aufgelesen [29]
Ein Augenblick von Freiheit
»Das Gedicht soll die Wirklichkeit verändern, die unlebbar war. Sie veränderte sich. Ich schreibe also, weil ich schreibe, seit ich zu schreiben angefangen habe. Jede andere Begründung ist eine nachträgliche. Es ist die Sprache. Seit ich diese Art Umgang mit ihr habe, seit sie mir zum Partner geworden ist, kann ich es nicht lassen. Es ist eine Leidenschaft, ihr diese ganz kleinen Schubse zu geben und den Anprall zu fühlen. Die Zeit hört völlig auf, wie beim Liebesakt. Es ist ein schizophrener Vorgang, zugleich aktiv und passiv. Eine Art Zauberkunst, ein Akt der Befreiung durch Sprache. Die Worte meine ja Dinge. Die Dinge werden verändert oder anders geordnet je nach der Wortkombination. Sie ordnen sich neu. In einer ganz anderen Sphäre, in der man zugleich drinnen, aber mehr noch draußen ist, und eben deshalb frei von ihnen, die jetzt in den Worten und ansehbar, anhörbar, gelöst vom Ich sind.«
Hilde Domin in ihren sehr lesenswerten Frankfurter Poetik-Vorlesungen mit dem Titel »Das Gedicht als Augenblick von Freiheit« (Fischer, 2009). Sprache begreift und exemplifiziert sie darin als etwas Existenzielles, ein Grundbedürfnis, das vor allem in den langen und schwierigen Jahren ihrer Exilzeit hervorgetreten ist. Sie selbst schreibt, dass sie als »Ruferin« nach Deutschland zurückgekehrt sei – nicht zuletzt auch um Adornos Ausspruch zu überwinden, demnach nach Auschwitz kein Gedicht mehr geschrieben werden könne. Geboren wurde die vielfach ausgezeichnete Dichterin als Hilde Löwenstein am 27. Juli 1909 in Köln, ihr Nachname »Domin« verweist auf ihre Exilzeit in der Dominikanischen Republik; am 22. Februar 2006 starb die Lyrikerin in Heidelberg.
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