Kritik

Tote Augenblicke im Kopf eines Roboters

Jochen Beyses „Fremd wie das Licht in den Träumen der Menschen“
Hamburg

Die Welt ist fast weg. Ein paar Metallhalden gibt es noch; sprechende Kühlschränke und Tische, von denen nichts runterfallen und kaputt gehen kann. Die Menschen beschäftigen sich nur noch mit dem, was auf Bildschirmen vor ihnen abläuft: Was sie abspeist mit Schein. Sie haben einander nichts zu sagen und wissen nichts mit ihren Leben anzufangen, außer blind auf ihre Horoskope zu vertrauen. Vorbestimmung sediert schließlich ungemein.

Jochen Beyses Roman „Fremd wie das Licht in den Träumen der Menschen“ schildert keine blühende, bedeutungsbeladene Idylle, bietet kein illustres Personal hübscher Psychen, die darüber streiten, dass eine der andern ein Liebchen ausspannt, die Sätze zwinkern nicht tröstlich zu. Das gibt seine Literatur nicht her. Rezensenten von Beyses vorherigen Werke gaben ihren Kritiken Titel wie „Ein nie enden wollender Alptraum“ oder „Unser aller Lager“.

Formal handelt es bei „Fremd wie das Licht in den Träumen der Menschen“ um einen inneren Monolog. Im Wesentlichen findet dieser im Kopf von Rob statt. Der ist ein aussortierter, hochentwickelter Roboter. Die Gedanken und Gefühle, zu denen Rob fähig ist, finden in Schaltkreisen und Prozessoren statt, die eigentlich nichts anderes sollen, außer zu funktionierten, damit er den Besitzern ein netter Freund ist. Der Text, der sich in die Abschnitte „Nacht“ und „Licht“ gliedert setzt jedoch ein mit der Flucht Robs vor seiner Durchschnittsfamilie, in der er sich als überflüssig, sogar lästig wahrnimmt, da eine Art Internet der Dinge mittlerweile den Haushalt für die Menschen regelt und alles noch reibungsloser ablaufen lässt, was den Zodiaks — wie Rob die Menschen nennt — vom Tag übrig zu sein scheint. Keinen Bock hat er mehr, von gelangweilten Leuten alleweil gepiesackt zu werden, weil sie selbst nicht besseres mehr wissen, mit sich anzustellen. Und so geht Rob weg, flieht ohne konkrete Aussicht und rückblickende, durchaus lakonische Reflexionen machen einen großen Anteil des Monologs aus.

Abzählen, auf Vollständigkeit prüfen, streng Erfassen, Rechnen, Kategorisieren — so soll Rob die Welt sehen. Seine Programmierer haben ihm genaue Grenzen gesetzt:

„Dass es Kriege gab, wusste er aus den Nachrichten. Die Recherche im Netz zum Thema Aufrüstung und Kriegsführung aber blieb ihm durch komplizierte Filtersysteme verwehrt. Weihnachten ist das Feste der Liebe, das wusste er, auch dass an beiden Festtagen das Angebot an bunten Ablenkungsprogrammen unüberschaubar groß war, noch größer als sonst. Was aber das Gegenteil von Liebe ist, wusste Rob nicht. Er ahnte alles und wusste nichts. Anders gesagt, er wusste nichts, weil er ahnte, dass auch das Gegenteil von allem wahr sein musste.“

Aber dieser voreingestellten „Erlösung“ vorm Denken in Widersprüchen widersetzt sich Rob, denn er will kein positivistischer Datenhaufen sein, zusammengesetzt aus abgesichertem Wissen, das nur der Selbsterhaltung dient, sondern das begreifen, wovon die Menschen sich abkehren, sich fürchten. Ihre Erlösung heißt: Ruhe geben. Robs Zugang zur Wirklichkeit, die Möglichkeit zu verstehen, ist jedoch nichts, worauf sich der Leser verlassen kann. Der Text kommt immer wieder ins Stocken, der Erzählmodus wechselt zwischen der ersten und dritten Person hin und her: „Erzählmodus an/ Erzählmodus aus“. Es scheint fast so, als müsste Rob gegen seine Roboter-Natur ankämpfen, an-denken. Er nimmt einen Bildungsprozess, eine Menschwerdung auf sich, den die offiziellen Vertreter der Gattung längst aufgegeben haben, eingetauscht für Zerstreuung. Unterbrochen wird der Monolog durch ein Beispiel dieser Zerstreuung: Filmszenen aus „Planet der Irren“, wo ein ziemlich übler Krieg herrscht, der stellenweise an das Sparta-Metzel-Spektakel „300“ erinnert und Fortschritt im Angesicht anhaltender brutaler Mordslust pervertiert.  Zweitens kommt Rob immer wieder auf die Lektüre eines Buchs namens „Ausbau des Panikraums“ zurück, dessen Autor „Jochen Beyse“ als Connaisseur übers Jazz-Hören schwelgt, einen Mord am Sicherheitstechniker begeht, letztlich wahnsinnig wird an der Zivilisation und nackt der Menschheit ins Gesicht schreien will: „Ecce homo, mon amour“. Rob hingegen bleibt Aufklärer. Im Ich-Modus sagt er:

„Es wird hier oben jetzt vom Mond ein schwacher Silberglanz auf all den Schrott geworfen. So fremd muss das Licht in Träumen sein, wenn Menschen... wenn sie schlafen, während sie Bilder sehen. Was sich gerade in Wirklichkeit abspielt, bleibt unklar.“

Beyses „Fremd wie das Licht in den Träumen der Menschen“ hat nichts mit dem Kulturverfallsgeraune eines Oberlehrers zu tun, mit besserwisserischen Warnungen vor teuflischen Handys oder dem Internet der Dinge. Es gibt auch keine Dystopie aus attraktiven Hologramm-Damen und fetten Waffen. Vielmehr ist das kluge Erzählkonzept, das durch seinen repetitiven Charakter zugegebenermaßen zwischendurch auch etwas ermüden kann, gerade der Versuch auszubrechen aus der vorgeschriebenen Genügsamkeit mit dem, was einem vorgesetzt wird, während draußen die Hoffnung auf ein anderes Zusammenleben immer mehr abhandenkommt.

Jochen Beyse
Fremd wie das Licht in den Träumen der Menschen
Diaphanes
2017 · 224 Seiten · 15,00 Euro

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