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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Tuxtla

Hamburg

Mechiko kenne ich gut. Nicht da aufgewachsen, nein. Kindheitserinnerungen, was wären die wert? Machen blind. Als ob man etwas kennen würde hinterher, irgendwas objektiv beschreiben könnte, was die Kinderaugen sahen? Nein, die Kindheit ist die Mutter aller Subjektivität. Aber als Jugendlicher war ich dort, ah, die Nachmittage, endlose Siestas auf der Hazienda, ein empfindsamer, phantasiebegabter Mensch war ich, verwandelte mich, ein ganz neuer Pfad zum Wissen, der Yaqui-Pfad.

Um das zu erleben muss man gar nicht unbedingt physisch vor Ort sein, ich hatte mein ganzes Mexiko zuhause, in der württembergischen Zivi-Bude, nicht weit von Karlsruhe, wo Stan Lafleur geboren ist, Carlos Castaneda lesend, auf der objektivierenden Distanz des selbstgebauten Bettes. Man muss nur die Metaphern zu lesen wissen. Gibt es für den Zivi etwa kein Schlangengift, medizinisch IV als Schmerzmittel verabreicht? Keine Bewußtseins-erweiternden oder auch mal -verengenden Rauchwaren? Und waren da nicht die bösen Hexen von Oberschwestern? Jedenfalls, vom phantasie-öffnenden Zustand des auf dem Bette Lesens – da erschließen sich die Länder. Anschauung macht blind, das wusste schon Karl May. Und später, Bolano, wunderbar, nicht? Weil er gebürtiger Chilene ist, mit dem neutralen Auge des Fremden in Mexiko lebte, ein wortgewaltiger Phantast, dem das mexikanische unwillkürlich, vielleicht von ihm gar nicht bemerkt, durch die wüsten Erzählungen in die Texte glitt, so lernt man Länder kennen, lernt gerade das unwahrscheinliche der Länder kennen.

Mit anderen Worten: ich kann als Fachmann Stan Lafleurs Wanderungen durch Zentralamerika verfolgen, wenn der auch, so scheints, aus mir unbekannten Gründen – ich sage nur: bichos - seinen physischen Körper tatsächlich dort hintrug oder sich von ihm dahin tragen ließ. Ob sich das alles für ihn gelohnt hat? Hm.

Die Schmetterlinge, die Vögel, die Blumen z.B. scheinen ihm gefallen zu haben. Das Plastik im Meer eher nicht. Die Tortilla-Backenden Frauen? Bestimmt. Die aus blauen Augen finster blickenden Bösewichter? Eher nicht. Hin und Her. Man soll eine Rezension sicherlich mit dem Positiven beginnen, aber: sollte der Autor nicht auch mit etwas Positivem beginnen? Gleich am Anfang schon äußert Lafleur ein deutliches Befremden über ein Überangebot an pumpguns. Nun entbehrt eine pumpgun tatsächlich ja etwas der technologischen Raffinesse, sonst hätte sie nie so gut zu Schwarzenegger gepasst, dessen einhändige Bedienung der Gerätschaft legendär ist.

Gut, das ist wohl eher Guatemala, ein Block von Gedichten aus Reisen nach Mittelamerika, und dort, wo Lafleur wandert, hat schon eine gewisse Melancholie Wände wie Schusswaffen befallen

einst blätterte es lustvoll von der Wand, seinen
Schorf trugen stille, pathetische Insektenvölker ab

heute bleicht es aus wie der Lauf einer Waffe
aus der sehr lange keine Kugel abgefeuert wurde

es hat schwarz übermalte Augen, weil die Nacht
ein Hund ist, der die Knochen des Himmels jagt.

(aus: Das Gedicht steht auf der Mauer, es ist stumm)

Zwei Teile hat das Buch, erst Gedicht, die längs und quer über die Seiten krabbeln, wie exotische Tiere, Leguan und Jaguar, Mondfisch, Fregattvögel oder die gemeinen Grackeln. Und dann Reisen im erdbebendurchschüttelten Dichterfieber durch Chiapas, angefreundet mit unendlichem Regen und zu Prosa lähmender Hitze.

Pumpguns. Diese plumpen Terminatoren, nichts als Geballere im Kopf. Lafleur dagegen schreitet weiter

in abgedunkelten Räumen die Schönheit
lauert als Teigtasche aus Mais, gefüllt

mit schwarzem Püree: ein Schlag Leben
und Tod, ganz locker aus dem Handgelenk

Da fällt einem doch sofort nicht nur Benito Juarez vs. Kaiser Maximilian ein, sondern auch Henrico Landola, Pirat und Verbrecher durch und durch, dem zugetraut wird, wenn es sein müsse, vorn zur Hölle hinein und hinten wieder hinaus (zu) segeln, ohne eine Spiere oder Stänge zu beschädigen. Der Schurke, der das Gift besorgt hatte, mit dem Donna Rosa de Rodriganda, Nichte des Ferdinando de Rodriganda, wahnsinnig gemacht wurde, zur Strafe ließ sein Autor ihn gefangen nehmen, binden und so lange kitzeln, bis Schaum vor seinem Mund stand, aus dem das Gegengift zu ihrer Heilung hergestellt wurde. Caramba! Und so ein Buch ist fast vergessen, das Waldschlößchen, „Großer Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft“, erschien in 109 Fortsetzungen und umfassend 2.612 Seiten, von Capitain Ramon Diaz de la Escosura, auch als Carlos May bekannt, inkognito, wie es sich für wahre Schriftsteller gehört.

Zurück zu Stan the pumpgun Lafleur, ein wahrhafter Reisender, dem ich in Südamerika häufig begegnet bin, in Guatemala, ich glaube auch einmal frühmorgens in Ecuador. Wir haben nie gesprochen, da ich meist zu Pferde unterwegs war und er Bus fuhr, auf Dichtertreffen im sonoren Bass kurze Exzerpte seiner Gesammelten Werke vortrug oder auf Schusters Rappen auf der Suche nach Old Shatterhands finalem Verbleib die Canyons durchstreifte, umcirct von ‚Insekten mit Körpern wie Operationsbesteck‘.

Pflichtgemäß führt ihn sein Weg nach Salina Cruz, über das Wiki nur schreibt, dass jede jemals erhoffte Entwicklung des Orts leider aus blieb, bei Lafleur ist es „als mexikanischer Remix von Leverkusen und Tombstone“ beschrieben, dort scheint Shatterhand, vulgo Arthur Cravan, zuletzt gesehen worden zu sein. Oder anderswo, Lafleur klappert die Kandidaten so ziemlich aller wikipedia-Varianten ab. Cravans boxerisches Vermögen taucht ein Youtube Video dubioser Herkunft in ein schon von Mexikanischen Zuständen flimmerndes spanisches Licht, das war 1916 auf der Reise in die USA, wohin ihn viele Kontakte in die Kunstszene lockten, wo die Freundschaft mit Duchamp begann. Cravan, ein wahrhaft sanfter Riese, dessen Geist in surrealistischen Höhen schwebte, aus denen ihn gelegentlich ein Boxkampf niederzog oder -schlug (hat er eigentlich auch mal einen Kampf gewonnen?) bietet eine Lebensgeschichte, die sich nahtlos ins Waldschlößchen eingefügt hätte.

Er, Laie durch und durch, suchte sich als Gegner für seine fast immer Geldnot geschuldeten Kämpfe etwa auf den Kanaren (zur Finanzierung der Überfahrt in die USA) ausgerechnet John Arthur (Jack) Johnson aus, eine ebenfalls epische und tragische Gestalt der Boxwelt. Ein absoluter Profi, erster schwarzer Schwergewichtsbox-Champion überhaupt, als junger Mann noch verhaftet, weil er eine weiße Frau ‚zu unmoralischen Zwecken‘ über eine Staatsgrenze gebracht hatte (sie war seine Ehefrau), ein rassistisches Urteil, das Donny Trump nach 105 Jahren kürzlich aufgehoben hat, weil er auch einmal zu etwas gut sein wollte und so eine großzügige Begnadigung des Schwarzen durch den Weißen Mann ja etwas apartes hat.

Jedenfalls, Cravan verschlug es wegen gewisser in Amerika ungern gesehener Kapriolen und der Tatsache, zuerst nach Mexico City und später nach Chiapas, das scheint sicher, seine Geliebte reiste ihrem ‚Colossus‘ aufgrund seiner sehnsuchtsvollen Briefe nach, reiste hochschwanger ihm voraus zurück nach Nordamerika und er wollte über die See nach Chile, eine See, die ihm anscheinend noch schönere Augen machte und ihn da behielt; so bevölkert er nun die Mythenwelt, wie ein Tecpancaltzin Iztaccaltzin, der der schönen Xóchitl, das Nahuatl-Wort für „schöne Blume“, verfiel und nichts besseres anzufangen wusste, als sie an seinem Hof festzuhalten, ihr Gewalt anzutun und sie mit seinem Tolteken-Königreich zu beerben. So sind die fremden Länder eben, die Lafleur durchstreift, zumindest an den Rändern.

Ich kenne Mechiko gut; Chiapas, alles wie hier, nur eine Nuance anders. Der Regen, die Hitze, das Meer.

Blau

die Fischer unten am Strand saufen
sie feiern die Entbindung der Fische
vom Meer, die Entbindung der Welle
aus ihrem Kontext, feiern die Sonne
für ihren Charakter, feiern ihre letzten
Zähne. die Musik macht das Eis in
den Kühllastern, ihre Macheten
machen Musik und der Schlaf macht
die beste Musik überhaupt nach der
Einsamkeit und dem Töten, dem Blau
das sich fortsetzt in ihren Augen
die straff vertäut sind im Nichts

 

 

Stan Lafleur
Am Rande der Wahrscheinlichkeit von Mexiko. Zentralamerikanische Gedichte und Reisenotizen
parasitenpresse
2019 · 98 Seiten · 12,00 Euro

Fixpoetry 2019
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