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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

"Ich kann den Raum nicht in sein Recht setzen, indem ich ihn immerzu verlasse."

Hamburg

Ein Wort zur Aufmachung: Die (bisschen mehr als) achtzig Seiten dieses Buchs sehen ja, wie von Brueterich-Buechern auch sonst gewohnt, einnehmend gut aus. Aber sie sind leider wirklich gerade ein bisschen gar zu eng mit Blocksatzprosa bedruckt, um noch ohne Abstriche konsumierbar zu sein – Brueterich ist nicht Reclam, Zeilenabstände haben nichts an sich Verwerfliches, und der Mehraufwand an Papier, der mit ihnen einherginge, wird sicher nicht soo ins Gewicht fallen …

Nicht weniger dicht (aber in diesem anderen Zusammenhang erfreulich) ist der Inhalt dieser "Auto-Moto-Fiction in 13 Episoden". Monika Rinck bürdet dem Fluss ihrer Prosa viel auf, sehr viel. Auch wenn es genug eindeutige Marker dafür gibt, dass wir es nicht mit einem planvoll sinnentleerten Rohrschachtest für die bereitwilligst interpretierenden unter den Lesern zu tun haben – Mitarbeit fordert uns das Ganze trotzdem ab. Es gibt ein zunächst vages, aber zum provisorischen Folgen ausreichendes Narrativ, das zum Teil (und zwar zu einem Teil von ungeklärtem Umfang) montiert ist aus Texten zur Verkehrsgeschichte und -planung, philosophischen Primärtexten u. ä., die dankenswerterweise zwar im Textfluss nicht ausgewiesen, aber im Anhang aufgelistet werden. Dieses Narrativ nun, oder das Ergebnis einer "naiven" Annäherung daran, lässt sich vielleicht beschreiben …

… als eine Historie der industriellen Moderne, geschrieben ALS Historie ihrer Philosophie ALS Historie fortschreitenden Zugriff aufs naturhaft vorgestellte "Selbst" ALS Historie des motorisierten Verkehrens und der dazugehörigen Techniken ALS Metaphernvorrat für körperliches Zeugs, Reproduktions- und Gesundheitszeugs ALS externe Metaphern für intern(alisiert)e mentale Prozesse UND/ODER emotionales Beziehungszeugs UND/ODER erotisches Beziehungszeugs UND/ODER Beziehungszeugs als Teil biographischer Narrative, und die dann wiederum ALS Metaphernvorrat für Phänomene der Geschichte der industriellen Modern – und so immer munter im Kreise auf der hermeneutischen Teststrecke.

Die Anlage ihres Texts lässt also einiges an Spannweite zu, und Rinck reizt das aus. Rasch schaltet sich beim Lesen jenes Modul unserer bildlich-assoziativen Vorstellungskraft ein, das wir sonst an Sciencefiction, an "triviale" Texte und alte Animationsfilme herantragen. Damit ist gesagt: Wir sind hier mal in den Stand gesetzt, jene assoziative (seien wir ehrlich: jene durchaus eingerauchte) Leseweise auch an den – wie gesagt, erklecklichen – Anteil Sachtext- und Theoriesprache heranzutragen, der Rincks "Auto-Moto-Fiction" mitbestimmt.

"Inhaltlich" haben wir es mit einem Pärchen – also einem Ich und einem Du – auf einer Irrfahrt in der Folge eines Autounfalls zu tun. Die Irrfahrt wird jedoch so nonchalant geschildert und durchlebt, sie besteht so sehr aus ihren – kaum explizit miteinander verbundenen – Einzelelementen, dass diverse Verfremdungseffekte sich uns unter der Hand einschalten, ohne, dass die "Figuren" und Topoi deshalb weniger plastisch würden.

Gelegentlich kippt das Ganze ins polemisch-poetisch Antimoderne –

Unbeteiligt grasten die Pferde auf der Weide. Und alsbald kamen leise die letzten Automobile herangerollt und wussten, die würden wie die Pferde sein, einst parkten sie auf endlosen Wertstoffhöfen für unendliche Zeit. Und bald werden auch wir wie die Pferde sein, sagten die grasenden Fahrer, überholt, aber von größter Schönheit. Die Fahrer grasten am Straßenrand.

–, oder ist das nur zufälliges Vorkommnis neben anderen, weil der Text insgesamt zu viel wollte, bzw. zu viel SEIN wollte? – Dieser Vermutung würde auf der gestalterischen Ebene der erwähnt dichte Schriftsatz entsprechen. Auf ihn, wie auf den Text selbst, und auch auf die Natur der modernen Verkehrsplanung insgesamt, trifft jedoch zu, dass wir wissen:

Wir können eh nicht überblicken, wie aufeinander bezogen ist, was alles rundherum so geschieht – da wird wohl manches von der je befugten Stelle (Brueterich bzw. Rinck bzw. dem Stadtplanungsamt) einfach behauptet werden müssen, und wir müssen's dann glauben. Und es zeigt aber, in diesen drei Fällen, die Erfahrung, dass wirs's auch wirklich glauben können, nicht wahr?

Monika Rinck
Kritik der Motorkraft
Auto-Moto-Fiction in 13 Episoden
BRUETERICH PRESS
2018 · 85 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-945229-04-0

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