Der Sprache der Dinge auf der Spur
Ernst Jünger war nicht nur ein bis ins hohe Alter produktiver Autor, sondern auch ein fleißiger Briefeschreiber. Neben umfangreichen langjährigen Briefwechseln wie etwa mit Albert Hoffmann, dem Entdecker des LSD oder dem Staatsrechtler Carl Schmitt sind inzwischen auch kurzlebigere Korrespondenzen wie etwa mit Alfred Baeumler (2008) oder Ernst von Salomon (2012) publiziert. In einem Brief vom 13. Januar 1963 an den jüdischen Historiker und Holocaustforscher Joseph Wulf hat Ernst Jünger darüber berichtet, daß er „im Lauf der letzten Jahre an fünfzigtausend Briefe in eine ziemlich übersichtliche Ordnung gebracht habe“.
Im vorliegenden Briefwechsel mit dem neusachlichen Photographen Albert Renger-Patzsch (1897-1966) begegnen sich zwei sehr unterschiedliche kreative Charaktere, die dennoch auf ihre Weise versuchen, im künstlerisch Dargestellten „Tiefe und Oberfläche zugleich“ herauszuarbeiten. Eine diesbezügliche Andeutung läßt sich bereits der ersten Kontaktaufnahme seitens Albert Renger-Patzsch vom 13. Januar 1943 entnehmen. Als dankbarer Leser von Jüngers Büchern sandte er dem Schriftsteller drei, in der vorliegenden Ausgabe ebenfalls abgedruckte, Photographien des Treppenhauses im Bruchsaler Schloss, das später im Krieg zerstört werden sollte. Renger-Patzsch schreibt: „Die Fotografie hat recht eng gezogene Grenzen – viel engere als das Wort – und dieses Treppenhaus ist kein „fotografischer Gegenstand“, da es sich erst dem Heraufschreitenden erschließt, und diese zeit-räumliche Entwicklung ist eben unfotografierbar“.
Da sich Ernst Jünger gerade zu einem Fronturlaub in Kirchhorst aufhielt, konnte er sich sogleich für die Sendung bedanken.
Der eigentliche Briefwechsel entspann sich hingegen erst ab dem Jahr 1959, als sich Renger-Patzsch an Ernst Jünger wandte, um ihn für ein gemeinsames Projekt zu gewinnen. Ausgangspunkt war die Idee des Industriellen und Mäzens Ernst Boehringer, dem Photographen Albert Renger-Patzsch einen Bildband über Bäume vorzuschlagen. Ernst Jünger sollte einen passenden Essay dazu verfassen.
Schritt für Schritt beginnt sich fortan die Korrespondenz zu entfalten, Ernst Jünger war von der Idee eines gemeinsamen Baumbuches angetan. Es folgen auch persönliche Begegnungen im oberschwäbischen Wilflingen und immer wieder gilt es, Jüngers Reisevorhaben in den Planungen zu berücksichtigen. Zudem war Jünger in Sorge um seine Frau Gretha, bei der Ende 1958 eine Krebserkrankung festgestellt worden war. Sie starb am 20. November 1960.
Private Sorgen und berufliche Hindernisse und Widrigkeiten sollten aber weder Ernst Jünger noch Albert Renger-Patzsch von ihrem Vorhaben abhalten. Jünger war in einem Brief vom 22. Oktober 1961 von der sorgfältigen Herangehensweise Renger-Patzschs sehr angetan:
„Mich trotz meiner in diesem Jahr besonders knapp bemessenen Zeit mit dem Thema zu beschäftigen, bewog mich noch mehr als der Anblick der Bilder der Ernst, mit dem Sie Ihre Aufgabe anfassen“.
1962 erschien der großformatige Bildband »Bäume« mit einem Essay von Ernst Jünger, der in seinem Schreiben an Renger-Patzsch vom 13. Oktober 1962 „nicht nur angenehm überrascht, sondern begeistert“ war. 1966 folgte der in ähnlicher Aufmachung gestaltete Band »Gestein«. Die bibliophilen Bände waren allerdings nicht in den freien Handel gekommen, sondern als Gaben der in Ingelheim ansässigen Firma C.H. Boehringer an Geschäftspartner und Kunden gedacht.
Auf eindrucksvolle Weise hatten sich die ästhetischen Ansprüche des Schriftstellers und des Photographen entsprochen. Albert Renger-Patzsch bedankt sich in seinem Brief vom 25. Februar 1965 bei Ernst Jünger darüber, wie in dessen Essay »Steine« „der Mensch in Beziehung zum Stein gesetzt wird und die menschliche Tragik aufleuchtet“. Sichtlich angetan fasst Renger-Patzsch zusammen:
„Dieser Text mit seiner Relativierung menschlicher wissenschaftlicher Erkenntnis – durch die Forscher selbst bestätigt – ist genau das, was ich mir für das Buch träumte“.
Über zwanzig Jahre hinweg, bis zum Tod Albert Renger-Patzschs am 27. September 1966 sind jedoch keine umfassenden Auskünfte oder Erkundigungen ausgetauscht worden. Vielmehr läßt sich eine von gegenseitigem Respekt geprägte Arbeitskorrespondenz nachvollziehen, die in zuweilen anrührender Weise ein gegenseitiges Verständnis für den künstlerischen Ausdruck aufzeigt. In einem Dankesschreiben für Ernst Jüngers Kondolenz schrieb die Witwe von Agnes Renger-Patzsch: „Wenige lebende Menschen hat mein Mann so verehrt, wie er Sie verehrte“.
Der vorliegende Briefwechsel hebt sich zum einen durch eine kenntnisreich kommentierte Begleitung seiner Herausgeber wie zugleich in seiner editorischen Aufmachung hervor. Neben weiteren Dokumenten sind zudem Faksimiles, Fotos und auch die beiden Essays »Der Baum« und »Steine« von Ernst Jünger abgedruckt.
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