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Kritik

Auswendig sehen

Hamburg

Zu Ehren Jan Skácels bringt Wallstein einen ehrenwerten, kleinen Band heraus mit Lyrik und Prosa aus allen Schaffensphasen des großen Tschechen. Garniert mit (verzichtbarem) Buddytumdrumherum von Peter Hamm (auch Editor hier), Peter Handke und Philippe Jaccottet, die sich im Zuge ihrer unendlichen Petrarca-Preis-Party-Liaison äußern zu subjektivem Skácelgutfinden, sind es doch die klug gewählten Texte des Geehrten, die in ihrer distinkten Melodik, ihrem Minimalismus, ihrer Melancholie auf den Punkt bringen, was dorthin muss. Übersetzungen neuer und älterer Texte weisen unterschiedliche Schwerpunkte aus, besonders Felix Philipp Ingold bringt eine typische Schärfe mit hinein, die Skácels Gedichten gut tut. Wo Skácel bisweilen versinkt, im Gedicht wie auch im Wein oder beides – was ihn als Lyriker sympathisch macht, so ist es seine verblüffend trotzige und surrealistisch-komische Prosa, die im vorliegenden Band den Gedichten fast den Rang abläuft. Hier das Sinken, dort das Stechen. Skácel beäugt kritisch in von ihm selbst so genannten "Feuilletons" die Dinge dieser Welt, z.B. den "eigenen Tod", das Fahren mit der Bahn oder gar eine "Kleine Rezension über die Wahrheit". In einer typisch slawischen (wenn man so will) Verschmitztheit, die Hrabal und den andren in nichts nachsteht, schraubt sich Skácels Sprache hoch, landet in einem heuhaufenen Ach und hat doch den Tisch nie verlassen. Reisen ohne Fortzugehen.

Feuilleton über den Staat

Dies hier ist kein Feuilleton über den Staat, in dem ich lebe – ein solches Feuilleton zu schreiben, würde ich nie wagen. Wie die meisten tschechischen Journalisten würde ich eher eine Betrachtung über die USA zustandebringen, weil ich dort nie gewesen bin.
Mir schwebt Nepal vor. Ich verneige mich vor der nepalesischen Regierung und verehre sie. Sie ist mir sympathisch.
Sie begeistert mich, weil sie vor Kurzem das Verbot erließ, den Mache Puchare zu besteigen, der über 7.000 Meter hoch ist.
Sie tat es mit der wunderschönen Begründung, dass wenigstens einer der Himalaja-Riesen sein ewiges Geheimnis bewahre und unbezwungen bleibe. Und sie tat es gerade noch rechtzeitig. Vor sieben Jahren hatte sich eine britische Expedition an diesem Berg versucht, zum Glück aber dreißig Meter vor dem Gipfel aufgeben müssen. Auch das finde ich sympathisch. Ich habe immer im Leben dreißig Meter davor aufgegeben [...]

In diesem Tonfall geht es in vielen Texten voran, um die Ecke und weit voraus. Skácel wandert zwischen den Welten, scheint auch seinem eigenen (späten) Ruhm kaum etwas abgewonnen zu haben, er starb 1989. Die Augen versteckt hinter den Buschklappen aus Brauen und ketterauchend wie auf dem Umschlag fotografiert. Eine schöne Geste ist der Abdruck des auf der Prager Kleinseite an der Wand aufgefundenen Gedichts Ein Wachslicht brennen wir dem neuen Morgen von Übersetzer Urs Heftrich. "Ein Beweis für die Lebendigkeit des Dichters", schreibt er. So ist es. Auf eine leichte und zugleich schwerschrittige Weise adressiert Skácel in seinen Gedichten den Menschen. Dabei scheint es jeweils weniger um die Sprache zu gehen (außer die eigenartige Großkleinschreibung), als um die Unmittelbarkeit von Inhalt im Ausdrucksgewand. Ungepusht sozusagen, mit der Situation getränkt.

Alles was ich besitze hab ich nach innen gewendet
und es ist von der anderen seite der tür wie die krawatten
an der rückwand innen im kleiderschrank

Der Band ist gut. Weil Skácel gut ist.

Jan Skácel · Peter Hamm (Hg.)
Für alle die im Herzen barfuß sind
Wallstein
2018 · 176 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
https://www.wallstein-verlag.de/9783835333680-jan-skacel-fuer-alle-die-im-herzen-barfuss-sind.html

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