Handreichungen, nicht nur bei Angst und Anwandlung
Anna Breitenbach hat nach 2003 und 2010 ihren nunmehr dritten Gedichtband vorgelegt. Die Autorin gehört offensichtlich zu jenen Lyrikerinnen, die es langsam angehen, deren Verse Zeit zum Reifen brauchen, eben sechs bis sieben Jahre zwischen einer und der nächsten Einzelveröffentlichung. Da wäre nun vielleicht Kryptisches, mit zahlreichen Fußnoten und umfangreichen Wissenseinsprengseln Gewürztes zu erwarten, sperrige Zeilen, die sich dem Leser eher verschließen in ihrer Gelehrtheit. Doch ganz im Gegenteil, der Band "Haus und Hof, Sachen, Leute" trägt den programmatischen Untertitel "Brauchbare Gedichte". Und dementsprechend kommen die Texte aufs erste Anlesen so klar und leichtfüßig daher, wie man sie in der deutschen Lyriklandschaft schon lange nicht mehr gelesen hat. Kurz und knapp in leicht verständlichen Bildern, und dabei so wenig verbraucht, dass es einen fast verwundert ob der Ungekünsteltheit der verwendeten Alltagssprache. Selbst wie zufällig sich ergebende Binnen- und Endreime einfachster Prägung verarbeitet die Dichterin, und wir lesen es gern:
"Anhaltender Schneefall // Die Autos fahren / herum wie Zahnbürsten / dick die Zahnpasta / auf dem Dach - / an der Ampel halt ich / etwas knapp, da / rutscht mir die Pasta / vom Astradach - // vor der Brille weiße Stille." (S.30).
Aber wie bei allen guten Gedichtbänden ist das natürlich auch wieder nur die halbe Wahrheit. Einerseits fühlt man sich angesichts der Breitenbachschen Verse erinnert an die Parlandolyrik der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die hatte es auch mit Klarsprachlichkeit und Lakonie. Wenn sie gut war, war sie mehr als der Seelenstriptease einer Generation, die nach den hermetischen Jahrzehnten von Bachmann und Celan vor allem eins wollte: verstanden werden, was auch immer das im Einzelnen dann bedeuten mochte. Manchmal war diese Darreichungsform aber auch regelrecht peinlich in ihrer Ichbezogenheit, wenigstens im Rückblick. Andererseits spricht bei Breitenbach natürlich auch ein lyrisches Ich, und es spricht von sich, aber es betreibt niemals Nabelschau, sondern bleibt auf eine zurückhaltend poetische Art und Weise Identifikationsfläche für den Leser:
"Mittelfeld // Ich spiele / im Mittelfeld / wenn mich wer / fragen würde / wo ich spiele / würde ich sagen / Mittelfeld / und nur für mich / noch dazu: / eigentlich Sturm." (S.79).
Diesen Miniaturen, die mitunter so leicht dahingetippt erscheinen wie ein oberflächliches Bonmotgetwitter, sollte man nicht im Vorbeilesen begegnen. Sie mögen zwar aussehen wie lyrische petits fours; in Wahrheit handelt es sich aber nicht selten um so etwas wie appetitliche Sprengkörper:
"Im Schutz der Nacht // steht sie vor seinem Haus, / sieht ihn, beleuchtet, sich / in seinem Leben, im 1. Stock / ganz selbstverständlich / hin und her bewegen als / wäre es allein seins." (S.111).
Anna Breitenbach versteht es, die Leerstellen zu umreißen, die gute Poesie ausmachen. Was dem lyrischen Ich fehlt, ist das im entscheidenden Moment nicht Benannte:
"Ein Hund und // In dem Wäldchen, / in dem ich immer mit / meinem Hund war, / finde ich den alten Baum / mit den Wurzeln, / zwischen denen immer / ein Wässerchen war / für den großen Durst. // Das Wässerchen ist / immer noch da, wo ich / mit meinem Hund war." (S.152).
Die Autorin denkt vordergründig Negatives neu, deutet es um in Verse, die uns Lesern die Hoffnung hinterhertragen - und schafft den Spagat, dass uns genau dieses lyrische Ergebnis dann als schöne Selbstlüge vorkommt:
"Herbstirrtum // Die Blätter fallen... / Das sieht nur so aus! / In Wirklichkeit lassen / sie los, zum Fliegen." (S.170).
Die vermeintlichen Realisten blicken von vorn auf eine Sache. Breitenbach blickt schräg von der Seite, manchmal auch von hinten und benutzt dabei nüchterne Worte, die in ihrer Gestaltung gleichwohl Poesie werden. Der verschobene Blickwinkel verschafft unverhofft neue Einsichten, zieht der Leserschaft ein Stück Boden unter den Füßen weg, nicht jedoch, ohne ihr gleichzeitig ein anderes Stück unter die Füße zu schieben - oder ihr zumindest eine geistige stabile Seitenlage zu verschaffen. Der Reiz der Dekonstruktion durch den Leser besteht eben gerade darin, dass zunächst fraglich scheint, ob hier überhaupt etwas zu dekonstruieren ist. Die Antwort ist so einfach wie ambivalent: jein. Die Breitenbachschen Verse sind uneingeschränkt auch einem lyrisch unvorbelasteten Publikum zugänglich, doch beim zweiten und dritten Lesen kommen zweite und dritte Ebenen hervor, die die Texte auch für geübte Lyrikrezipienten spannend machen. Diese Gedichte sind stille, tiefe Wasser, die sich als flache Pfützen tarnen, aber auch augenzwinkernd dem Nichtschwimmer einen Rettungsring zuwerfen.
In zwölf Kapitel ist das Buch mit seinen immerhin 180 Seiten aufgeteilt, deren Zwischenüberschriften häufig von Alliterationen geprägt sind: so lesen wir neben "Haus und Hof" auch von "Angst und Anwandlung" oder von "Krankheit und Krise". Formal ein wenig aus dem Rahmen fällt die Abteilung "Sachen und Sammlung", die als einzige ein paar Gedichte enthält, die tatsächlich einmal länger sind als eine Seite und zum Teil auch eher als lyrische Prosa bezeichnet werden können, die dennoch in ihrer Prägnanz gut in den Gesamtzusammenhang passen.
Zwölf Kapitel für zwölf Monate des Jahres? Es scheint, dass man das Buch vor allem als lyrische Handreichung für jeden Tag verstehen kann: beginnen oder beschließen Sie ihn mit einer knappen Erkenntnis aus Anna Breitenbachs "Haus und Hof, Sachen, Leute". Dergestalt gelesen reichen die Texte leider dann doch nur für wenige Monate. Bleibt zu hoffen, dass Dichterin und Verlag bald auch "brauchbare Gedichte" für das restliche Lyrikjahr nachschieben.
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