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Kritik

Es muss klingen.

Frauen, Konkurrenzkämpfe, Männer und Gedichte
Hamburg

Sollte ich heute, nach jahrelangem Umgang mit Crauss' lyrischem Werk, sagen, was dieses im Rahmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur besonders auszeichnet, so müsste ich die Konsequenz herausstellen, mit der Crauss sich jedem Diskurs entzieht, der die Feststellung von Identität oder Identitäten zum Ziel hat. Crauss ist ein Mensch, der nicht Wurzeln, sondern Beine hat, und diese lieber zum Wandern oder besser noch: zum Herumstreifen, statt zum Marschieren braucht. Crauss entwickelt in seinem Werk einen spürbaren Widerstand gegen identitäre Diskurse, gleich ob es sich um nationale, religiös-kulturelle, Gender- oder sexuelle Identitäten handelt, also genau jene Felder, die von einer politisch reaktionären Rhetorik besetzt werden. Der 47jährige Dichter kommt aus Siegen oder Bielefeld oder Nirgendwo im romantischen, gebirgichten Westfalen, und er lebt dort in der Provinz, in seiner Stadt, unruhig und umtriebig, folglich auch Unruhe stiftend; seit dem „verpuffen ... der über zehn jahre immens wirksamen literaturgruppe aktion musenflucht“ Ende der 1990er Jahre (Crauss in SCHUNDFAKTOR) ist er als Schriftsteller ein Solitär, der seine Sach auf Nichts gestellt und sich keiner Schule oder Gruppe angeschlossen hat.

Wer den 2018 erschienenen, siebten Gedichtband DIE HARTE SEITE DES HIMMELS zur Hand nimmt, hat zwei Optionen. Wenn er das Werk im Ganzen genießen möchte, muss er mit dem ersten Gedicht beginnen und sie der Reihe nach aufmerksam studieren, sollte auch, wenn ihm die Dichte des Gewebes und die Vielfalt seiner Motive undurchsichtig zu werden drohen, nicht sich scheuen, zurückzublättern und zu rekapitulieren, um den Überblick nicht zu verlieren: die Mühe lohnt sich. Wer es aber vorzieht, sich einen ersten, vorläufigen Einblick in das Werk zu verschaffen, also zunächst einmal absichtslos darin blättern möchte, vielleicht auf der Suche nach den auf dem rückwärtigen Cover genannten „Pilotengedichten“, dem sei empfohlen, im letzten Drittel des Buches auf Entdeckungen auszugehen: hier finden sich die leichteren Gedichte, die weniger Konzentration verlangen, ohne deshalb schon als die seichteren abgetan werden zu können, denn auch sie leuchten ihr Sujet leidenschaftlich und genau aus. Crauss hat keine Antiklimax komponiert. Vielmehr nehmen die einzelnen Gedichte in ihrer vorliegenden Anordnung, nachdem sie am Anfang sorgfältig geerdet waren, beständig an Fahrt auf, lassen das Gefühl aufkommen, immer leichter zu werden und  gegen Ende vom Boden abzuheben, bis sie schließlich, ein „Silberfisch“, als winzig kleiner Punkt im Stahlblau des Himmels verschwunden sind. Dann sieht und hört man nichts mehr, vielleicht noch das Echo eines hellen, schwefligen Lachens, das zuvor kaum wahrnehmbar gewesen ist: bitter romantische (Selbst-)Ironie?

Wer nicht Literaturhistoriker und auf die Bestände der eigenen Bibliothek angewiesen ist, wird jetzt vermutlich an Heinrich Heine denken. Keiner vermochte wie er, romantische Gefühle zu wecken, um die Stimmung sogleich ironisch zu brechen: für jeden willigen Leser auch heute noch eine widersprüchliche Erfahrung. Crauss, der in Bezug auf Heine schrieb: „wenn ich über seine bücher nachdenke und eines finde, das ich in der lage wäre zu lieben, fürchte ich mich stets vor dem folgenden“ (in MOTORRADHELD), ist selbst Meister darin, zwiespältige Lektüren hervorzurufen. Jedenfalls erwischt er das Publikum immer wieder bei seinen eingewurzelten Vorurteilen, die ja nichts weiter sind, als ungeklärte Gefühle.

Man mache eine Probe aufs Exempel: Ist dieses Buch frauenfeindlich? Auf den ersten Blick finden sich ungewöhnlich viele Wörter und Wendungen, die heute als antifeminin empfunden werden können oder müssen. Ich will keine Liste von Wörtern aufstellen, deren Verwendung die political correctness (gescholten, aber nicht wirkungslos auch im Sinne der Entwicklung neuer Empfindlichkeit) inzwischen ausschließt. Man kann darauf hinweisen, dass der Kontext der Gedichte historisch in vielen Fällen auf die 1960er Jahre verweist, das letzte Jahrzehnt, in welchem, vor dem Aufbruch der zweiten Frauenbewegung, Geschlechterklischees noch weitestgehend unbedacht, aber ausgiebig die öffentlichen wie privaten Diskurse durchdrangen. Dass Crauss diesen Sprachgebrauch im Gedicht ironisch aufnimmt, ließe sich durchaus rechtfertigen. Wenn jemand darauf ausrutscht, so sind es genau diese absichtsvoll ausgestreuten Bananenschalen, die den unachtsamen Leser zu Fall bringen. Es gibt aber Beispiele, die gleichwohl zu weit zu gehen scheinen. So erinnert mich die Zeile: "das kleid der frau hat hässliche flecken" peinlich an den Vers Stefan Georges: "Sie hat wie die anderen ein mal"; oder: "paris ist ein loch, eine frau die du mitnimmst [...] nur eine von vielen, die weiss wie mans macht" an Brechts satirisch zugespitzte Formel: "mir genügt ein kleiner Teil von ihr". Möchte man solche Verse einer Frau, die man schätzt, gern vorlesen?

Wohlmöglich ist die Probe aufs Exempel ein Holzweg. Denn sie setzt unausdrücklich voraus, dass der Dichter Erlebtes oder Empfundenes unmittelbar ausdrücken wolle oder solle. Das ist, zumal in der Lyrik, niemals der Fall gewesen. Es trifft aber umso weniger zu, je weiter sich ein Dichter, Techniken der Montage und Performance im Sprachlichen aufnehmend, auf schon Vorgeformtes einlässt, sei es der Sprachgebrauch, seien es Exzerpte  aus Gebrauchs- oder literarischen Texten, sei es ein Bild, eine Fotografie, ein Film, musikalischer Rhythmen. Es entstehen dann Reibungsflächen, Ungereimtheiten, Spannungen, Paradoxien, Widersprüche, aber auch plötzliche Öffnungen in ungeahnte Klang-, Sinn- und Bedeutungsräume, mit denen man beim Lesen zu rechnen hat. Gedichte haben als unmittelbare Botschaften einstweilen ausgedient, wahrscheinlich waren es stets nur die Epigonen, die dieses Missverständnis nährten.

Widersprüchlich und widerspenstig sind Crausstexte immer. DIE HARTE SEITE DES HIMMELS versammelt, so der Autor in SCHUNDFAKTOR, „Piloten- und Fliegergedichte“. Nachdem dieses Sujet aber zunächst nur sporadisch und eher hintergründig erscheint, tritt es erst im letzten Drittel des Bandes ganz deutlich hervor. Andererseits wird dieser, wie das ganze Buch, abgeschlossen mit der Stimme aus der Black Box: „there is no pilot“, „hier spricht ihr käptn“, „es gibt keinen käptn“, „nicht mehr nötig zu wissen, ob es überhaupt einen piloten gab auf der reise ins jetzt.“ Was also, zum Teufel, ist das Thema?

1968 erschien von Rolf Dieter Brinkmann der Gedichtband Die Piloten, zwanzig Jahre später Thomas Böhmes stoff der piloten. Beide Bücher lösen sich thematisch schnell und leicht ab vom Stichwort der Luftfahrt, wie es die Titel vorzugeben scheinen, sie streifen es eher flüchtig, kommen dann und wann darauf zurück, doch konzentrieren sie sich, jedes auf eine eigene Weise, auf die Inszenierung geschlechtlicher Spannungen. Das ist nicht schwer zu verstehen. Die Autoren verpacken in der Figur des Piloten, als eines modernen Helden, ironisch Bilder von Männlichkeit, Mut und Kameradschaft. Männer müssen sich vor anderen Männern, vor Frauen und vor der Jugend bewähren. Der Pilot ist mit anderen Worten die zivile Fortschreibung der althergebrachten Kriegerromantik, die auch und vor allem lyrisch im Übermaß ihr Unwesen getrieben hat.

Es wäre aber irreführend, im Zusammenhang mit Crauss‘ Pilotengedichten von einer Fliegerromantik in den 1960er Jahren zu sprechen, an welche der Autor anknüpfe. Diese war ohnehin fake, eine bloß literarische Mode:  die Pilotenfigur war existenzialistisch aufgeblasen zum mutigen, einsam mit den Naturgewalten kämpfenden und heroisch scheiternden Mann, wie in den Romanen Saint Exupérys, die eben deshalb noch einmal ausgegraben wurden, der Autor selbst wurde als Leitbild verkauft. Das Schicksals- und Helden-Modell war jedoch auch damals längst obsolet. Schon begann der Massentourismus per Flugzeug, Scharen von autoritätsvernarrten New-Age-Hippies flogen billig nach Indien. Und, nach 1968, doppelt peinlich: in Vol de Nuit, diesem Grundbuch des Genres, wird der ganze Apparat höchster Tugenden einschließlich der Pflichttreue bis in den Tod ideologisch zur Überhöhung der kapitalistischen Konkurrenzkämpfe inszeniert: man opfert sich auf für die Gewinnaussichten der Anleger.

Schaut man sich das eher schäbige Leben der Piloten in Crauss‘ Gedichten an, so lässt sich, wenn man es in den Kontext der Geschlechterspannung stellt, bemerken: für diese trostlosen Männer-Helden sind Frauen eine austauschbare, wenig Energie in Anspruch nehmende Angelegenheit, ein Orgasmus dauert ein paar Sekunden, dann ist das Weib schon überflüssig. Mir genügt ein kleiner Teil von ihr. Wenn die Frau außerdem nicht richtig tickt und etwa verlangt, dass man ihr aufmerksam zuhört, geht sie schon auf die Nerven. Sie hat wie alle ihresgleichen einen Makel. Soll sie ein paar Klunker bekommen und so schnell wie möglich verschwinden. Anders das Verhältnis zur Maschine: mit ihr ist man über lange Stunden auf Gedeih und Verderb, auf Leben und Tod verbunden. Wenn sie nicht richtig tickt, hört man sofort genau hin, was sie braucht und überlegt, wie man das bewerkstelligen kann. Deswegen streichelt man eher eine Dak zärtlich als eine Frau.

Wenn hinter dem, was man bei Crauss liest, wie bei Brinkmann und Böhme unruhestiftend die Geschlechterspannung steht, so sind damit neue Wege beschritten. Ich spreche in diesem Zusammenhang ungern von „Verlangen" (désir), weil die Genderdiskussionen der letzten Jahrzehnte in diesem Begriff gleichsam ursprungslogisch etwas Essentielles (einen feststellbaren Gegenstand, eine Art Ding – an sich) finden zu können gemeint haben, ein principium, dessen dinglicher, ich meine: verdinglichter Charakter nicht erkannt wurde. Ursprungslogik und identitäres Denken gehören zusammen und führen stets in die gleiche Sackgasse: den Ausschluss des Anderen, Fremden. Es geht in der Geschlechterspannung vielmehr um jene Beziehungen zwischen einzelnen Menschen und Menschengruppen, in denen Sexualität eine bestimmende Rolle spielt. Diese Beziehungen sind von Anfang an durch und durch vergesellschaftet. Man stößt nirgends auf bloße Sexualität, etwa als Naturtatsache, sondern immer auf ein gesellschaftliches Regelwerk, in dem sich reale Beziehungen bewegen (müssen). Genau so stellt Crauss die Sache vor, und er erhebt nirgends den Anspruch, als ein unbeteiligter Beobachter außerhalb zu stehen.

Es gefällt mir deshalb, wie Crauss das berühmte Empedokleszitat auf dem Weg über Hölderlin, Fichte und Mayröcker wieder aufnimmt: „einst schon bin ich  ein knabe, ich bin auch ein mädchen gewesen, busch und vogel und fisch, der warm aus den wassern emporschnellt“. Dieses Fragment führt in eine tiefe Problematisierung sogenannter männlicher und/oder weiblicher Identität, es sagt explizit, dass die binäre Grundunterscheidung nach Geschlechtszugehörigkeit, seit den ersten Versen der Genesis bis zu den bürokratischen Ordnungen der Gegenwart Denkgewohnheit, eine verhängnisvolle Illusion ist, und Crauss unterstreicht dies mit einem Selbstzitat aus ALLES ÜBER RUTH, „mädchen und jungs kann man kaum unterscheiden“, nämlich nicht nur auf Malta.

So schickt Crauss die Helden, von denen die Rede sein soll, in eine Art Selbstprüfung ihrer harten Identität rauer Männlichkeit, die sich als Pose und Posse entlarvt. Es gibt offenbar Regungen, vielleicht kaum wahrnehmbar, nur wie ein leiser Lufthauch, die sich in den stählernen Panzern sozusagen nicht unterbringen lassen. Man spürt hinter und unter den allmächtig präsentierten Identitäten, Rollen und Masken ein Beziehungsspiel, das sich durch binäre Ordnungen nicht erfassen und auch nicht eingrenzen lässt. Dass dieses Spiel sich vielleicht am leichtesten dort offenbart, wo Menschen noch selbstvergessen spielen und die Rollen nach Bedarf wechseln, also in der Kindheit, liest sich bei Crauss z.B. so:

WIR WAREN PILOTEN wir hatten
schokoladenstaub in der nase. nachts,
das war ein zelt in aphrika, ein kriegsgeheul
in strumpfhosenmützen, ein pimmeltanz
um den wohnzimmerschatz. wir suchten schutz
vor scheinwerfern, die unseren blicken folgten.
wir waren piloten, bruchschatten
krachten auf uns herab, nie haben wir wieder
dermaszen gezittert, geküsst und überlebt
unter dem viel zu kleinen frotteehimmel.
die bestien konnten uns nichts.

Den letzten Vers dieses Gedichts hätte ich gern selber geschrieben; ich musste mich darauf beschränken, ein Stichwort gegeben zu haben. Ich bin auch beim ENGEL AUSSETZEN dabei gewesen, und auch sonst gibt es in diesem Buch hier und da etwas übers oder fürs fallensteinhaus zu lesen. Alles, was da erzählt und beschrieben wird, ist genauso wahr, wie die Poesie nur eben es sein kann, und wie eben nur sie es kann, ich kann mich für den Dichter verbürgen, er hat nicht geschummelt.

Seit Mitte der 1980 Jahre spielt Jaques Derrida oder J.D., wie es oft heißt, eine wesentliche Rolle im Werk Friederike Mayröckers. Seine poetischen Formulierungen erscheinen bei ihr als Zitate, werden weiter gesponnen und weitergeschrieben, sie  beginnen ihre Sprache gleichsam zu unterwandern, sie gehen mit ihrer Sprache eine fast ununterscheidbare Verbindung ein. Schließlich verlieren sie alles, was ein Fremdzitat ausmacht, seine Abgrenzbarkeit, seine Funktion, seine Autorität. „Wollen wir über Tränen sprechen?“ ist eine Formulierung, die man, zumal seit Marcel Beyers ebenso überschriebener Rede auf die Dichterin, eher mit dem Namen Friederike Mayröckers verbindet als mit Jaques Derrida.

In einer ähnlichen Weise hat nun Crauss sich auf Texte von Friederike Mayröcker eingelassen und ihre Wirkungsmöglichkeiten auf seine eigene poetische Produktion erprobt. DIE HARTE SEITE DES HIMMELS unterhält von Anfang an bis zum Schluss vielfältige Beziehungen zum Werk Friederike Mayröckers, zu ausgewählten Gedichten ebenso wie zu ihrer zentralen Prosa brütt oder Die seufzenden Gärten (1998). Liest man „brütt“ als Abwandlung des frz. „brut“, so findet dieses Wort bei Crauss im Titel ebenfalls Verwendung, um in die Vorstellung vom Himmel einen Widerspruch einzutragen: ohne Zweifel betont Crauss damit eine intendierte Verwandtschaft. Wenn aber Crauss der Sprache Friederike Mayröckers einen subversiven Einfluss auf sein eigenes Werk zugesteht, so bindet er sie nicht immer ebenso zart gefügt als scheinbares Zitat ein. Denn auf der einen Seite lässt er sie, ohne Hinweis auf ihre Herkunft, nahtlos in den Duktus seiner eigenen Sprache eingehen, so etwa gleich im zweiten Gedicht der Sammlung, das noch einführt in die Thematik des Bandes: „(schreiben / ist etwas […] anderes: ein baum ein haus / etwas worin du dich verlieren / keines für dich allein / zu schweigen zu schreiben) /  […] / dieses angewiesensein auf wenige farben freunde / nur üppiges grün (verlierst dich / in saftiger wollust ein junge ein mädchen was / macht das)“. Andererseits versucht Crauss bei einer großen Anzahl dieser Gedichte unauffällig eine Distanz herzustellen zwischen der Sprache Friederike Mayröckers und den Formulierungen, die sie in ihm angeregt haben mag: umfangreichere Zitate aus brütt erscheinen gleichsam als Fußnoten unter den Gedichttexten, die oft, aber nicht durchgehend, einzelne Elemente aus diesen Zitaten übernehmen. Als Belege im herkömmlichen Sinne aber sind diese Fußnoten ganz unbrauchbar: sie autorisieren nichts. Lässt man sich auf dieses Spiel ein und vergleicht, so wird man finden, dass in Crauss‘ Spracharbeit eine gewaltige Verwandlungskraft sich offenbart. Nicht nur, dass übernommene Wortfolgen einen anderen Sinn hervorbringen, sie fügen sich oftmals auch einem anderen Rhythmus. Anfänglich war es gerade der Rhythmus der Mayröckerschen Sprache, ihre große Musikalität gewesen, durch die Crauss  sich hat faszinieren lassen: „deine gedichte / sind mir ein riff unter kopf / hörern guitarren gezogen vom ohr / hinunter ins beatbein“. Im Laufe der Zeit werden auch andere, gleichsam apotropäische Qualitäten hervortreten. Dann liest man aber auch: „die mayröcker hat ausgedient für eine weile das buch / habe ich extravergessen […] / ich kann die musik […] / allein […] / […] / die kolkraben sterben sagt thelen die kolkraben sterben / wenn es nicht bald wieder krieg gibt die mayröcker / ich will sie schnell holen ich hole sie schnell wieder her“. Zu welchen Kämpfen, zu welchen Lüsten man sich mit Crauss, der Sprache Friederike Mayröckers folgend, sie abstoßend und dann doch wieder einholend, mitreißen und verführen lassen kann, macht ein besonderes Vergnügen der Lektüre dieses leidenschaftlichen Buches aus.

Kein Wort ist mit sich selbst identisch, wie man es bettet, so trifft es. Deshalb bedürfen alle kanonisch festgestellten Schriften notwendig eines Kommentars. In der Linguistik ist das ein uralter Hut, die Literaturkritik muss es noch immer ausbuchstabieren. Sprechen heißt, hinter dem gemeinten Sinn weitere, umfassende Sinnhorizonte anklingen zu lassen. Dichten bedeutet, diese universellen Sinnhorizonte genau auszuhören, um sie anders und neu miteinander reagieren zu lassen. Obwohl es sich unablässig am Sinn der Wörter und Wortfügungen abarbeitet, ist der Sinn oder die Botschaft nicht das Ziel des Gedichts. Es muss klingen.

Crauss
DIE HARTE SEITE DES HIMMELS
Illustration: Felix Bauer
Verlagshaus Berlin
2018 · 15,90 Euro
ISBN:
978-3-945832-24-0

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