Swansplaining
untoter schwan ist nicht nur eine Lexie im gleichnamigen neuen Gedichtband von Katharina Schultens, er ist quasi seine Zusammenfassung. Auch auf das schwarz-weiße Buchcover hat er es geschafft. Was darf man sich unter einem untoten Schwan vorstellen? Einen trashigen Vampirvogel? Einen Blick der gothic-Taucherbrille auf eine inszenierte Seelandschaft? Schwarz? Weiß? Romantik? Was? Es sind nur Näherungen möglich.
Katharina Schultens schafft es, trotz einigen (vermeintlich) klardeutlichen Abschnitten in den Gedichten, die so etwas wie festen Boden durchscheinen lassen, eine durchgängige Verunsicherung in alle Richtungen zu erzeugen. Nichts ist von Bestand oder wahrhaft fest. Obwohl man immer wieder meint, hinter Stellen zu kommen, sie zu gewinnen, vielleicht zu besitzen, entfliehen sie spätestens im nächsten Abschnitt des Bands. Schultens nimmt einmal gewobene Fäden auf und trennt den Blick wieder ab. Am Ende bleibt untoter schwan. Eine persönlich gefärbte Gedichtsammlung, bei der sich in jedem Gedicht das lyrische Ich klar als "ich" zu erkennen gibt und durch Färbungen hindurch auf einer tiefgründigen Sprach-/ Stimmungsreise kreist, vielleicht mit, vielleicht ohne oder um das Alter Ego untoter schwan. Schultens nimmt Motive aus ihrem Vorgängerband gorgos portfolio, ebenfalls bei kookbooks erschienen [2014] mit auf die Reise, wie zum Beispiel die Themenkomplexe Geld, Besitzen und Ertrag oder Worttransfers wie susurrus.
Die fünf Abschnitte von untoter schwan färben nicht nur politische Lagestatements und personale Aufforderungen/ Zuweisungen, u.a. tritt pu, der präsident auf, sondern in gleichem Maße Beziehungen des Lyrischen Ichs zu Kind, Körperlichkeit, Leidenschaften, Tieren, dem Verrücktwerden und Religion. Speziell christliche Paraphrasierungen mischen sich in Titel und ganze Abschnitte, die verbunden mit Sinnesdetails wie zum Beispiel dem dämonenauge im küchenboden oder den starlings (, nie lass ich euch ziehen) stehen. Eine irritierende, mitunter heikle Kaskade von Zusammenführungen, die in der Gesamtaddition der Gedichte angesprochenerweise jedes einzelne aufgerufene Bild letztlich wieder dekonstruieren, beziehungsweise es in jenen Schwebezustand aus verunsichernden Beschattungen führen. Übrig bleibt, auch in der visuellen Gestaltung der Gedichte, eine eigenartige Vielgestalt – untoter schwan.
Als Gedichtbeispiel Folgendes:
gorwetsch, herr und borretsch
nächstes mal ziehe ich über die schneegrenze, niemand sonst zieht hin
von dort schraube ich zwiebeltürme mit einer handgelenksdrehung ab
schnipse schwarznasen hangabwärts, pierrotziegen hinterherich lern es nicht, gibts einen button für zurück unter den gemsen
es muss ihn geben:ämterwahnsinn, glaube und seine desastereinen button, mit dem ich menschen wieder zusammensetze
aus ihren blutigen puzzles, unsre seelen rette hinterher
wenn er spricht
zerfällt die welt mit meinem körper
sie sind immer dasselbe gewesen
dein berg bröselt, herr, wie auch immer ich dich nenne, jeder blöde tod
zieht seine spitze aus den wolken zu uns runter, bis unsre zwiebeln blühnbis unser borretsch deinen gorwetsch überragt, violett im wind
dein schnee hat unsren sand gewässert: dafür warst du gutfür andres reicht eine berührung
Schultens Zusammenführungen ergeben, dass Disparates, von Herz bis Kapital, ideell wie visuell im selben Text zu stehen kommt. Mehrere Fachsprachen überlagern sich, gewählt aus den Zuneigungen jenes Lyrischen Ichs, das zwischen Glauben und Willen und Wahrnehmung herumgeistert, vielleicht untot ist unter den Lebenden. Bisweilen geben sich die Gedichte dem Sprachlichen hin, dann schwenken sie um und stellen das Inhaltliche voran. So entsteht jene formlose Form, infinit sich morphend von Farbe zu Farbe. Ein enigmatischer, dunkler Band.
kranz
siebzehn sandfarbene ferde mit weißen bürsten obendrauf
treten auf ein wolkenbeet und galoppieren den hang entlang
zur tschärmilonga, schrubben unterwegs den himmel blank.schreit dein kind? ja, ich ziehs an der mähne.
weint deine mutter? nur wenn ich es will.
liebt dein mann? er sagt es mir nichtalso habe ich recht, also folg ich den ferden
über torrent, majing und balm zur kapelle, grüße
unterwegs alle mütter, puste alle kerzen aus.
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