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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

"Grüsse mir, Flieger …"

Hamburg

Verlagshaus Berlin, "Quartheft #68" (irgendwer muss mir mal den Sachzwang erläutern, aufgrund dessen deutsche Literaturverlage nicht einfach Bücher, sondern stets Reihen machen) – ein Gedichtband von Crauss. Der Klappentext sagt so:

… folgt Crauss den Piloten der 60er Jahre auf DIE HARTE SEITE DES HIMMELS: Er setzt seine körperlichen, feinen, wie aus Porzellan gegossenen VErse den elementaren Kräften des Fliegens aus. Zwischen den Staubwolken der Rollfelder und der furchtbaren Schönheit von Nachtflügen liegen sehnsuchtsvolle Träume (…)

… und das darf uns ein bisschen hoch (in den harten Himmel) gehängt erscheinen. Bzw. ein bisschen gar zu fixiert aufs manifeste Oberflächenthema. Freilich, der Band versammelt Persona-Lyrik, extrapoliert ein pansexuell-cooles Ich und eine Bondfilmhaft drapierte Kosmopolitenwelt, aber das war's nicht (es handelte sich dann auch bloß um die Fortführung der Modemagazinfotografie mit den Mitteln der zeitgenössischen Lyrik – das müsste wirklich niemand lesen). Erstens hat dieses Ich mehr zu tun als bloß in etwelchen Lounges und an international landmarks herumzuhängen, und es entfaltet Reflexionen, die über solches Inventar weit hinausgehen – in beispielsweise Kindheiten, Lektüren, Sozialwissenschaft. Zweitens geschieht hier sprachlich deutlich mehr als bloßes lyrisches Abmalen symbolträchtiger Settings; Crauss' lyrische Rede kommt durchaus zu sich selbst. Drittens wird nicht nur vom Ich des manifesten Gehalts über die Erdoberfläche geflogen, sondern auch von Crauss' Text über die Oberfläche eines anderen Texts:

Was es mit den Textblöcken am unteren Ende mancher Seiten auf sich hat – keine richtigen Fußnoten, sehr wohl über Schlagworte und Wendungen mit dem jeweiligen Haupttext der Seite verknüpft, selbst literarisch, aber in erkennbar anderem Stil als die Gedichte droben, am Seitenhimmel – das erfahren wir höchst nebenbei im Erläuterungsapparat ("Flugschreiber"):

DIE UNTERTEXTE entstammen friederike mayröckers prosa brütt, wurden aber überarbeitet und neu geprittet.

Also: Crauss' eigene Texte, inhaltlich sorgsam inszeniert, aber sprachlich über ihre Inszenierung hinausweisend – sie fliegen über Fragmenten eines literarischen Journals dahin, das den Umgang mit vergeblicher oder halluzinatorische Liebe zum Gegenstand hat. So müssen wir das ganze Buch lesen: Angriff auf die eigene Coolness; eine Erzählgedichtserie mit sexy-glatten Texten und dem Subtext, dass es sich beim sexy-glatt-Sein um eine self-defeating proposition handle; ein Artefakt derselben überkommenen, gerade-eben-noch kolonialen Chauvi-Welt, da man in Flugzeugen noch qualmte.

Lustigerweise kommt Mayröckers "brütt" auch im Text selber vor. Dass dabei manifeste nur von "der mayröcker" und "dem buch" die Rede ist, ist die ihrerseits inszenierte Minimalcamouflage des einzigen Anachronismus in Crauss' Sechziger-Inszenierung ("brütt" erschien zuerst 1998, und wir bekommen im Text keinen Grund, an ein anderes Mayröcker-Buch zu denken). Nehmen wir's als Spur des Konflikts von Sechziger-Text und Zwanzigzehner-Subtext, oder als schieres Augenzwinkern des Arrangeurs ins Publikum? (Ich entscheide mich für letzteres, bin hier auch ansonsten bestens unterhalten).

Crauss
DIE HARTE SEITE DES HIMMELS
Illustration: Felix Bauer
Verlagshaus Berlin
2018 · 15,90 Euro
ISBN:
978-3-945832-24-0

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