter aufzählen? Aber das ist doch in der Literatur komplizierter.

O. und nicht nur da. / die frage an sich ist kompliziert, obwohl sie scheinbar einfach ist. macht sie das zu einer guten frage? zuerst dachte ich an alles unmotivierte, das ungelungene, schlechte. weil es ja immer die ganz persoenliche zeit eines menschen ist, die hergeschenkt wird, wenn er_sie einen text liest. weil wir einander nicht einschlaefern, sondern aufwecken und beruehren wollen. aber natuerlich ist das keine antwort, denn das schlechte kann ganz hervorragenden spasz bringen und meist ist um die kruemel des gelungenen ein nur maeszig gelungenes brot drumherum.

auszerdem ist das keine geisteshaltung (auszer man denke an diejenigen, die flache texte auf dem flieszband produzieren, weil sie scheinbar nur so ihr geld verdienen koennen.)

j*: Und dann ist es ja auch eher die Ökonomie, die sie zwingt Geld zu verdienen, die fehl am Platze ist. Wer weiß, was wir alles schaffen könnten, wenn wir einmal keine Existenzängste mehr haben! Also vielleicht kommt es wieder zurück zu: Konkurrenzdenken? Elitedenken? Wer-nur-hart-genug-arbeitet-wird-berühmt-Märchendenken.

O. ich stosze auch immer wieder auf menschen, die sehr vehement dafuer eintreten, dass es nicht reicht, nur gegen etwas zu schreiben. eine reine anti-haltung ist nicht zwingend am falschen ort, aber sie reicht nicht aus.

j*: Aber Rassismus und Sexismus sind trotzdem immer fehl am Platz.

O. natuerlich. aber ich mag es nicht, das uns und denen die es eh schon wissen, staendig zu wiederholen. und menschen, die so diskriminierend handeln und denken, will ich auch nicht unbedingt sagen: ihr seid hier fehl am platze, raus. denn dann kommt die berechtigte frage: wohin? und der hass waechst. ich will auch da, ganz ohne naivitaet: sprechen. immer sprechen und arbeiten auf die schimmernde linie des gewinnens hin. denn wenn wir wirklich glauben, dass eines tages sehr viele menschen mit uns mitziehen werden, dann ist die sache: wie werden wir viele? wir gewinnen ihre herzen.

j*: Also vielleicht ist es an der Zeit, sich etwas zu wünschen. Es muss nicht unbedingt die Literatur sein, die die Menschen überzeugt. Aber vielleicht wünsche ich mir FÜR die Literatur eine Geisteshaltung, ohne Angst. Ein zuversichtliches Herantasten und wildes Ausprobieren, die etwas berührt. Mit genug Feingefühl, dass wir loslassen können vom ständigen Wachsamsein.

O. ein hoch auf die widersprueche!

Was erwartet uns bei der PS #3?

Das Thema unserer dritten Ausgabe dreht sich um Imagination - Krise - Wirklichkeit. Die Essays und Interviews der Ausgabe werden sich vermutlich mit einigen dieser Fragen beschäftigen:

Welches Potential liegt in der Kraft der Fantasie? Wie rührt sie die Menschen an, wie weckt sie uns auf und macht uns klar: Es könnte anders sein. Muss die Imagination ein Widerspruch zur Wirklichkeit sein, oder können sie Hand in Hand gehen? Versteht ihr uns? Können wir sprechen oder müssen wir uns prügeln? Kannst du arbeiten? Oder hält deine Traurigkeit dich davon ab? Bist du produktiv genug? Weißt du überhaupt, was du willst? Was hast du heute Nacht geträumt? Wirst du es aufschreiben? Ist der Traum Wirklichkeit geworden? Hast du dafür einen Preis gewonnen? Oder wieder nur die Anderen? Bleibst du deswegen stumm? Willst du mitmachen? Mach mit.

Krise bezieht sich auf innere und auch auf äußere, tagespolitische Geschehnisse. Wie verhalten wir uns dazu? Bleiben wir nah an der Wirklichkeit oder entwerfen wir Gegenrealitäten? Spannend wird dabei z.B. das theoretische Bilderverbot zum Kommunismus, sich eine Utopie nicht vorstellen zu "dürfen", weil sie ja laufend neu erfunden werden muss, um nicht an verknöchert-erlerntem hängen zu bleiben. Aber in der Literatur schaffen wir ja ständig Bilder und z.B. in Science Fiction auch Zukünfte. Wie stellen wir uns einen anderen Literaturbetrieb vor - wie können wir ihn auch Wirklichkeit werden lassen? Von der Idee in die Geschichtsschreibung. PS#3 will Zusammenspiele und Wechselwirkungen ausleuchten.

Die Literatur der PS#3 wird – wie immer – nur zufällig damit verbunden sein. Unsere Prosa, Dramatik und Lyrik sind nie themengebunden, sie erzählen davon, was die Menschen umtreibt. Die Menschen, von denen wir das nicht wissen, weil sie kein Karrierepogo veranstalten, weil sie an zu vielen Linien kämpfen und arbeiten, um sich nebenbei auch noch die besten Plätze im ###-Verlag zu sichern, weil sie für das OBN1 zu anders sind, weil ihnen noch kaum jemand gesagt hat: Es ist gut, das du tust, was du tust. Tu es weiter. Hör nicht auf.

Inwiefern hat sich der Blick auf euer eigenes Schreiben durch die redaktionelle Arbeit für PS verändert? Hat es davon profitiert?

an dieser stelle moechte ich, olivia, gern persoenlich antworten. als ich mit katherin PS gruendete, hatte ich selbst erst am dll begonnen. und es waren sowohl die lektoratsarbeit für PS als auch die werkstattseminare des institutes die mir worte und werkzeug zur hand gegeben haben. unser PS-kontext war allerdings die intensivere erfahrung, da vertrauter und kritischer zugleich. auch hat die verantwortung, die wir am ende für das heft haben wuerden, uns besonders angespornt. die energie, die ich seitdem aus PS ziehe – auch aus den anstrengenden, langwierigen sitzungen – gehoert zu den schoensten geschenken ueberhaupt. ich wuensche mir von allen, dass sie ihre ueberschuessige energie dafuer verwenden, ihren initiativen nachzugehen und etwas in die welt zu setzen. ich sehe das, wenn wir nicht irgendwo direkt leben retten können, als unsere verantwortung bezueglich der veraenderung des status quo.

auch habe ich bisher meine einzigen lesungen im rahmen von PS gehalten, auf einem wagenplatz in leipzig. eigentlich noch nicht bereit nach außen zu treten, ist dies eine bewusste entscheidung gewesen, weil wir hier form und inhalt, atmosphäre und szenerie selbst bestimmten und zusammen abende voller waerme gestalteten. katherin und jiaspa gehoerten zu den ersten, denen ich meine texte gern gezeigt habe und ich weisz, dass die beiden auch untereinander bestaendig ihre textentwuerfe besprechen. »schreibbanden bilden!« war auch ein aufruf an uns selbst. seitdem ist ps fuer mich also zu einer art maßtab geworden, an dem ich mich abarbeite, bis endlich der erste text entstanden ist, den ich wirklich veroeffentlichen will.

Was kann jede/r Literat*in eurer Meinung nach tun, um die von euch angestrebte Egalisierung des literarischen Kanons und des Literaturbetriebs zu gewährleisten oder auch aktiv daran Anteil zuhaben?

Ob Egalisierung da das richtige Wort ist? Erst einmal arbeiten wir für die (Wieder?)Erweckung einer Solidarität unter Künstler_innen. Eine Solidarität, die uns stark machen kann für unsere ganz persönliche Arbeit und gegen die Frustrationen im Betrieb, dem Literaturbetrieb. Wir sehen alle Schreibenden als ein Team, in welchem jede für sich entschieden hat, die eigene Lebenszeit dafür herzuschenken, den anderen Menschen etwas aufzuschreiben. Das braucht in dieser Gesellschaft Mut, viel Mut, den meine kleine Schwester weniger zu haben scheint, als der kleine Bruder meiner Freundin. Und das ist ein strukturelles Beispiel. Wir wollen das nicht hinnehmen und ziehen deshalb bevorzugt jene auf die Bühne unserer Zeitschrift, die aus solchen strukturellen Gründen zu kurz kommen. Das ist nicht unbedingt der Zustand, den wir letztendlich anstreben, es ist höchstens der Weg dahin. Jede dieser Autor_innen kann an sich glauben und das heißt: weiterschreiben, weiterschreiben und wir sagen es nochmal: weiterschreiben. Sie kann sich ihre Lieblingsautor_innen merken und bei jeder Gelegenheit anderen von ihnen erzählen, von den wunderbaren Projekten, Initiativen, Zeitschriften und Geschichten, die es in der Welt seit hunderten von Jahren mehr und mehr gibt. Damit nicht jede von uns wieder bei Null anfangen muss. Soviel Zeit haben wir nicht. Wir können unser Preisgeld von Wettbewerben teilen, wenn wir mit den Vergabeprinzipien eigentlich nicht einverstanden sind. Obwohl wir das Geld brauchen. Wir brauchen es Alle. Wir können uns entscheiden freiwillig den Aufwand zu verdoppeln, länger zu recherchieren, um herauszufinden, dass es viele andere Menschen gibt, deren kluge Sätze wir für unsere Texte und Essays zitieren können als die üblichen Verdächtigen des OBN. Das OBN nimmt ganz schön viel Raum ein. Es ist wie Maschinenöl auf der Meeresoberfläche, es schillert und greift um sich. Aber es kann abgeschöpft werden. Dafür brauchen wir unser Netz, das engmaschig ineinandergreift.

  • 1. Das OBN ist unser Kürzel für die (sich nicht als Gruppe begreifende) Gruppe der älteren, weißen Männer, denen der meiste Raum in dieser Gesellschaft zugesprochen wird. Natürlich ist es so einfach nicht und die Zuschreibung stimmt nur partiell, darum das Kürzel, der Code: es geht um eine strukturelle Schieflage, der wir so vielleicht eher gerecht werden, als jedesmal die betreffenden Attribute aufzuzählen.Das Kürzel kommt von Joke Janssen & Suy Lan Hopmann aus dem Essay »Kollektive_ G3N13s« der PS#2.

Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge