Kolumne

Plaudereien auf dem Prosanova

Zwischen Lesungen und Gelagen: Birgit Birnbacher, Maren Kames, Yael Inokai

Prosanova, das Paralleluniversum. Nur kurz zum Rahmen: Alle drei Jahre organisieren die theoretisch und praktisch Literatur Studierenden Hildesheims ein Festival für junge, deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Die künstlerische Leitung ist die Redaktion der Zeitschrift Bella Triste. Mit ihr wechselt auch die Ausrichtung, der Charakter und der Ort des Prosanovas: Schreibergärten, Kaserne, Ex-Hauptschule, jetzt ein leerstehender Aldi, eine „Eisenhalle“, ein Parkplatz.

Auch die Herangehensweise an die Literatur und damit das Booking der Künstler pendelt. Zwischen Pop und Politik, Diskurs und Feierei. „Material, Prozess und Protokolle“ hieß die Überschrift 2017. Das Programm ist gesprächslastig, diskussionsfreudig, am Debattenpuls und eben stark auf den Prozess, die Textarbeit, Unfertiges ausgerichtet. Die Auftretenden sind zum Großteil Autorinnen.

Prosanova ist immer auch: Ein Wasserstandsbericht. Eine Zustandsbeschreibung der Szene. Wie wird gerade geschrieben und worüber und worüber muss jetzt mal gesprochen werden? Die klassische Wasserglas-Literaturhaus-Veranstaltung findet nicht statt. Stattdessen: Wandellesungen, Textwerkstätten, Videos und Installationen, Szenisches; neu erdachte, exklusiv entwickelte Formate. Aufregendes und Scheiterndes, das gehört dazu.

Und Prosanova ist auch: Mal schauen, wie sich die Hildesheimer (und anreisenden Berliner) 2017 so anziehen. Viele Baseball-Caps, viel 90er-Jahre und die üblichen Hemden und hochgekrempelten Hosen. Das Wichtigste: Den Kopf von der vielen Literatur frei kriegen, auf der Wiese dazwischen in Liegestühlen fläzen. Fläzen ist elementar. Und mal ein Radler oder ein Slush-Eis, gerne mit Wodka, schlürfen. Klassentreffen-Feeling: Wo hat es dich hinverschlagen? Woran arbeitest du? Wovon bezahlst du deine Stromrechnung?

An der Bar steht Florian Kessler, Ex-Absolvent, jetzt Hanser-Lektor. Weil er das alles so schön findet und Teil davon sein will. Und nachts, auf der Party, ärgert sich Martina Wunderer, Suhrkamp-Lektorin, in so viele Lesungen nicht reingekommen zu sein, zu groß der Andrang. Aber dann freut sie sich auch, dass sie nicht reingekommen ist, weil es sie gibt, die vielen jungen Leute, die Literatur anhören wollen, so viele, dass die Lektorin draußen bleiben muss. Sie freut sich und tanzt noch bis 6 Uhr in der Früh.

Die Idee ist, sich ein paar Autorinnen und Autoren zu schnappen. Irgendwie, zwischen den Veranstaltungen und Partys und Gelagen. Simple, uninformierte, vielleicht naive, offene Fragen. Mehr plaudern als befragen, wenn das funktioniert. Immer ein Auge offen, wo rennt eine potentielle Interviewpartnerin? Sich an die Fersen heften: Hi, Andreas, darf ich Dir kurz paar Fragen stellen?

Prosanova /17, Foto: P. Olfermann

Birgit Birnbacher schnell nach der Insellesung abfangen. Die sollte eigentlich auf dem Aldi-Parkplatz stattfinden. Die Autorinnen und der Autor sind Inseln, die Zuhörer wechseln, dem Gong folgend, alle 15 Minuten von der einen zur nächsten. Dann kam der Regen und der Tross zog hockerschleppend in den Aldi um, in dem die Post-Party-Aufräumarbeiten noch nicht ganz abgeschlossen waren. Provisorische Atmosphäre, klebriger Boden, Durcheinanderakustik. Während Birgit mit mir spricht, baut das Team um uns herum ab. Danach rauchend vorm Aldi stehen und in den Regen schauen.

Andreas: Wie geht’s?

Birgit: Gut, jetzt ist die letzte Lesung für mich zu Ende und ich kann mich als Konsument der Literatur hingeben.

A: Gibt es noch Programmpunkte, auf die du dich jetzt freust?

B: Einige. Ich würde gern Michelle Steinbeck sehen. Das haut aber glaube ich zeitlich nicht so ganz hin. Sonst weiß ich gar nicht, ich bin nicht so gut informiert. Grad erst angekommen und dann gleich in drei Formate hintereinander…

A: Wie stressig oder mühsam war das dann bisher für dich?

B: Nein, das war schön. Ich mache das ja auch gern.

A: Bei deiner anderen Veranstaltung vorhin ging es ja auch schon um diese Selbstbezeichung „Schriftstellerin“. Gab es für dich einen Punkt, an dem du gesagt hast, ich bin das jetzt, oder tut man sich damit immer schwer?

B: Ich möchte dem Schreiben nicht trauen. Meine anderen Berufe sind für mich wichtig und gut. Das Schreiben auch, aber ich traue ihm nicht. Ich möchte immer die Freiheit besitzen, nicht mehr zu schreiben.

A: Ist es für dich also auch notwendig, dass du einen anderen Beruf hast?

B: Jetzt gerade und während der letzten zwei Jahre wäre es gegangen, nur zu schreiben. Aber ich weiß natürlich, dass die Zeit kommt, in der es nicht geht. Das ist ja ganz klar. Die kommt bald. Ich weiß auch nicht, ob ich so leben möchte, dass ich mich dann ständig in Stipendien reinschmeiß‘ oder so einen Bewerbungsmarathon mitmache. Ich glaube, das schadet dem Schreiben auch.

A: Recherchierst du und wie nervig ist es?

B: Das Recherchieren ist gut. Es ist unterschiedlich ausgeprägt bei mir. Ich habe mich sehr lange mit delinquenten Jugendlichen beschäftigt, auch mit jungen Menschen in Haft, weil ich nicht nur als Soziologin, sondern auch als Schreibende dieses Phänomen Haft sehr spannend finde. Ich finde es spannend, dass es das noch gibt. Mich hat das über Jahre beschäftigt.

A: Sind Schreiben und Recherchieren dann parallele Prozesse oder geht das eine irgendwann in das andere über?

B: Vor dem Schreiben muss ich schon mit den Menschen sprechen. Erst gibt es dieses Interesse und dann brauche ich Menschen, die nicht nur Informationen preisgeben, sondern im besten Fall auch große Musen sind.

A: Was qualifiziert jemanden dazu?

B: Eine interessante Sprache. Gerade bei straffälligen Jugendlichen ist es so, dass die sehr häufig eine sehr reduzierte Sprache oder Möglichkeit, wie sie die Dinge beschreiben, haben. Und das, finde ich, hat einen sehr großen Reiz. Ich mag das sowieso, wenn man mit der Sprache umgeht. Ich fühle mich selbst auch oft so, als wäre meine eigene Sprache eine Fremdsprache, weil mir manches so komisch vorkommt, oder so, dass es eigentlich anders heißen müsste. Ich meinte vorhin nicht Jugendliche mit Migrationshintergrund, aber das mag ich auch sehr, wenn sich jemand mit einer anderen Muttersprache etwas aneignet. Dann macht natürlich auch das Milieu viel aus. Die Auslassungen, die es dann oft gibt, finde ich sehr spannend. Das war für mein Schreiben immer schon interessant.

A: Weißt du einen Satz, eine Formulierung, irgendwas in deinem Buch, worüber du dich heute ärgerst?

B: Ja. Es gibt ein Wort in meinem Buch, das mein Lektor mir hineingeschrieben hat. Der meinte das auch ein wenig als Scherz zwischen uns. Es ist das Wort „eilfertig“. Da habe ich gesagt, dieses Wort habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht benutzt. Er sagte nur: Weiß ich. Irgendwann stieß ich drauf und fragte mich, wo kommt das denn her? Der Lektorenhumor…

A: Wann hast du zuletzt in deine Amazonkommentare geschaut?

B: Das mache ich nicht. Als das Buch dann auf Amazon war, habe ich reingeschaut, weil ich es aufregend fand und wissen wollte, wie das aussieht. Aber ich weiß nicht, ob ich da bewertet werde…

A: Weil es dich nicht interessiert…?

B: Doch, es interessiert mich schon, aber ich habe natürlich auch Angst davor. Ich möchte mich dem auch nicht aussetzen.

A: Was ist das Schlimmste, was jemand über dich als Autorin sagen könnte?

B: Sagen könnte oder gesagt hat?

A: Vielleicht auch gesagt hat…

B: Das Schlimmste bisher war, dass jemand meinte, ich hätte zu viele Preise gewonnen für mein schmales Werk. Schlimm deshalb, weil es auch nicht stimmt, diese Preise waren mitunter für anderes… Ist ja auch egal jetzt. Jedenfalls dachte ich, hä, seit wann spielt das denn eine Rolle? Sinngemäß standa: Kann gar nicht gut sein, weil hat zu viele Preise gewonnen. Das fand ich schon seltsam und zum anderen stellt man sich dann auch selbst in Frage. Und es gibt natürlich auch immer hundert andere, die den Preis verdient haben. Wir als Schreibende wissen natürlich auch, es geht überhaupt nicht ums Verdienthaben. Es geht darum, wer gerade in welcher Stimmung ist und wie sich eine Jury zusammensetzt und wie die Dynamik verläuft. Das ist ja ohnehin alles flüchtig und unhaltbar.

A: Sind Selbstzweifel bei dir im Schreiben groß?

B: Ja. Selbstzweifel sind schon groß, natürlich. Das ist ja auch etwas, was dazugehört. Das Schreiben besteht für mich im Wesentlichen daraus, sich auszusetzen und ich kann mich nur aussetzen, wenn ich auch das Innerste zerlege und offenlege. Dadurch bin ich immer angreifbar und bezweifle das eigene Tun. Bei mir würde es ohne das auch nicht funktionieren.

A: Das wichtigste Buch für dich.

B: Ernst Herbeck: Der Hase!!!! Weil ich sowas nie zuvor gelesen habe. Das ist ein Lyrikband und Ernst Herbeck ist ein sehr spannender Dichter, bekannt geworden aus der Gugginger Psychiatrie. Er hat einen Weg, die Sprache zu demontieren und mit ihr umzugehen, durch eine Folie, die ich bisher nicht gekannt habe. Das hat mich nachhaltig tief berührt und beeindruckt.

Prosanova /17, Foto: E. Fiebig

Später in der Eisenhalle, Treffpunkt und Bar, verteilte Sofalandschaften, ein goldener Wohnwagen, in dem das Litradio wohnt. Ständig behutsame Gespräche und einzelne, die schlafen. Am Nachmittag gibt es auch Kuchen. Da sitzt Maren Kames auf dem Boden, ins Gespräch vertieft mit Fabian Thomas. Ich schicke ihn weg, er holt sich ein Radler und bringt Maren eine Rhabarberlimo.

Andreas: Maren, wie geht’s?

Maren: Flummiähnlich. Ganz schön weich von innen, aber man bounct trotzdem die ganze Zeit rum, weil alle Leute da sind und…

A: Oh, alles Gute zum Geburtstag übrigens, ganz vergessen…

M: Dankeschön. Ich bin jetzt 33… Ganz schön alt.

A: Schlimm?

M: Ne, eigentlich ganz gut.

A: Hast du gut reingefeiert?

M: Ja. Am Ende habe ich mit Karl Wolfgang Flender um 6 Uhr morgens riesig große Kreise auf der Tanzfläche gezogen. Da hat der DJ dann noch Supertramp gespielt. Dann sind wir mit dem DJ nach Hause gelaufen.

A: Erzähl mal, was du hier jetzt so alles machst.

M: Gerade heute verpasse ich alle Veranstaltungen, die ich sehen will, was mich krass ärgert. Gestern habe ich um 19 Uhr mein exklusiv für Prosanova entwickeltes Veranstaltungsformat gemacht. Da gibt es zwei riesige Beamerprojektionen. Vor einer Leinwand sitze ich und vor der anderen sitzt Annika, das ist meine DJane bzw. VJane. Auf meiner Leinwand läuft ein Textprotokoll, das ich eintippe. Es geht um die Entstehung eines neuen Textes, sowohl die Art und Weise, wie das passiert, als auch Fetzen und Ausschnitte aus dem literarischen Material, das gleichzeitig in Audio-Kurzstücken verarbeitet ist, die einfach improvisiert kurz aufgenommen wurden. Da habe ich mit zwei Musikern so rumgejammt. Und sowohl der Meta-Text als auch der literarische werden in Videos verarbeitet, in denen Kühe auftauchen und Schafe und ein Fisch und Rennautos und den Rest habe ich vergessen. Aber alles, was so driftet, weil die Veranstaltung heißt „Entschuldige mal, ich denke, das wird jetzt eine Weile driften.“

A: Wie zufrieden bist du mit dem, was dabei herausgekommen ist?

M: Sehr. Ich war am Anfang total motzig und habe der KL gesagt, ihr könnt doch nicht ein ganzes Festival auf der Grundlage von unfertigen Texten bauen, das fliegt euch um die Ohren und die Autoren werden alle wütend. Und jetzt bin ich denen krass dankbar, dass die mich da reinbugsiert haben.

A: Dein erstes Buch ist jetzt draußen. Bezeichnest du dich als Schriftstellerin, gab es einen Moment, in dem du damit angefangen hast oder ist das schwierig?

M: Jetzt gerade ist es nicht mehr schwierig. Ich hatte die ganze Zeit immer dieses typische, seltsame Verhältnis dazu, das wahrscheinlich jeder hat. Aber die letzten sechs Monate waren so stabil, immer mit dem Buch und das Buch ist stabil, weil es ein Buch ist, mit dem Hardcover und man kann es mitnehmen und Leute zeigen mir das und wollen, dass ich da reinschreibe und ich habe Lesungen… Jetzt gerade fühle ich mich richtig wie eine Autorin.

A: Das heißt, es hat dann tatsächlich viel mit dem haptischen Produkt zu tun?

M: Ja. Und schon auch damit, was damit passiert, wenn es in der Welt ist. Und das ist einfach krass schön bei mir. Das ist auch irgendwie seltsam, aber gerade fühle ich mich wie eine… junge Autorin will ich nicht sagen, weil ich gerade älter geworden bin, aber eine, die so im Sattel sitzt erstmal.

A: Kannst du sagen, welcher Moment oder Teil des Schreibens dir Spaß macht? Oder macht’s gar keinen?

M: Doch, ich glaube sogar, fast ausschließlich. Ich glaube, mir macht alles daran Spaß. (grübelt) Nein, was mir keinen Spaß macht, sind die Zwischenzeiten, in denen das Metagehirn anspringt und man sehr viel in Frage stellt. Also nicht nur das Schreiben, sondern es gehört ja auch dazu, dass man generell sehr viel mit Zweifeln beschäftigt ist. Zumindest bei mir ist das so. Und das ist schon manchmal so hart, dass ich denke, wenn das jetzt berufsbedingt wäre und nicht nur mit Persönlichkeit und Lebensumständen zu tun hätte, wäre es so anstrengend, dass ich lieber eine Näherin sein möchte.

A: Aber ändert sich das dann, wenn man, wie du, so viele und so positive Rückmeldungen bekommt? Wird der Zweifel dadurch leiser?

M: Jetzt gerade schon, aber man traut dem ja nicht über den Weg und ich weiß auch, das wird wieder anders werden. Aber da muss man so immer weiter durchkrabbeln.

A: Weiß du einen Satz, eine Formulierung, ein Wort, irgendwas in deinem Buch, worüber du dich ärgerst?

M: Das ist eine fiese Frage. Wenn ich Nein sage, klingt es megaeingebildet. Wenn, dann macht sich das nicht an einem Satz fest, aber manchmal kippt man so wie auf die Unterseite des Textes und denkt sich, hä, was ist das denn? Krasser Scheiß! Es hat ja so viele weiße Seiten und wie der Text angeordnet ist, ist besonders und dann gibt es da diese Audioebene – ich habe Momente, wo ich davor stehe und denke, das ist eigentlich alles affig und künstlich.

A: Wann hast du zuletzt in die Amazonkommentare geschaut?

M: Ich glaube, das ist jetzt schon so drei Wochen her. Da tut sich nichts. Einen gibt’s, der ist sehr schön, aber ich glaube, dabei bleibt‘s auch. Ist mir aber auch irgendwie egal. Ich kann das gut wegstecken, weil ich mir dann sage, aber Amazon ist doch eh eklig.

A: Was ist das Schlimmste, was jemand über dich als Künstlerin sagen könnte oder gesagt hat?

M: Dass ich mich hinter meinem sprachlichen Können und dem Klang der Texte verstecke und da eigentlich nicht viel dahintersteht, dass ich catchy mit Sound und Sprachmaterial umgehe, aber inhaltlich tut sich da nix und es bleibt so sehr kühl. Kühl. Es gab ein paar Momente, wo jemand meinte, es seien so sehr kalte Texte und das finde ich schon krass. Ich kann verstehen, woher das kommt. Man ist ja immer getroffen davon, was man halb auch schon mal selber gedacht hat…

A: Hat man da das Bedürfnis es, demjenigen, der es falsch oder nicht in deinem Sinn versteht, zu erklären?

M: Ich bin da so, dass ich dann vor diesem Satz oder Vorwurf oder Urteil stehe, wie vor einem Betonklotz. Mir fallen dann irgendwie alle Mittel weg, etwas dagegen zu sagen. Ich bin dann einfach vor den Kopf gestoßen. Und warte dann einfach drauf, dass jemand kommt und das Gegenteil behauptet.

A: Das wichtigste Buch für dich.

M: Ich glaube, Unendlicher Spaß. Weil es einfach ein Universum ist, in dem so viel drinsteckt, was gleichzeitig tröstet und benennt. Ich glaube, das hat sogar Juan (Guse) mal gesagt… (grübelt) Ne, das hat David Foster Wallace selber mal gesagt. Oder Juan. Ich weiß es nicht, die sind ja auch irgendwie so gleich… Das war so: Literatur kann einen an den Abgrund führen und reinstürzen lassen und gleichzeitig wieder bergen. Und dafür ist Unendlicher Spaß für mich der Inbegriff.

Prosanova /17, Foto: E. Fiebig

Ich muss zugeben, dass ich Yael Inokai zuvor nicht kenne. Ich lungere nur auf Paletten am Zaun und klage, dass ich schon lange kein Interview mehr geführt hätte, aber doch noch einige zusammenkriegen müsste. Das da sei eine Autorin, sagt jemand, Yael heiße die, oder so. Schnell hinterher. Und Yael ist gleich wahnsinnig nett und wir ziehen uns in einen Raum zurück, der Kegelcenter heißt und wegen seiner schlechten Luft gefürchtet ist. Eigentlich müsste hier jetzt ein Workshop stattfinden. Hoffentlich werden wir nicht verscheucht. Werden wir dann aber doch.

Andreas: Yael, wie geht’s?

Yael: Gut, danke und selbst?

A: Auch gut, danke. Erzähl mal, was du hier bisher so gemacht hast.

Y: Ich habe einmal zusammen mit Akin (Sipal) einen Dialog geschrieben, der die gleiche Grundprämisse haben sollte, wie ein szenischer Text von Rebecca Martin, der zuvor von zwei Schauspielerinnen gelesen wurde. Und dann sollte man aufgrund dessen, was man da gesehen und gehört hat, einen neuen Text schreiben.

A: Wie gut hat das funktioniert?

Y: Ich würde sagen, ganz gut. Man ist superfokussiert und hat gleichzeitig so einen Anspruch an sich, obwohl man den eigentlich weglassen sollte, aber ja…

A: Und was kommt jetzt morgen noch?

Y: Morgen ist einmal „A Story, we remember to tell“ und was ich bis jetzt weiß, ist, dass jemand einen Text liest und wir dann diesen Text wiedergeben und es dann darum geht, wie unterschiedlich wird das wahrgenommen und was für ein neuer Text entsteht.

A: Das sind also eher ungewöhnliche Aufführungsformate. Habt ihr die gemeinsam entwickelt oder wie ist das abgelaufen?

Y: Ich bin auch noch bei einer klassischen Lesung dabei. Und sonst habe ich einfach eine E-Mail bekommen: Wir haben uns das und das überlegt, was denkst du? Und ich habe sofort gesagt, ihr könnt mich für alles einsetzen. Vor zwei Jahren hatte ich hier dieses Stadtschreiberstipendium gewonnen, daher kenne ich die und wusste, ich habe volles Vertrauen.

A: Wie geht es dir mit der Selbstbezeichnung Schriftstellerin?

Y: Ich finde den Begriff Autorin unproblematischer. Den kann man einfacher verwenden. Es ist insofern interessant, dass Schriftstellerin ja ein viel technischerer Begriff ist. Und Autor oder Autorin fast schon so eine Wertung drin hat. Vielleicht ist Schriftstellerin auch einfach ein überholter Begriff…

A: Also lieber Autorin?

Y: Ja, ich hätte jetzt aber auch kein Problem, mich als Schriftstellerin zu bezeichnen. Ich habe irgendwann damit angefangen, zu sagen, ich habe jetzt soundso viel Zeit und Mühe da rein investiert, dann ist es auch relativ unabhängig davon, was so als Resonanz dabei rumkommt.

A: Gibt es für dich eine Sache, ein Thema worüber du gerne schreiben würdest, aber es funktioniert nicht oder du traust dich nicht ran…?

Y: Ich habe schon seit Ewigkeiten eine Geschichte über einen Kriegsfotografen im Kopf, aber das ist so weit weg. Ich weiß nicht, wie ich mich dem annähern könnte.

A: Wie wichtig ist Recherche und wie nervig?

Y: Ich finde es überhaupt nicht nervig, ich finde einfach die Frage schwierig, wo fängt man an und wenn man mal angefangen hat, gibt es diesen Mittelteil, in dem man das Gefühl hat, man ist da voll durchgestiegen und hat das verstanden. Aber wenn man drüber hinauskommt merkt man, oh, jetzt muss ich mich aber so richtig damit befassen. Und das, finde ich, ist auch oft der Punkt, wo es aufhört, weil ich dann das Gefühl habe, ich werde diesem Thema nicht gerecht.

A: Kannst du sagen, was der Punkt am Schreiben ist, der dir Spaß macht?

Y: Bei mir an der Filmuni würde man sagen, es hat keinen dramatischen Bogen. Es ist so eine Wellenbewegung. Manchmal ist es voll schön und manchmal richtig anstrengend. Am Schlimmsten finde ich, wenn es so zäh ist und man hat den ganzen Tag etwas gemacht und es ist nichts dabei rumgekommen und man ist abends so leer. Aber ich denke, so geht es ja vielen Menschen.

A: Weißt du einen Satz, eine Formulierung, ein Wort, das du publiziert hast und worüber du dich ärgerst?

Y: Ich habe mal vor etwa eineinhalb Jahren den großen Fehler gemacht, meinen Roman nochmal zu lesen. Und ich hatte dann allen Ernstes diesen Korrekturblick drauf und dachte bei jedem zweiten Satz: Uiuiuiui…

A: Kann man das dann wieder hinter sich lassen?

Y: Ich denke, man tendiert immer so dazu, die Sachen kleinzureden, die man mal gemacht hat. Nicht nur als Autorin, sondern generell. Aber man kann schon auch stolz sein.

A: Wie groß sind Selbstzweifel bei dir?

Y: Das sind auch so Wellen und dann pendelt es sich irgendwann in der Mitte ein. Ich glaube, es ist tatsächlich ein Drittel der Arbeit durch diese Selbstzweifel durchzusteigen. Und dann ist ja es so eine Schlaufe: Man denkt, ist das gut genug? Und dann: Warum machst du dir jetzt Gedanken, ob das gut genug ist? Jetzt mach‘ halt einfach!

A: Wann zuletzt in die Amazonkommentare geschaut?

Y: Ich glaube noch nie. Ich weiß auch gar nicht, ob es welche gibt…

A: Selbstschutz oder Desinteresse?

Y: (grübelt) Ich glaube Selbstschutz. Ich veröffentliche auch manchmal auf Zeit online. Da würde ich auch nicht auf die Kommentare schauen. Was natürlich auch schade ist, weil einem vielleicht auch ein bisschen was entgeht.

A: Was ist das Schlimmste, was jemand über dich sagen könnte oder gesagt hat?

Y: Schlimm finde ich immer, wenn es persönlich wird. Egal, wie persönlich ein Autor oder eine Autorin auch schreibt, auch wenn jemand autobiografisch schreibt, finde ich, das gibt niemandem die Einladung, dich persönlich angreifen zu dürfen. Es geht weniger darum, dass es mich verletzt, sondern dass es mich so traurig macht, weil es so respektlos ist.

A: Aber warst du selbst einmal mit so etwas konfrontiert?

Y: Ich hatte einmal eine Frau, die hat gesagt, anhand dieses Buches würde man sehen, dass es mir Leben nie an etwas gefehlt hat und ich total verwöhnt bin. Ich dachte so: Hö? Wo kommt das denn jetzt her?

A: Wie sehr genießt du solche Sachen wie hier, dieses Öffentlichkeitsding? Oder hättest du eigentlich lieber deine Ruhe?

Y: Wenn ich jetzt hier so bin, finde ich es alles ganz schön, weil auch die Atmosphäre so schön ist und alles mit sehr viel Liebe gemacht ist. Auftreten an sich finde ich aber ganz schlimm, vor Leuten reden… Dann merke ich, dass mein Kiefer anfängt zu zittern und ich denke: Oh Gott, alle sehen es! Aber andersrum ist es auch schön, wenn man ein bisschen Kontakt hat. Klar schreibe ich vor allem für mich, aber es wäre gelogen, würde ich sagen, ich schreibe nur für mich. Wenn jemand auf mich zukommt und sagt, das hat ihn berührt, das ist ja ein totales Geschenk. Für mich findet Schreiben nicht nur in mir statt, sondern es muss auch nach Draußen gehen. Ich finde es schwierig, aber es geht auch nicht ohne. Und ich denke, den meisten geht es ähnlich. Ich kenne keine Autorin, die sagt: Oh geil, nachher gehe ich auf die Bühne!

A: Das wichtigste Buch für dich?

Y: Aller Zeiten!? Das ist mal `ne Ansage… Ich kann nicht sagen, ob es das wichtigste Buch aller Zeiten war, aber es gibt dieses eine Buch von Joan Didion, da schreibt sie über die Zeit, nachdem ihr Mann und ihre Tochter gestorben sind (Das Jahr des Magischen Denkens). Ich fand das so ehrlich, wie sie über diese Trauer schreibt und fand diese Offenheit so schön. Das war auf ganz viele Arten inspirierend und denke jetzt noch oft an Dinge, die sie da gesagt hat.

A: Hast du das Gefühl, so etwas zu lesen, das einen auch sehr mitnimmt und vielleicht anders über Sachen nachdenken lässt, verändert die Texte, die du danach schreibst?

Y: Ich glaube, es gibt einfach gewisse Dinge, die liest man oder erlebt man, die kann man danach nicht mehr vergessen. Ich denke nicht, dass man sehen kann, das ist eins zu eins in den Text eingeflossen, aber dass es auf jeden Fall etwas verändert hat.   

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