Gerührt oder geschüttelt
Das Magazin „Konzepte“ ist eine literarische Institution, aber merkwürdigerweise etwas verschattet. Es macht nicht viel Aufhebens von sich. Eine richtige Homepage der Zeitschrift findet man nicht, auch sonst keine besondere Vernetzung. Dabei begleitet sie beständig und bedächtig seit fast siebenundzwanzig Jahren durch den Literaturbetrieb und zeichnet sich dabei durch eine besondere Treffsicherheit und Besonnenheit bei der Auswahl ihrer Autoren aus.
Herausgegeben vom Bundesverband junger Autoren (BVjA), unter redaktioneller Leitung von Christine Langer, setzt die einunddreißigste Ausgabe einen ihrer Schwerpunkte auf die Veröffentlichung von fünfzehn Liebesgedichten Emily Dickinsons sowie, danebengestellt, den deutschen Übersetzungen von Mirko Bonné. Über letztere kann man, wie immer bei solchen Übertragungen, streiten. Mir persönlich legt der Dolmetscher Bonné das Gewicht zu sehr auf das Nachvollziehenwollen von Form und Reim, dadurch entsteht ein leicht gezwungener Ton, der den Dickinson-Gedichten die ihnen innewohnende melodiös-melancholische Stimmung nimmt: // Nor tie to Earths to come - / Nor Action new - / Except through this extent - / The Realm of you – („1398“) übersetzt Bonné mit: // Brauch keine Zukunftswelten - / Kein neues Hier - / Es sei denn dadurch wächst - / Das Reich von dir - Einen nachhaltigeren Eindruck hinterlassen da schon die vier Gedichte Karin Fellners, deren „Poetin“ man gern auf ihren archaisch-urbanen Streifzügen folgt: im hinterhof hört die poetin / den geist der alten kastanie / ein pfeifen über dem sims / morgenjets hotelduschen / gymnastisch der nachbar ein / scherenschnitt auf schamott („spiritus, verflüchtigungslinien“) oder: // the cloudspeaker whispers hier / geht’s zur leistungspizza! / und nur ein vorbeigejoggtes / junges sieht durch ihr lächeln // das törichte lechzen nach („kleinöd“). Bei Karin Fellner hat man immer den Eindruck, sie sei diesem berühmten Wittgensteinschen Löwen auf der Spur, den man ja bekanntlich auch dann nicht verstehen würde, wenn er sprechen könnte. Eine weitere Entdeckung sind die verspielten, absurdisierenden Meditationen Farhad Showghis: // Ich biege die / Zehen, wenn die Ziegen weg sind und etwas ungesagt / bleibt. Stehe ich, bin ich aus dem Bus gestiegen. Das / bedeutet mehr, als mir einfallen kann. Es gibt gerade / keine Frage, die plötzlich wartet. Dem Eintrittsgrün fehlen / Durchschlupf und Spiel. Die passende Antwort wird / immer länger, holt Schultern, Hüften, Ellbogen ein. Es ist / mehr gemeint, als eine Anspielung aufs Ganze. Ich schaue / nicht aus dem Fenster, um traurig oder finster zu sein. („Schwarze Ziegen“). Die ganze Zeitschrift übrigens steht unter dem Dickinson/Bonné-Motto: „Luft hat kein Haus und keinen Nachbarn“, aber tatsächlich herrscht hier durch die Bank ein sehr hermetisches Klima, die von den kontemplativen „Waldblätter“-Graphiken des Künstlers Axel Plöger ein gutes Dutzend mal unterstrichen wird. Einen weiteren Schwerpunkt setzen die abgedruckten Preisträgertexte des vom BVjA, der Armin T. Wegner Gesellschaft und der Autorengruppe FAUST Köln ausgeschriebenen Selma Meerbaum-Eisinger Literaturwettbewerbs, und hier besonders der lyrische Siegertext von Susanne Eules („passacaglia über selmas lebenskoordinaten“), der in beeindruckender Weise zeigt, wie auch ein „moderner“, sogenannter experimenteller Text es vermag, sich nachhaltig einzuprägen und Betroffenheit auszulösen. Komplettiert wird das Heft durch einige Prosa und Rezensionen, die aber, bis auf die eindrückliche Kurzgeschichte „Proviant“ von Andreas Lehmann, ihren Beiwerkcharakter kaum abschütteln können, was möglicherweise aber einfach nur an dem gedrängten Blocksatz-Druckbild liegen mag. Nach Lektüre des hundertachtzig Seiten starken Magazins mit seinen durchweg gekonnten und durchdachten Texten von Autoren wie Jan Volker Röhnert, Walle Sayer, Monika Rinck, Markus Breidenich, SAID oder Andreas Altmann bleibt trotz allem ein wenig Nachgeschmack von ambitionierter Korrektheit hängen, einer feierlichen Bravheit ob des hohen Handwerks, freilich ohne dass man was Schlechtes gelesen hätte, bis vielleicht auf die naiven konkreten Poesiebasteleien von Nora Gomringer („Wie baut man eine Katze?“), die arg putzig anmuten, wie als hätte man da jemanden noch eine Spielecke eingerichtet, solange die Erwachsenen dichten gehen.
Nicht weniger gewichtig, aber deutlich weniger elfenbeinturmhaft geht es in der von Simone Kornappel und Philipp Günzel herausgegebenen Zeitschrift „randnummer“ zu. Bunt, verstörend, verlinkt und engagiert, hat sich die Zeitschrift mit ihrer vierten Ausgabe als Literaturorgan schon ziemlich etabliert. Bei der Lektüre befindet man sich von Beginn an in einer latenten Unruhezone, ein „Empört Euch!“ pulsiert durch die hundertsiebenundzwanzig Seiten, deren konzeptionelle Grundidee für diese Ausgabe in einer lockeren Synthese aus Märchenmotiven und Gesellschaftskritik zu liegen scheint. Das beginnt schon mit der geschickten Covergestaltung mithilfe eines sensationell realsatirischen Fotos, das Sabine Scho beigesteuert hat, die auch mit einer dadaistischen Konsumkritik („wohnschmaschinen – auf diese wünsche können sie bauen“) textlich vertreten ist. Prosa und Lyrik bilden hier keine Sparten, sondern wechseln sich gleichberechtigt ab, ohne dass sich deshalb der Eindruck eines Zusammengewürfeltseins einstellt. Vielmehr kommt man sich (positiv gemeint!) nach der Lektüre vor, wie einer Endzeitdoku entstiegen. Das scheint auch Programm zu sein, denn die kritischen Texte orientieren sich meistenteils an der aktuellen politischen Situation und – statt mit Erbauungsliteratur zu reüssieren - geht es den Autoren hier deutlich darum, aufzumucken. Es sind durchweg gehaltvolle Texte, sperrig oder komisch oder beides, denen man anmerkt, dass ihnen - wenigstens in dieser Ausgabe - die realsoziale Auseinandersetzung mehr am Herzen liegt als bloßes ästhetisierendes Treatment. Eine befremdende, hintersinnige Parodie auf das zur formelhaften Verramschung verkommene Staatsgebaren präsentiert Monika Rinck im märchenhaft-beschwörenden „Glücksspielstaatsgedicht“: // Mein frittierter Hase, ich kenne die Verfinsterung. Ein gutes Leben, / Eine gute Regierung, Glück und Zivilwesen, zukunftsweisendes Idyll. / Es mengte sich mein Staat nicht in dein Glück. Immerzu tue Du, was Du, / nicht, was ich will. Doch muss ich, leider, den natürlichen Spieltrieb / meiner Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen lenken. Eine Stimmung, die von den surrealen Illustrationen (aus Blütenkelchen schwebende Fuchswelpen, laubsaugende Gestalten mit Hirschköpfen) von Marie Mustache kontinuierlich durchs Heft getragen wird. Dazwischen gibt es Ruhepole wie den Zyklus „bildgebende verfahren“ von Nicolai Kobus. Auf die interessanten Texte zum Beispiel von Kristoffer Patrick Cornils („Haikuzerstückelung“), Konstantin Ames („Verbleichen immer, verblichen nimmer!“) oder René Hamann („TENGO QUE ACER AGUNAS COMPRAS“) ist schon in anderen Rezensionen eingegangen worden, deshalb sei unbedingt noch auf die effektvollen Gedichte von Michael Zoch hingewiesen: schrankwandmenschen / ichmaschinen / vergötterte weiber (erschreckend real) / der frühling erschossen vorm altglascontainer / (dahinter platzt spaltbreit der augenblick auf) / ein baum holt wasser aus der tiefe // („Adlertage“). Von diesem, jedenfalls bislang, leider an etwas merkwürdige Verlage sich verschenkenden Autor (warum?) lese ich immer wieder sprachlich schöne, ideenreiche Lyrik, man hat da immer das Gefühl, noch ein Stück Fleisch am blankgeleckten Knochen der kontemporären Lyrik ergattert zu haben: da ist dieser geschmack in mir nach parteipolitik und entrahmten gewittern oder eine mondkranke taube streichelt das pflaster („In Andere Sphären“). Interessant am Schluß auch noch ein intelligentes Interview mit der Dichterin Birgit Kreipe über die Grimmschen Märchen und ihren Zuschnitt auf die jeweiligen sozialen Verhältnisse, zugleich eine Werkschau zur Entstehung beispielsweise des Gedichts „roadmovie“, welches mit dem sinnigen Vers und der schneewind / klappt den wald hinter dir zu auch gleich die ganze Lektüre beendet.
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